Mary Bauermeister: Die Auferstehung von Oberagger
Zum Märchenreich von Mary Bauermeister (1934-2023) in Rösrath haben wir ja schon viel gebracht, aber zu ihrem Atelierhaus in Oberagger noch gar nichts. 2019 fiel es einem Brand zum Opfer. Zu Mary Bauermeisters 90. Geburtstag (07.09.2024) lassen wir es in der KunstArztPraxis fotographisch auferstehen.
An unsere Fotos vom Besuch in Oberagger haben wir uns offen gestanden erst kürzlich wieder erinnert. Wir waren immer viel zu sehr mit unserem Hexenbuch zum Märchenreich beschäftigt, auch später: im Gedächtnis. Dadurch ist Oberagger irgendwie in Vergessenheit geraten.
Überhaupt hätten wir das Atelierhaus vor dem Brand fast auch gar nicht mehr gesehen. Aber dann meinte unser Künstler-Freund Stephan, in einem Hexenbuch vom Märchenreich dürften Bilder von Mary Bauermeister bei der Arbeit nicht fehlen: am besten bei der Arbeit mit Linsen & Prismen.
Natürlich hatte er recht.
“Dann müssen wir aber nach Oberagger!”
Da sagte Mary Bauermeister: “Dann müssen wir aber nach Oberagger! Hier kann ich das nicht machen.” Also stiegen wir zu viert in Mary Bauermeisters silbernen VW Sharan (wir hatten, warum auch immer, einen Opel erinnert, aber es war offenbar, siehe Kommentare, ein VW Sharan) und fuhren los. Es war eine abenteuerliche Fahrt. Mary Bauermeister gestikulierte viel mit beiden Händen. Sie war nicht angeschnallt.
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, Hunger als Droge, Drogen und Wahnsinn – und den Sicherheitsgurt als männliche, der weiblichen Anatomie zutiefst zuwider laufende Erfindung. Dann waren wir plötzlich da.
Im März 2019 war das: knapp einen Monat vor dem großen Brand. Was für ein Glück.
Im Atelier porträtierten wir Mary Bauermeister bei der Arbeit mit den Linsen & den Prismen. Es war tatsächlich so, wie Benjamin Katz uns das schon mehrfach übers Fotografieren mit Künstlern wie Polke, Penck & Richter erzählt hat: Sobald Mary Bauermeister die erste Linse in die Hand genommen hatte, waren wir nicht mehr da. Das machte es sehr angenehm.
“Ich wechsle ja bald auch die Ebenen”
Am Ende stellten wir noch einen Dreh-Stuhl zwischen die Engel, Leuchtkästen und Pyramiden auf die Bühne der Scheune und baten Mary Bauermeister, dort für ein Foto Platz zu nehmen. Sie tat uns den Gefallen, und streckte dann spontan die Hände gen Himmel wie die Engel. “Ich wechsle ja bald auch die Ebenen”, hat sie dazu gesagt. Wegen ihrer Metastasen in der Lunge.
Das Foto mit den zum Himmel gestreckten Händen ist das letzte Bild in unserem Buch. Hier zeigen wir zum ersten Mal den leerem Stuhl, nach unserem Shooting. Mary Bauermeister hat die Ebenen ja schon gewechselt.
Den leeren Dreh-Stuhl haben wir dann ein Jahr später im Kino wiedergesehen: an eben jener Stelle, an der wir ihn platzierten.
Und zwar in der Dokumentation “Mary Bauermeister – Eins plus eins ist drei” (2020) von Carmen Belaschk, über deren Entstehung wir mit Mary Bauermeister oft am Küchentisch in Rösrath sprachen. Und der ein von uns gemachtes Porträt-Foto von 2016 nachgestellt hat. Tststs, Frau Belaschk!
Dieses Porträt ziert in beschnittener Form auch das Film-Plakat. So sind wir gleich mit mehreren Spuren aus Oberagger und Rösrath unsichtbar in den Film mit eingeflossen.
In unseren Augen hatte Oberagger nicht den magischen Charme des Märchenreichs, aber dafür einen anderen, ebenfalls ganz eigenen. Für uns war Oberagger als Ganzes mehr Werken und weniger Werk. Es war geordnet, aber ohne höhere Ordnung, eher Prozess als Vollendung.
Die Kunst war mit Architektur & Natur nicht verschmolzen. Das war im Märchenreich anders.
Was uns umgehauen hat
Und trotzdem: Die schier unfassbare Menge der an den Stränden der Meere eichhörnchenfleißig zusammengesammelten Steine hat uns damals genauso umgehauen wie die Präsenz der unzähligen auf weiße Halbkugeln gemalten Augen. Und diese ungeheuerliche, bis ins bäuerliche Mauerwerk spürbare Energie einer Schöpferkraft.
Wir haben damals versucht, diesen ganz eigenen Charme von Oberagger in unseren kürzlich erst wiedererinnerten Fotos festzuhalten. Voilà:
Im April 2019 fiel Mary Bauermeisters Atelier in Oberagger dann dem großen Brand zum Opfer.
