Mit ihrer Malerei an der Schnittstelle zwischen Haut und Display, Herz und Hirn, analogem Antlitz und digitalem “Face” ist Vivian Greven eine der interessantesten jungen deutschen Künstlerinnen. Ihr Düsseldorfer Atelier ist buchstäblich ein Ort der Grenzerfahrung.
Kann man sich dem Anderen nähern? Den Menschen? Den Dingen? Ist Berührung möglich, echter Kontakt? Das sind die Fragen, zu denen Vivian Greven in ihrer Malerei immer wieder zurückkehrt. “Das ist mein Lebensgefühl”, sagt die 1985 in Bonn geborene Künstlerin. “Diese Sehnsucht nach Haptik, dem Authentischen. Und gleichzeitig der Schmerz, nicht heranzukommen. Das Versagen.”
In ihrem Atelier in der Düsseldorfer Innenstadt setzt Greven dieses Lebensgefühl Schicht für Schicht in Gemälde um. Gern mit Motiven, die zwischenmenschliche Intimität und Wärme suggerieren. Und doch in fast schon grafisch abstrahierter Kälte trennscharf eingefroren sind. Wie jene klassizistischen Skulpturen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, die Greven, die zeitweise selbst eine Bildhauerklasse besuchte, inspirieren.
Im Screen gefangen
“Diese Skulpturen ziehen mich magisch an”, sagt Greven. Und stoßen auch ab. Weil sie unerreichbar sind. Im Museum, wo Berührung per Hausordnung unmöglich ist. Und in Grevens wichtigster Recherchequelle, dem Internet, wo die Objekte des Begehrens gänzlich entstofflicht in die digitale Ferne rücken sowieso. “Dann hänge ich am Screen fest, durch diese Oberfläche kommt man ja nicht durch.” Dieses Phänomen, etwas visuell erfassen, aber physisch nicht erfahren zu können, sei “faszinierend und enttäuschend zugleich”.
Früher waren Grevens Motive oft schon entrückte oder dem Betrachter abgewandte Gesichter. Und trotzdem noch stark gegenständlich. Inzwischen ist jegliche Porträtähnlichkeit aus ihnen gewichen. An ihre Stelle ist die Projektionsfläche für “das innere Gefühl der Unberührbarkeit” getreten, die als Resonanzraum für den Betrachter gedacht ist. Eine “intuitive Annäherung” an dieses existentielle Empfinden sei dieser Prozess gewesen, sagt Greven. “Das hat sich in meiner Arbeit offenbar einen Weg gebahnt zu einem Ausdruck.”
Bekannt wurde Greven durch die Bilder dieser Phase, die der nackten Oberfläche Tiefsinn verleihen. Und bei denen selbst die Intimität eines Kusses den Anhauch der Erstarrung und des Todes hat. Einige von ihnen waren 2019 in der Wanderausstellung “Jetzt! Junge Malerei in Deutschland” in Bonn, Wiesbaden, Chemnitz und Hamburg zu sehen.
Haut oder Display?
Auch wenn Greven in einer Serie bereits 2017 der ekstatischen Verzückung von Berninis Heiliger Theresa nachspürte, strahlen gerade diese Bilder für die Künstlerin etwas Sakrales aus. “Die haben etwas, das in mir auch eine Form von Ehrfurcht auslöst. So dass ich denke: Das hat Würde, das darf ich nicht antasten.” Da schließt sich der Kreis zwischen Weltempfinden und eigenem Werk, das den Schmerz der Kontaktlosigkeit bisweilen sogar als Wunde oder schattenhafte Leerstelle präsentiert.
So ist das, was Greven heute macht, eine Art Schnittstellenmalerei: auf der Grenze zwischen Haut und Display, Herz und Hirn, analogem Antlitz und digitalem “Face”, Nähe und Distanz, Stoff und Verpuffung – aber auch zwischen klassischer und ungemein aktueller Kunst. Das alles kann sich auf Gesichtern oder Händen spiegeln. Oder auf der seltsam schillernden Oberfläche jenes Elefanten, der Ende 2019 in einer Ausstellung in Köln zu sehen war und längst verkauft ist. Das gläserne Vorbild steht noch, etwas versteckt, mit Tierkollegen im Atelier.
