Der Herr im Kunstpalast. „Elias Sime. Echo“
Aus Drähten und Kabeln, Uhren, Knöpfen, Motherboards und Tastaturen schafft der äthiopische Künstler Elias Sime mit traditionellen Techniken Webmuster unserer digitalen Gegenwart. Was auf den ersten Blick schön & hoffnungsvoll wirkt, offenbart auch Abgründe. Das geht bis in die Betrachtung seines Werks.
Neulich haben wir einen älteren Herrn durch den Kunstpalast hetzten sehen. Er blieb vor jedem Werk nur kurz einmal stehen, um es mit seinem Smartphone zu knipsen. Dieser Herr hat der Kunst von Elias Sime nicht EIN-MAL direkt in die Augen geschaut: Immer war das Display dazwischen.
Von Elias Sime hat dieser Herr im Grunde nichts gesehen. Statt Kunst nur Nullen und Einsen.


Wenn dieser Herr allerdings etwas gesehen HÄTTE, wenn er mit den Augen hätte denken können – oder doch zu mindest mit dem Knie –, dann hätte dieser Herr an der Wand & auf dem Boden im Kunstpalast seiner eigenen Entfremdung in die Eingeweide geblickt.
Das ist ja ein Teil der Erzählung, wenn man wie Elias Sime in Bildern denkt.
Tradition & Moderne
Für uns ist das eine sehr anschauliche Form von visueller Oral History über unsere auf vielfältige Weise abstrahierte Gegenwart – aufgeschrieben in Texturen, die mit den traditionellen – und meistens kommunikativen – Kulturtechniken des Stickens, Knotens oder Webens verfasst worden sind.
Elias Sime, „Tightrope: We Are All Green: Swollen Waves“ (2020, Detail), Kunstpalast, Düsseldorf 2025

Elias Sime, „Echo“, Ausstellungsansicht mit smartphoneknipsender Dame, Kunstpalast, Düsseldorf 2025
Fest steht auch, dass diese abstrakte Zivilisations-Schrott-Reliefs aus Computern und Musikanlagen, Fernsehern und Telefonen, Radios und Mediaplayern recht ambivalente Geschichten erzählen: SO technikfeindlich wie wir Drei von der KunstArztPraxis ist Elias Sime ja nicht.
Die Tastatur der Vielen
Es sind Geschichten von Ausbeutung und Kommunikation gleichermaßen; von Verbindung und Isolation; von Trostlosigkeit und Hoffnung. Auf den Tastaturen dieser Assemblagen haben ja Menschen Texte für andere Menschen geschrieben, von diesen Uhren ihre Lebenszeit abgelesen – NACHDEM die Tastaturen & Uhren von anderen Menschen zusammengebaut und verkauft worden sind.

Elias Sime, „Tightrope: Dichotomy: No. 4“ (2023/2024, Detail), Kunstpalast, Düsseldorf 2025
Und BEVOR wieder andere Menschen sie – zum Beispiel – auf dem Markt von Adis Abeba verkauft oder vom Straßenboden aufgesammelt, auseinander genommen, nach Ähnlichkeiten sortiert und wieder neu zusammengesetzt haben.
Das ist die große Kunst dieser Bilder. Das im Ausstellungs-Titel bezeichnete Echo (amharisch: „የገደልማሚቶ“) ihrer Schönheit.
„Es geht nicht um Äthiopien. Es geht nicht um Afrika.
Elias Sime
Die Globalisierung ist überall. Es geht um das menschliche Leben.“

Nicht umsonst hat Elias Sime seine zentrale Werk-Serie „Tightropes“ genannt: die Anglizisierung des amharischen Begriffs für ein Seil, das – wie von Artist*innen in der Zirkuskuppel – beansprucht wird. Das passt.
Der ist – für uns – schon abgestürzt
Für uns ist Simes Kunst nämlich im oben von uns nacherzählten Sinn ein Drahtseilakt, der aus schwindelerregender Höhe mit großem Geschick unter anderem herabschaut auf unsere vielfältig bunte, aber eben auch immer abstrakter, digitaler werdende Welt.
Und wer nicht mitschaut wie unser Herr im Kunstpalast, wer das Display seines Smartphones zwischen sein Auge und das Kunstwerk schiebt, statt im Hier & Jetzt denkend & staunend einzutauchen, der ist für uns schon abgestürzt.


