Hombroich, natürlich: Der unsichtbare Insel-Gärtner
Tobias Maiwald ist eine Art unsichtbarer Gärtner: Mit seinem Team gestaltet er die Landschaft des Museums Insel Hombroich nämlich so, dass man die Arbeit möglichst nicht bemerkt. Wir durften die Insel gemeinsam mit ihm erkunden. Und das war ein besonders erhellendes Vergnügen.
Wer das Privileg hat, am frühen Morgen vor Öffnung des Museums über die Insel Hombroich streifen zu dürfen, der kann mit etwas Glück auf einem Baumstumpf beim Weiher des Alten Parks den Eisvogel entdecken.
Tobias Maiwald hat das Privileg. Und das Glück hat er auch.
„Gerade vorhin habe ich den Eisvogel da hinten sitzen sehen“, sagt der Gärtner, als wir gemeinsam über die Brücke von der Hohen Galerie zum Rosa Haus hinüberschlendern. „Das Blau seines Gefieders schimmerte wieder mal ganz wunderbar.“
Wir können uns den Zauber des blauen Schimmerns am Weiher nurmehr aus Maiwalds Begeisterung erschließen: Er muss beeindruckend sein.
Sein scheuer Verursacher steckt wohl längst schon wieder im verwunschenen Pappelwald, wo im Frühjahr die Farne sprießen und der Bärlauch blüht: Es ist einer der vielen Rückzugsorte für Tiere auf der Insel, die zu einem Drittel Landschaftsschutzgebiet ist.
Die meisten Besucher*innen würden gleich zum Turm und ins Labyrinth weiterwandern, sagt Maiwald: „Auf die schmalen Pfade des Pappelwalds verirren sich die wenigsten.“ Gut für den Vogel. Und gut für die Natur.
Der Alte Park mit seinem Buchsbaum- und Hortensiengarten ist Maiwalds erklärter Lieblingsort – nicht nur des Eisvogels wegen.
Der Park ist komplett von einem entschlammten Alt-Arm der Erft umflossen: die echte Insel der Museumsinsel. Sein riesiger Tulpenbaum, die breitkronige Esche und die imposanten Platanen stammen noch aus Zeiten, als das 1816 hier errichtete Rosa Haus klassizistische Kommerzienrats-Villa war.
Dieses phantastische Zypressengrün!
Auch die fast 40 Meter hohen Sumpfzypressen im Alten Park sind schon über 200 Jahre alt. Und ein überaus beeindruckendes Naturdenkmal sind sie auch.
„Die Sumpfzypressen sind ja laubabwerfend“, sagt Maiwald, als wir zum Teich an der Orangerie weiterschlendern. „Und im Frühjahr, wenn das Laub neu austreibt und die Sonne da durchscheint – dieses Grün ist so phantastisch!
Also, der Teich mit seinen Sumpfzypressen, der gibt mir einfach immer wieder was zurück.“
Einen Tag vor seinem Bewerbungsgespräch sei er noch einmal hergekommen und habe sich an den Teich gesetzt, um das alles auf sich wirken lassen, sagt Maiwald. Seit März ist er nun das, was mit Gärtner eigentlich nicht so richtig beschrieben ist.
Natur- und Landschaftspfleger trifft es eigentlich besser.*
*“Gärtner“ sagen wir im Folgenden nur noch aus poetischen Gründen…
Ein Denken in Form & Farbe, Stimmung & Wirkung
Vielleicht auch Landschafts-Architekt? Denn bevor Maiwald im März nach Hombroich kam, hat er sein Architekturstudium mit einer Arbeit über Raumgestaltung abgeschlossen – bei Marc Mer, einem kunstaffinen Professor aus Österreich.
Ohnehin ist Maiwald einer, der in schimmernden Farben denken kann. In Stimmungen aus Licht. In (organischen) Formen. In Raum & Wirkung.
In unseren Augen passt er also gut an diesen Ort, der von Künstlern mitgestaltet wurde, die ebenfalls in schimmernden Farben, Licht-Stimmungen, Raum-Wirkungen und (geometrischen) Formen dachten.
Auch dem Sammler Karl-Heinrich Müller und sein erster Landschafts-Architekt Bernhard Korte dachten bei der Naturgestaltung so: Wie die versammelte Kunst, so sollte auch der Landschaftsraum von Hombroich ein alle Sinne berührendes Spiel von Farben, Stimmungen und Formen sein.
Kunst parallel zur Natur – oder Natur parallel zur Kunst?
„Es ging von Anfang an vor allem darum, Pflanzengemeinschaften aufeinander abzustimmen, Kontraste etwa durch verschiedene Blattgrößen oder Blattformen in Bezug zu setzen“, sagt Maiwald.