Zwar blieb die Scheune verschont, aber ein Gutteil der Arbeit der vorangegangenen zehn Jahre war verloren, wie sie sagte (ihr Sohn – siehe Kommentar unten – sieht das anders). Wenn wir an Mary Bauermeister denken, dann sehen wir sie noch heute verzweifelt & in ihrem Maß todtraurig mit dem Besen durch die Asche fegen (zumindest dies ist wahr).
Von vielen der in Oberagger verbrannten Werke sind unsere Fotos die einzigen Dokumente.
Später haben wir uns lange mit einem Restaurator im Rösrather Garten unterhalten, derweil er hinterm blauen Haus in einer aus Bierbänken improvisierten Freiluftwerkstatt versuchte, die Steinbilder mit dem Dampfstrahler und einem Pinsel vom Ruß zu säubern.
Und die durch die Hitze abgeplatzten Steine – nicht mit Ponal, sondern mit Heißkleber, welch ein Fauxpas! – wieder festzumachen.
Obwohl Mary Bauermeister von jedem Stein noch wusste, wo sie ihn vor Jahren einmal angeklebt hatte – dochdoch: das ist wirklich wahr! –, war das Unterfangen vergebene Liebesmüh’.
Und irgendwann, bei einem unser nächsten Besuche, stand plötzlich eine neue Hütte im Märchenreich.
“Schöner kann man das nicht machen”
Gemeinsam mit Student*innen der Alanus Hochschule in Alfter hatte Mary Bauermeister aus den verkohlten Überresten von Oberagger, ein “Brandopfer”, neue Kunst gemacht: Phoenix aus der Asche.
Mary Bauermeister freute sich unbändig, uns die neue Hütte zu zeigen. “Schöner als das Feuer kann man das nicht machen”, sagte sie im Innern. “Jetzt habe ich meinen Frieden mit dem Brand.”
Von der Phoenix-Hütte und unserem Gang dorthin durch den Garten hat Einer von uns damals auch ein Foto-Buch gemacht. In der ihm eigenen Bescheidenheit wollte er zwar nicht, dass wir das schreiben, aber Mary Bauermeister fand die Fotos “mal wieder grandios”.
Eigentlich war es ein persönliches Geschenk für Mary Bauermeister: Es gibt nur EIN gedrucktes Exemplar, irgendwo im Märchenreich muss es noch liegen.
Aber zum 90. Geburtstag schenken wir es der Menschheit hiermit als pdf.
Mary Bauermeister wird auf ihrer neuen Ebene sicher nichts dagegen haben. (07.09.2024)
Mary Bauermeister in der KunstArztPraxis:
Mary Bauermeister: Abschied vom Märchenreich
Mary Bauermeister: Begräbnis mit Feldsalat
Ebenen gewechselt. Zum Tod von Mary Bauermeister
Im Märchenreich: Zu Gast bei Mary Bauermeister
Ach ja: Zwei von uns haben auch ein Buch übers Märchenreich gemacht, das man im Buchladen seines Vertrauens erstehen kann.
Hier liegen zwei Exemplare der Erstausgabe von 2021 auf Mary Bauermeisters damals immer reich gedecktem Küchentisch.
Diese Erstausgabe war nach drei Monaten bereits vergriffen, aber die zweite Auflage noch nicht ganz. Kostenpunkt: 29,90 Euro.
Welch ein herrlicher Fotostreifzug, leicht, abschweifend und fokussierend zugleich – auch für diejenigen, die nie vor Ort waren! Danke für die Veröffentlichung.
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank, lieber Herr Nachtigäller! Das zu lesen freut uns Alle sehr.
Fabelhafte Fotos! Künstler*innen Ateliers sind doch immer spannende Orte. Am besten gefällt mir der “gedeckte” Tisch. 😉
Es sind damals 30 Werke verbrannt bzw. beschädigt worden, die Legende, es seien bei dem Brand 10 Jahre Arbeit vernichtet worden ist aus Mutters Hang zur Dramatisierung geboren, zum Glück waren es “nur” 30 Werke (von hunderten, die dort entstanden sind), eins davon – hervorragend restauriert – wird bestimmt bald im Museum hängen. Und es war ein Sharan und kein Opel ????
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank zur Richtigstellung, Herr Stockhausen! Dann sind wir der Legende aufgesessen. Der Ort ist trotzdem verbrannt, die Fake News haben wir korrigiert. Erinnerung bleibt eben trügerisch. Und auf das Werk im Museum – welchem Museum? – freuen wir uns schon! Ihre KunstArztPraxis.
Hach, was für schöne Aufnahmen. Die liebe Frau Fluxus!! Danke für die Erinnerungen an eine großartige Künstlerin.
Antwort KunstArztPraxis: Sehr gern geschehen. Wir vermissen sie sehr. Die KunstArztPraxis