In gar nicht allzu ferner Zukunft wird auch besagter Herr sein rapide veralterndes Smartphone entsorgen – vielleicht hat er sich seine Fotos der Ausstellung, die mit dem Apparat verschwinden, bis dahin nicht einmal angeschaut.
Auf der Müll-Kippe
Vielleicht reist sein Smartphone dann auf die größten Müllkippe der Welt in Ghana, um von Kindern unter giftigsten Dämpfen von Gold, Coltan oder Kupfer befreit zu werden.
Oder es kommt auf den Markt von Adis Abeba, wo Elias Sime es findet & auseinandernimmt, sortiert & mit seinem Team auf einem Kunstwerk wieder in Ordnung bringt.
Elias Sime, „Tightrope: Dichotomy: No. 1“ (2023/2024), Kunstpalast, Düsseldorf 2025
Und, ja: wer weiß – vielleicht kommt dann der Mann aus dem Kunstpalast bei einer anderen Ausstellung an einem anderen Ort nochmals mit den Innereien seines alten Smartphones in Kontakt, auf dem noch immer seine Fotos von Elias Simes Ausstellung im Kunstpalast gespeichert sind: mit SEINEM Echo.
Man könnte dieses Echo mit dem Megaphon herausbrüllen: Der Herr vom Kunstpalast würde es nicht hören. (23.3.2025)
„Elias Sime. Echo“ ist noch bis zum 1. Juni 2025 im Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.

Appendix: Natürlich könnte alles auch ganz anders sein !
Natürlich kann alles auch ganz anders sein. Der ältere Herr vom Kunstpalast könnte zum Beispiel zuvor schon einmal über Stunden durch „Echo“ geschlendert sein, sich den Werken angemessen nähernd; und dann ist er nur noch einmal kurz zurückgekommen, um Fotos für seine Freunde im fernen Prien am Bodensee Chiemsee zu machen: Weil er so fasziniert von der Ausstellung gewesen ist und diese Beglückung teilen wollte.
Die smartphoneknipsende Dame von unserem dritten Foto hat vielleicht einer bettlägerigen, kunstaffigen Freundin, die nie wieder ins Museum gehen kann, eine Freude machen wollen.
Und der webexende Mann mit dem Laptop ist im echten Leben Sime-Spezialist und sprach gerade mit der Kuratorin und einer Galeristin sowie dem Künstler in Addis Abeba über die toxische Kinderarbeit auf den Müllkippen in Ghana, als wir ihn sahen. Die Wirklichkeit könnte ja theoretisch tatsächlich genauso ambivalent sein wie Elias Simes Kunst.
Man muss offen bleiben. Man DARF nicht verbittern! Ihre KunstArztPraxis.
Der Kunstpalast in der KunstArztPraxis:
Gute Kunst? Cornelius Völker in Düsseldorf (leider Opfer der Unsichtbarkeit-Maschine)
Funky Funky Funky: Das Kunstpalast-Electro-Quiz (leider kein Gewinn-Spiel mehr)
Pack’s aus! Das Christo-und-Jeanne-Claude-Quiz (leider kein Gewinn-Spiel mehr)
Lüster, Glaube und Verfall: Das Barock-Modern-Quiz (leider kein Gewinn-Spiel mehr)
Kann die kunstaffige Freundin,die nicht mehr ins Museum kann, denn noch Zoo?
Danke für das neue Rezept, ich hatte geschwankt, ob ich dafür die lange Fahrt auf mich nehme, jetzt bin ich überzeugt.
Prien liegt am Chiemsee;)
Ansonsten d’accord!
Antwort KunstArztPraxis: Ogottogott, wie konnte das passieren? Dabei hat ein Teil von uns dort vier Monate mal gewohnt! Und bei Hans von Hoermann in Prien am Chiemsee waren wir auch einmal!! Herzlichen Dank auf jeden Fall, Frau Kati. Wir haben das verbessert. Ihre KunstAztPraxis.