Da stehen wir im Alten Park auch schon vor den majestätischen, ursprünglich aus den Moor- und Sumpflandschaften Südbrasiliens stammenden Mammutblättern, die an dieser Stelle ganz wundervoll & eher bescheiden mit den filigranen Farnen korrespondieren.
Wichtig seien außerdem „unterschiedliche Blütenzeitpunkte“ gewesen: Auf dass in Hombroich nicht nur immer Grün sei, sondern möglichst immer auch Rot, Blau, Gelb, Rosa oder Weiß.
Und: Als wir im Gespräch am Labyrinth einmal die englische Parkgestaltung gegen die französische ausspielen, um vorm Fachmann mit Bildung zu glänzen, ist Maiwald differenzierter:
„Mit so einer Klassifizierung tue ich mich bei Hombroich schwer. Das hier ist ja keine Landschaftsgestaltung im üblichen Sinn, sondern immer in Korrespondenz mit der Kunst. Kunst parallel zur Natur.“
„Kunst parallel zur Natur“: Dieses – etwas verkürzte – Motto Cézannes hört man allenthalben von den Hombroich-Machern. Natur parallel zur Kunst träfe es in unseren Augen aber genauso gut, ansatzweise vielleicht sogar noch besser?
Denn die Natur ist hier ja eher so die magische Hülle, der Zylinder fürs Kaninchen, wenn man so sagen mag:
Ein Wald- und Wiesenrahmen, der Müllers zauberhafte Sammlung dem staunenden Betrachter dialogisch präsentieren soll – und auf den dann Erwin Heerich mit seinen eindrucksvollen „begehbaren Skulpturen“ aus Kuben, Quadern oder Kreisen zum Teil dann wieder reagierte.
Am Anfang war die Kunst des Sammlers: 1.700 Werke. Asiatische und afrikanische, und die klassische Moderne, die im November wieder ins momentan leere Labyrinth einzieht.
Motto-Geber Paul Cézanne inklusive.
Und dazu noch Kunst aus Karl-Heinrich Müllers Gegenwart.
Hombroich ist kein Landschaftspark!
Eines nämlich darf es auch beim Streifen durch die Insel nicht vergessen – schon gar nicht, wenn man im Schlepptau ihres Gärtners streift:
Hombroich ist kein Landschaftspark.
Hombroich ist ein Museum!
Auch wenn das einige Besucher*innen, die allen Ernstes versuchen, ihre Picknick-Decken auf den frisch gemähten Auen auszubreiten oder sich aufs Todholz zu platzieren, nachdem sie die aufgescheuchten Enten ins Wasser vertrieben haben, irgendwie nicht so recht begreifen wollen.
Am wenigsten gilt das schiefe Bild vom Zylinder fürs Kaninchen wohl im Alten Park mit seinem alten Baumbestand, der beim Ankauf durch Müller 1982 allerdings total verwildert war.
Ganz bestimmt aber gilt das bei den umliegenden Ackerflächen, die Karl-Heinrich Müller über Jahrzehnte Stück für Stück danach erwarb – und gemeinsam mit dem Idealisten Bernhard Korte sowie seinem wesentlich strukturierteren Nachfolger Burkhard Damm umgestaltet hat.
Die renaturierte Auenlandschaft mit ihren fischreichen Weihern beispielsweise, die wir uns gleich nach dem Treffen im Kassenhaus von einer Art natürlichem Feldherrenhügel aus mit Tobias Maiwald betrachtet haben:
Mittels Luftaufnahmen habe man hier versucht, den alten Erft-Arm wieder mit einzubinden, hat uns Maiwald beim Überblicken gesagt. „Und dann hat man jene Bereiche, an denen sich erkennbar Feuchtigkeit angesammelt hatte, ausgebaggert, Kopfweiden an die Ränder gesetzt und so diese Teichlandschaft geschaffen.“
Wir haben das Gelände, auf dessen sonst mannshohen, gerade aber abgemähten Wiesen mit ihren Lupinen die abgebrühten Graureiher gar nicht daran denken, sich mit dem Eisvogel im Pappelwald zu verstecken, genauer betrachtet: Hier wirkt alles so, als wäre es schon immer so gewesen.
Natürlich wirken ist das Zauberwort für diese künstlichen Paradiese, natürlich wirken für Maiwalds Arbeit.
Es ist tatsächlich anders als im klassischen Landschaftspark, wo Gärtner zwischen den Pflanzen Grenzen ziehen: Hier darf solange alles seinem Wesen nach ineinanderwuchern, bis es dem anderen den Atem raubt.
„Es kommt darauf an, ein gutes Mittelmaß zu behalten“
„Wir greifen nur dann ein, wenn eine Pflanze die andere zu sehr beeinträchtigt“, hat uns Maiwald dementsprechend auf der Brücke vor der Hohen Galerie gesagt: „Man soll es aber nicht bemerken.“ Es käme darauf an, „ein gutes Mittelmaß zu behalten“.
