K21 vs. KI: Kann ein Algorithmus Jenny Holzer?
Könnte uns KI-Kunst intellektuell jemals derart anfixen wie Jenny Holzer vor Kurzem im K21 in Düsseldorf? Oder uns sogar zum Weinen bringen wie einst Sean Scully? Nein, niemals! Warum? Hier kommt die logische Begründung, die alle zukünftigen Diskussionen hoffentlich überflüssig macht. Mit Beweisfotos.
Irgendwo im Frühwerk von James Joyce gibt es ein Gedankenspiel Einsteinscher Größe, über das wir in letzter Zeit viel nachdenken mussten: Wäre es Kunst, wenn ein wild gewordener Affe mit einem Meißel durch puren Zufall aus einem Marmorblock ein Meisterwerk wie die antike Laokoon-Gruppe haute?
Wir würden gern den Affen durch KI und den Zufall durch einen Algorithmus ersetzten und aus aktuellem Anlass fragen: Wäre das Kunst, wenn KI so wundervoll tiefe Satz-Skulpturen erschaffen könnte wie die von Jenny Holzer im K21 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf?
Und könnte uns das genauso berühren wie Menschenkunst?


Wir lehnen uns jetzt einmal ganz weit aus dem virtuellen Fenster unserer KunstArztPraxis und brüllen es lauthals über den digitalen Marktplatz artifizieller Fortschrittsgläubigkeiten: “Nein! Niemals!”
In unseren Augen wäre nämlich selbst das schönste LED-Dioden-Laufband ohne Jenny Holzer blind, der doppelbödigste Truism-Gemeinplatz ohne Jenny Holzer leer. Und eine spruchkritisch bemeißelte Marmor-Sitzbank aus dem 3D-Drucker würde ohne Jenny Holzer keine Kunst, sondern bliebe – ja, genau: Additive Fertigung.
Warum?
Warum? Ganz einfach: Weil für uns Kunst wenn schon nicht von Können, so doch zwingend vom Menschen kommt! Weil für uns zur Kunst dazugehört, dass sich da Jemand mit seiner Zeit, seiner Geschichte, seiner Gegenwart auseinandersetzt. Mit der Gesellschaft, der Welt, die ihn umgibt.
Oder mit der von Menschenhand gemachten und vom Menschenhirn gedachten Kunstgeschichte, die seine Menschenhand und sein Menschenhirn geprägt hat.
Deshalb kann KI den Künstler unmöglich überflüssig machen
Das gilt im Übrigen auch, wenn es einer KI dereinst gelänge, autonom etwas völlig Neues zu sagen und zu kreieren. Selbst wenn sie den Homo sapiens auch zerebraltechnisch überrundete: In dieser Hinsicht bliebe die Maschine in unseren Augen evolutionär immer jener Affe, der sie nunmal ist.


Wir könnten Jenny-Holzer-Sätzen schlichtweg nicht glauben, wenn sie nicht von Jenny Holzer kämen – selbst, wenn sie noch doppelbödiger wären! Wir würden einer KI auch ihre Skulpturen nicht abnehmen können, selbst wenn sie mechanisch noch fulminantere neue Formen präsentierten als, sagen wir, die Skulpturen eines Tony Cragg.
Was sollte uns ein aus dem Schoß der Informatik geborenes Wesen über Machtmissbrauch in Menschenpolitik, Gewalt in Menschenkriegen oder sexuelle Übergriffigkeit im Männerhandeln künstlerisch sagen können? Oder über die in der (menschlichen) Moderne wurzelnden Abstraktionssehnsüchte der Gegenwart?
Das ist nicht seine Welt. Das ist nicht seine Geschichte. Das wäre globalkulturelle Aneignung auf rein robotische Weise.
Weinen Algorithmen digitale Tränen?
Und sollte es dereinst Künstler-KIs mit eigener Zeit, eigener Geschichte, eigener Gesellschaft, eigenem Körper – vielleicht sogar mit eigenem Bewusstsein, eigenen Gefühlen, kreativen Selbstzweifeln – geben: Dann wünschen wir diesen KI-Künstlern von KI-Architekten gebaute Museen, in denen KI-Besucher*innen durch KI-kuratierte Ausstellungen schlendern und ihre zweifellos spektakuläre KI-Kunstwerke bestaunen können.
Um die eigene Software an KI-Installationen upzudaten zum Beispiel. Oder einfach nur, um endlich einmal wieder mit Inbrunst vor einem besonders schicken KI-Gemälde Nullen und Einsen zu weinen.


Je nach medizinischem Fortschritt wagten wir uns vermutlich aus purer Neugier in unseren Exo-Skeletten in eines dieser KI-Museen der fernen Zukunft doch einmal hinein. Vielleicht würden wir aus angemessener Distanz mit unseren zerebralen Schreib- und Fotografier-Schnittstellen sogar über das dort ausgestellte, uns sicher faszinierende Exotische berichten.
Dass uns dabei aber irgendetwas so nahe käme wie Jenny Holzer neulich im K21, das können wir uns mit dem begrenzten Speicherplatz unserer drei Menschenhirne beim besten Willen nicht vorstellen. Und das ist ja auch noch so ein Problem an der Sache: So lange, wie wir uns das beim besten Willen nicht vorstellen können, kann & wird es nicht passieren.
Außer vielleicht, wir wüssten nichts davon. Aber das wäre dann auch keine Kunst, sondern Betrug oder eigene Dummheit.