Dabei ist trotz aller gebotenen Distanz und Ehrfurcht bemerkenswert, dass man sich Grevens auratischen Bildern sowohl intellektuell als auch mit interesselosem Wohlgefallen – also ganz ohne Schwellenangst, Wandtext oder Kuratorenführung – nähern kann. Beide Zugänge funktionieren, weil Greven das Hermetische der Gemälde sehr zugänglich präsentiert. Und doch reichen beide Zugänge nicht aus, um der coolen – besser: unterkühlten – Sinnlichkeit der Bilder Herr zu werden. Was ja gewollt ist.
Kitsch ist kein Kriterium
Ist das zu schön? Allzu perfekt? Sogar zu kitschig? Schon an der Düsseldorfer Kunstakademie, die Greven als Meisterschülerin von Siegfried Anzinger 2015 verließ, seien das Kritikpunkte gewesen, sagt die Künstlerin. “Dabei ist das überhaupt nicht mein Thema.” Denn das Schöne ergibt sich einfach aus dem, was Greven zeigen will. Perfekt wirken die Bilder, weil Greven ihr Handwerk mit Leichtigkeit beherrscht. Und Kitsch sieht ohnehin anders aus.
Zumindest für Greven ist ihre Kunst eine gewisse Rettung. Denn Malerei ist nicht nur die “perfekte Schnittstelle” zur Darstellung der schmerzhaften Distanzerfahrung. “Malerei ist für mich wie Atmen. Ein Mittel zur Filterreinigung meines Ichs, die mir hilft, wieder stärker in meiner Essenz zu sein. Und ein bisschen wie eine Haut, wie eine Oberfläche, die mit mir kommuniziert”, sagt Greven. Wobei der Pinsel als verlängerter Arm der direkten Berührung natürlich immer noch wie eine Prothese im Wege steht.
Im Atelier arbeitet Greven sowieso immer an mehreren Gemälden gleichzeitig. Und immer nur an einem Teilbereich. Weil die Ölfarbe trocknen muss, bevor die nächste Schicht aufgetragen oder das gelbe Klebeband abgezogen werden kann. Aber auch aus seelischen Gründen. “Ich brauche sehr viel Konzentration”, sagt Greven. “Ich muss mich sehr fokussieren. Das ist sehr anstrengend und kostet viel Energie. Da brauche ich öfters eine Pause. Oder ein Stück Brot.”
Algorithmus Apfel
Ins Gesamtbild passt, dass Greven immer Schnittblumen hat im Atelier. Künstlich am Leben gehaltene Wesen zwischen Leben und Tod, im pastellenen Farbton und der zarten Stofflichkeit nah dran am Werk. “Irgendetwas rührt das an in mir”, sagt Greven. “Das ist so eine vergängliche Schönheit, und so empfinde ich das Leben auch. Ich lebe sehr stark mit dem Bewusstsein, dass ich fragil bin. Dass mein System nicht von Dauer ist. Und dass es kostbar ist, jeden Moment zu erfahren.”
Der entscheidende, existentiell verändernde Moment ist wichtig auf Grevens Bildern. Auch in der aktuellen Werkphase, in der unter anderem Äpfel eine besondere Rolle spielen. Es ist “ein neuer Blickwinkel auf mein immergleiches innerstes Thema”, wie Greven sagt. Der Augenblick des Sündenfalls kommt einem in den Sinn, das Urteil des Paris, Schneewittchens halbtödlicher Biss oder Wilhelm Tells finaler Rettungsschuss. Assoziationen wie diese sind gewollt. “Schließlich habe ich mich bei der Recherche auch vom Algorithmus treiben lassen.” Der Resonanzraum darf schwingen.
Momentan sind nur wenige Arbeiten im Atelier: Einige wurden gerade für die Kunstmesse ARCOmadrid nach Spanien gebracht. Ein paar der noch verblieben neuen Bilder sollen auf der Mailänder Kunstmesse MiArt zu sehen sein. Oder auf Grevens Solo-Schau im Kunstpalais Erlangen. Aber da ist bei den neuen Schnittstellenbildern vieles noch im Fluss. “Wo es hingeht, kristallisiert sich gerade erst heraus.”
Was sich auch herauskristallisieren mag: Vivian Greven wird ihren Weg hier selbstbewusst weitergehen. Ohne Berührungsängste. Aber mit Herz und Verstand. (06.03.2020)
Zuerst auf wdr3.de.
Was für eine wunderbar ätherisch anmutende Leichtigkeit und Tiefe zugleich aus diesen Bildern spricht – wow.
Antwort KunstArztPraxis: Diesem Urteil können wir uns nur anschließen, liebe Frau Waschka. Auch von daher an der Schnittstelle. Ihre KunstArztPraxis