159,2 Millionen für van Goghs “Gurkenmädchen”!
Es ist DIE Sensation des noch jungen Auktionsjahres: Ein bislang unbekannter van Gogh, der schon Pablo Picasso gehörte, hat bei einer Versteigerung in Köln am 170. Geburtstag des Malgenies alle Rekorde gebrochen. Das “Mädchen mit den Gurkenscheiben” ist van Goghs einziges Bild mit dem Obst als Motiv.
Es war ein genialer Coup von Sotheby’s Köln, eine Sensation für den deutschen Auktionsmarkt – und ein tolles Geschenk für Vincent van Gogh obendrein: Am Abend seines 170. Geburtstags (30.03.2023) kam sein “Mädchen mit den Gurkenscheiben” (1888) nach einem aufregenden Bieter-Gefecht für rund 159,2 Millionen Euro (inkl. Aufgeld) unter den Hammer.
Taxiert war das relativ kleine Bild auf lediglich 1.500.000 bis 2.500.000 Euro gewesen.
Modigliani ausgekontert: Van Gogh im IAI-Ranking wieder auf Platz Vier
Damit rutschte van Gogh auf dem “Internationalen Auktions-Index” (IAI) der weltweit teuersten Künstler von Platz Fünf hinter Pablo Picasso (160,3 Millionen Euro) auf Platz Vier – und konnte an Amadeo Modigliani (157,2 Millionen Euro) nach acht Jahren erstmals wieder vorbeiziehen.
Unangefochtener Spitzenreiter bleibt aber Leonardo da Vinci (415,4 Millionen Euro), gefolgt von Andy Warhol (179,8 Millionen Euro).
Den Zuschlag erhielt ein nicht näher genannter Bieter am Telefon. Dem Vernehmen nach soll es sich aber um einen Geschäftsmann für Import-Export aus den Vereinigen Arabischen Emiraten handeln.
“Die Zeiten, in denen Gemälde van Goghs reihenweise in japanischen Tresoren verschwanden wie die Sonnenblumen in den 1990er Jahren, sind offenkundig vorbei”, sagte Auktionator Jeppe van Hallstein (42) auf der eigens anberaumten Pressekonferenz. Der Kunstmarkt habe im oberen Preissegment “global eine interessante regionale Verlagerung” erfahren.
Teuerster van Gogh aller Zeiten war vor zwei Jahren Flohmarkt-Schnäppchen
Das “Mädchen mit den Gurkenscheiben” war erst 2021 – und in sehr schlechtem Zustand – auf einem Flohmarkt in Marseille–Aix-en-Provence aufgetaucht und bis zur Versteigerung unter größter Geheimhaltung von Grund auf restauriert worden.
Das Bild zeigt die 14-jährige Marie-Thèrese Roulin, das vierte (adoptierte) Kind der sechsköpfigen Familie des Postboten Joseph Roulin, die van Gogh in vielen seiner besten Porträts immer wieder festgehalten hatte.
Woher kommt die Ähnlichkeit mit Frida Kahlo?
Auffallend sei die Ähnlichkeit mit der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, so van Hallstein: bemerkenswert, da sich van Gogh und Kahlo nach bisherigem Forschungsstand nie begegnet seien. “Womöglich muss jetzt Kunstgeschichte neu geschrieben werden.”
Das inzwischen auch liebevoll “Gurkenmädchen” genannte Gemälde ist van Goghs einziges Werk mit Gurken als Motiv. Dies könnte den Preis ebenso in die Höhe getrieben haben wie der Umstand, dass sich das Bild zeitweise im Besitz Pablo Picassos befand.
Zunächst galt die Echtheit des Bildes als umstritten
Nach seiner Wiederentdeckung galt die Echtheit des “Mädchens mit den Gurkenstücken” zunächst als umstritten – wohl auch wegen der in Fachkreisen als “dilettantisch” kritisierten Restaurierung. Dann tauchte ein Brief van Goghs an seinen Bruder Theo auf, in dem von einem “netten Mädchen” (“lekker meisje”) die Rede ist, “das mir jeden Morgen geschnittene Gurken bringt”.
In der niederländischen Medizin galten Gurken bis zur Jahrhundertwende als Arznei. Offenbar wollte die Familie Roulin dem gesundheitlich stark angeschlagenen Maler – vielleicht auf Ratschlag des befreundeten Arztes Paul-Ferdinand Gachet – so helfen.