Wie wir so hören, experimentiert Jenny Holzer in ihrem Studio in Brooklyn gerade ebenfalls mit KI. Von ihr lässt sie sich neue Texte aus alten Texten von Verschwörungspragmatikern wie Q oder Donald Trump produzieren. Das ist okay, in diesem Fall bleiben Affentexte ja sogar unter sich. Das meinten wir auch gar nicht.
Bitte gern den Affen füttern!
Etwas ähnliches haben wir ja ohnehin vor Kurzem selbst gemacht, als wir etwas aus Serviervorschlägen Martin Kippenbergs Selbstgedichtetes im virtuellen Ring des Lyrik-Battles gegen die Verse einer Kommunikations-Software antreten ließen.
Indes: Da haben wir dem ChatBot eigenhändig Zucker gegeben, sprich: ihm befohlen, ein Gedicht zu schreiben! Das war betreutes Schöpfen! Und die Nutzung von KI als Hilfsmittel zur Umsetzung von Ideen bleibt natürlich auch im Jahr 110 n.D.* komplett legitim.
*nach Duchamp
DAS ist ja eh keine “KI-Kunst”. Sonst müsste man die Laokoon-Gruppe ja auch “Meißel-Kunst” nennen. DAS ist vom allseits befürchteten Planet der Affen mehr als meilenweit entfernt.


Im Grunde ist es wie bei Kunstkritik: Wer eh’ nur sampelt, was andere früher schon geschrieben haben, wer Textbausteine aus Pressetexten geistlos neu zusammenstellt, der muss sich bei der momentanen Entwicklung tatsächlich ernsthaft Sorgen machen. Diese Form quacksalbadernder Redundanz schafft gute KI im Grunde ihres kalten Herzens bereits jetzt.
Wer aber mit Sprach- oder Gedankenspielen Einsteinscher Größe aufwartet wie Jenny Holzer (oder die KunstArztPraxis – Zwinker-Smiley!), der ist gegen KI-Attacken per definitionem komplett gefeit.
Vielleicht wäre es jetzt ohnehin mal wieder an der Zeit, sich vor dem Hintergrund des digital Dräuenden über schon als abgefrühstückt geltende und teils sogar verpönte Dinge von Original und Aura, Authentizität und Wahrheit, ja: über die “Seele” eines Kunstwerks neu – und gerne auch komplexer als bisher – Gedanken zu machen? Über den Unterschied von Kreativität und Generierung?
Vielleicht sogar mit Hilfe von KI-Gehirnen?

Wir wissen es doch selber nicht
Wir wissen nur eins: Jenny Holzer ist eine beeindruckende Künstlerin, die keine KI wird ersetzen können. Selbst dann nicht, wenn diese KI – vermutlich bald – komplett von ihren Entscheidungsbäumchen auf die Erde herunterklettert und versucht, mit integrierten Software-Meißeln ganz ohne menschliches Zutun wild um sich zu schlagen.
Vielleicht fördert sie dann ja tatsächlich etwas irritierend Beeindruckendes zu Tage wie der umschlängelte Laokoon mit seinen Söhnen aus der Antike im 16. Jahrhundert. Aber edle Einfalt und stille Größe hat dieses in sich wilde Gebilde dann nach hominiden Standards sicher nicht.
In diesem Sinne: “PROTECT ME FROM WHAT I WANT”. (08.05.2023)
Anmerkung: Vielleicht gilt auch noch festzuhalten, dass wir KI-generierte Kunst momentan zumeist noch etwas öde finden. Die Maschinenhalluzinationen von Refik Anadol im Kunstpalast (08.03.-07.05.2023) zum Beispiel waberten für uns alle ziemlich ähnlich. Umso gespannter sind wir auf “SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft” im Juni im Marta Herford. Wir sind ja drei neugierige Affen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen ist nicht so unser Style.
Anmerkung 2: Apropos drei Affen: Vielleicht ist das die eigentliche Angst, die wir Menschen wegen KI haben müssen: Dass wir selbst verlernen zu sehen, zu hören, zu sagen.
“Jenny Holzer” ist noch bis zum 6. August 2023 im K21 der Kunstsammlung NRW zu sehen. T-Shirts, Kappen und Karten mit ihren “Truisms” gibt es dort im Museumsshop. Homo sapiense aller Länder & Kulturen, verbreitet diese Sprüche in die Welt!
Die Kunstsammlung NRW (K20 und K21) in der KunstArztPraxis:
Piets Wohnung. Poem für Mondrian
Lynette Yiadom-Boakye im K20: Malend dichten
Nie fertig: Charlotte Posenenske in der Kunstsammlung NRW
Fotos ohne Kamera: Thomas Ruff im K20
Maximal minimal: Zum Tod von Carmen Herrera
Sommerloch-Porträts (5): Ai Weiweis Kern
Homepage der Kunstsammlung NRW (K20 und K21)

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