Endgültige Gewissheit über die Echtheit brachte ein Foto der Surrealistin Dora Maar, die von 1936 bis 1943 Picassos Muse war und unter anderem den Enstehungsprozess von Picassos Antikriegsbild “Guernica” (1937) mit der Kamera dokumentiert hatte.
Das Foto zeigt den spanischen Künstler Anfang der 1940er Jahre rauchend in seinem Pariser Atelier mit dem – allerdings noch überaus kitschig gerahmten – Gemälde (links).
Wie das Gurkenmädchen in den Besitz Pablo Picassos kam, ist noch weitgehend unklar. Aber der Künstler scheint es wie seinen Augapfel gehütet und sogar mit auf Reisen genommen zu haben.
Gestohlen von Picassos Elektriker?
Experten vermuten zudem, dass van Goghs Motivwahl Picasso zu seinem “Stilleben mit Gurken” (1939) inspiriert haben könnte.
Dieses Bild gilt seit den 1970er Jahren als verschollen. Vermutlich wurde es von Picassos Elektriker Pierre Le Guennec aus Picassos Villa “La Californie” in Cannes entwendet und an einen befreundeten Mafiaboss zur Begleichung von Spielschulden veräußert.
Rechts eine Farbrekonstruktion des Gemäldes mittels der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten PigmentierRekonstruktionsMethode (PRM) im Magnetresonanztomographen (MRT).
Nach eigenen Angaben hat der anonyme Einlieferer auf dem Flohmarkt rund 50 Euro für das “Mädchen mit den Gurkenscheiben” bezahlt. Da hatte das Gemälde nach Recherchen des Auktionshauses schon eine abenteuerliche Odyssee hinter sich.
Demnach gehörte der letzte Maharadscha von Jaipur, Bhawani Singh (1931-2011), ebenso zu den Besitzern wie der russische Gemüsemarkt-Oligarch Konstantin Putschewko (1944-1998) und die tschechische Schauspielerin Libuše Šafránková (1953-2021), die durch den Film “Drei Nüsse für Aschenbrödel” (1973) weltberühmt geworden ist.
Veganes Bild mit tierischen Pigmenten
Putschewko schenkte Šafránková das “Gurkenmädchen” 1976 anlässlich ihrer Hochzeit mit dem Schauspielerkollegen Josef Abrhám – wohl auch, weil das Werk trotz des passenden Motivs seiner radikalen Fokussierung auf eine Kunstrichtung widersprach, die heute unter dem Schlagwort der “Veganic Art” (VA) ebenso im Trend liegt wie NFTs.
Van Gogh hatte dem Bild in geringem Maß Farben wie Karmin, Cochenille oder Purpur beigemischt, deren Pigmente aus Schildläusen und Schnecken gewonnen werden.
Der van Gogh fürs “Gurkenmuseum der Moderne”
Als einen der letzten Besitzer konnte das Kölner Auktionshaus den berühmten “Gurkenfotografen” Ricardo Reuss (1951-1993) eruieren, dem der österreichische Bildhauer Erwin Wurm laut eigener Aussage den Einfall mit der für sein Werk zentralen Frucht verdankt.
Reuss verfolgte jahrzehntelang den Traum eines “Gurkenmuseums der Moderne” und hatte hierfür eine bedeutende Sammlung entsprechender Werke – neben van Gogh von René Magritte (links) oder von Piet Mondrian (unten) – zusammengetragen.
Detaillierter Bestandskatalog eines geplanten Privatmuseums
Für dieses Privatmuseum erstellte Reuss einen detaillierten Bestandskatalog seiner rund 1.150 Werke umfassenden Sammlung. Dort ist das Gemälde van Goghs als Inventarnummer VG023a unter dem etwas profanen (und nicht ganz korrekten) Titel “Cucumber Girl, 1887” geführt.
Die Provenienz des Bildes gilt damit trotz der fehlenden letzten drei Jahrzehnte als nahezu lückenlos dokumentiert – laut Auktionator van Hallstein eine Seltenheit bei Werken dieser Güte.
Kommt im Herbst das Gurkenmesser unter den Hammer?
Und noch etwas brachte die detektivische Recherche von Sotheby’s zutage: Laut Auktionator Jeppe van Hallstein ist nicht auszuschließen, dass sich van Gogh mit demselben Messer, mit dem Marie-Thèrese Roulin die Gurken für ihn schnitt, nach dem Zerwürfnis mit Paul Gauguin im Gelben Haus in Arles 1888 sein Ohr verstümmelt hat! Dafür spricht, Hallstein zufolge, “einiges”.
Das Messer soll deshalb im Herbst 2023 bei der Gala-Abendauktion “A Short History of Arts in Artist’s Objects” angeboten werden, diesmal aber im Sotheby’s-Hauptsitz in New York: Verhandlungen mit den Erben laufen.
2019 hatte der Revolver, mit dem van Gogh Selbstmord begangen haben könnte, bei einer Versteigerung in Paris 162.500 Euro eingespielt.
Ernsthaft kein Gemüse solo
Interessant für Kunstgeschichtler*innen ist sicher auch, dass es sich bei Gurken im botanischen Sinn um Obst – und keineswegs um Gemüse! – handelt. Auch darauf wurde im Vorfeld der Kölner Versteigerung in einer ausgeklügelten Medienkampagne in den Sozialen Medien immer wieder ausdrücklich hingewiesen.
Damit bleibt Vincent van Gogh wohl der einzige große Maler der Moderne, der nie ernsthaft versucht hat, Gemüse zu malen. (01.04.2023)
Anmerkung1: Inzwischen hat der neue Besitzer mitgeteilt, das von ihm ersteigerte Bild als Dauerleihgabe an de Louvre Abu Dhabi geben zu wollen. Vielleicht wird das Gurkenmädchen also bald in unmittelbarer Nachbarschaft zum Erlöser (“Salvator Mundi”) von Leonardo Da Vinci hängen (sobald dieser ausgestellt werden wird natürlich nur!). Insgesamt wären das dann mindestens 574, 6 Millionen Euro Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft, verteilt auf nur zwei Werke! Eine Weltsensation, auf die wir uns schon freuen.
Anmerkung 2: Im Umfeld des 50. Todestags von Pablo Picasso (08.04.2023) kommt am 5. Juni 2023 bei der 500. Versteigerung des Kölner Auktionshauses VAN HAM Pablo Picassos “Buste de femme” (1971, Zervos Vol. 33, WVZ.-Nr. 156) unter den Hammer. “Eine Sensation für den deutschen Auktionsmarkt” (VAN HAM). Taxe auch hier: 1.500.000 bis 2.500.000 Euro. Merkwürdig, wie beim Gurkenmädchen!
Unser Tipp: Investieren Sie Ihre Millionen und bieten Sie mit! Vielleicht bricht das Bild ja auf diese Weise sogar unseren Van-Gogh-Rekord! Dann würden wir sicher wieder berichten.
Nachtrag: Die These, dass Vincent van Gogh nie ernsthaft versucht haben soll, Gemüse zu malen, gilt in Kunstwissenschaftler*innenkreisen inzwischen als widerlegt. Auktionator Jeppe van Hallstein möchte aber an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es sich auch bei den angeführten Werken nicht um “ernsthafte Versuche van Goghs” gehandelt habe. Etwas anderes habe er nie behauptet.
Ricardo Reuss: Der Fotograf der Gurke
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was für eine unseriöse Seite. Die Fotografie von Picasso ist photoshopped – so eine Enttäuschung je auf eure Seite gekommen zu sein. Ich bereue es mit jeder Faser meines Daseins. So ein Mist, was ihr da schreibt. Das Gurkenmädchen hat Van Gogh nicht gemalt – das Bild gibt es überhaupt nicht.
Antwort KunstArztPraxis: Sehr geehrte Frau Kinsthoistorikerin, es tut uns sehr leid, dass Sie unser Beitrag vom 1. April 2023 in eine derart ausgeprägte existentielle Krise gestürzt hat. Tatsächlich hatten wir die Triggerwarnung vergessen: Es soll nicht wieder vorkommen. Zwei Sachen allerdings müssen wir korrigieren: Die Fotografie von Picasso ist photogelightroomed. Und das Bild vom Gurkenmädchen gibt es natürlich doch, Sie können es ja sehen! Nur von van Gogh ist es vermutlich wirklich nicht.
In der Hoffnung, dass es jeder Faser Ihres Daseins bald wieder besser geht, Ihre – natürlich unseriöse, darauf legen wir viel Wert! – KunstArztPraxis.
Ach ja: Am 1. April 2024 bringen wir wieder etwas, was auf zartbesaitete Kinsthoistoriker*innen-Seelen verstörend wirken könnte! Nur so als Triggerwarnung, die wir ja weiter oben ab sofort versprachen: Für den Fall der Fälle, dass Sie sich doch nochmal unbeabsichtigt auf unseren Mist verirren.
Wir wünschen es Ihnen nicht.
P.S.: Sie sind da wirklich einer ganz großen Sache auf der Spur! Bleiben Sie dran.