In diesem Sinne ist es Maiwalds Job, sich und seine Arbeit in diesem Reich natürlicher Künstlichkeit unsichtbar zu machen: Formen, Farben und Stimmungen sollen als Formen, Farben und Stimmungen der Sphäre der Natur zugeordnet bleiben.
Deshalb bleibt auch der Baumstumpf stehen, auf dem der Eisvogel im Park am Weiher sitzt, bevor die Gäste kommen. Oder das Totholz, vor dem weitere, noch riesigere Mammutblätter wachsen.
„Vielleicht fällt der Baum irgendwann alleine um“, sagt Maiwald. „Dann muss man wieder kucken, wie man mit der neuen Situation umgeht, was das mit den Mammutblättern macht. Aber ich hoffe, dass er noch eine Weile hält.“
Sich & seine Arbeit unsichtbar machen: Das ist eine Aufgabe, die Fragen provoziert. Was er eigentlich hier mache? Das bekommt Tobias Maiwald von Besucher*innen immer wieder mal zu hören. Eigentlich ist diese Ahnungslosigkeit der Gäste, wie wir finden, für seine Tätigkeit das größte Lob.
Sind die Durchblicke gewachsen?
In Hombroich sieht man nicht, wie stark die aggressiven Brombeernester im Sommer zurückgeschnitten werden mussten; die im Frühjahr sanft nachjustierten schmalen, teils meterhohen Durchgänge und -blicke im Alten Park könnten auch gewachsen sein.
Und im Idealfall registriert auch keiner, welche Schäden die Stürme, die Trockenheit oder das – für Hombroich besonders problematische – Eschentriebsterben in den letzten Jahren bei den Kopfbuchen in der Aue oder unter den Trauereschen vor der Cafeteria schon angerichtet haben.
Niemand bemerkt, dass Maiwalds Team drei Mal in der Woche überprüft, ob die Pumpen alle ihren Dienst tun: Die aus der Erft gespeisten Gewässer sind ja eben NICHT umgekippt, der Pegel im arrangierten Flusslauf um den Alten Park selbst bei wenig Wasser im Fluss stabil.
Gut für die Fische. Und für die abgebrühten Reiher.
Nur dass die kälteempfindlichen Wurzeln des Mammutblatts im Winter abgedeckt werden müssen: Das sind so Eingriffe, die man tatsächlich als Besucher*in sehen kann. Manches ist einfach nicht unsichtbar zu machen.
Unberührt wirkende Natur ist schön, macht aber besonders viel Arbeit. Das musste schon Karl-Heinrich Müller lernen.
Der habe zunächst geglaubt, man könne die Landschaft sich selbst überlassen, sobald sie fertig gestaltet sei, erzählt uns Tobias Maiwald. Eine wundervolle Blumenwiese wie in Monets Garten in in Giverny schwebte Müller auf einer seiner angekauften Ackerkrumen vor, aber er hatte die Rechnung ohne die Gülle der vorbesitzenden Bauern gemacht.
Der überdüngte Boden war vor allem für die ins Kraut schießenden Brennnesseln ein gefundenes Fressen: Die erste Blütenpracht fiel ihrer Überlebensaggression zum Opfer.
Unter Burkhard Damm folgten Jahre konsequenter Unkraut-Mähung. Dank guter Pflege blühen Wieseniris, Mädesüß, Blutweiderich und Wiesenknöterich inzwischen wieder. Und eine große Sortenvielfalt an Farnen und teils seltenen Magnolien, sowie, als weitere Rarität: Zaubernussgewächse, auch.
Dass Brennnesseln, Disteln und Brombeeren in Hombroich nicht Oberhand gewinnen, ist nicht zuletzt einem Freiwilligen-Team zu verdanken, das seit 2001, noch vom Sammler persönlich eingerichtet, existiert.
Rund 30 Mitglieder zählt es momentan: die jüngsten sind Anfang zwanzig, die ältesten in den Achtzigern und von Beginn an dabei. Jeden ersten Samstag im Monat kommen sie zur Unterstützung vorbei und ackern.
„Man ist ja generell immer etwas unterbesetzt“, sagt Maiwald. Momentan, nach der Baustellenphase rund um das gerade erst wieder eröffnete Labyrinth sind im Herbst zahlreiche Nachpflanzungen geplant. Rund um das Zwölf-Räume-Haus, das ebenfalls, wohl noch bis zum Sommer 2025, energetisch saniert wird, wird das dann weitergehen.
Ach ja: In der Nähe vom Zwölf-Räume-Haus gibt es noch einen Bauerngarten „mit einer ungeheueren Vielfalt an Obststräuchern und Obstgehölz“ (Maiwald), der von Karl-Heinrich Müller als eine Art Naschgarten konzipiert worden ist, wie uns der unsichtbare Insel-Gärtner zum Abschied noch erzählt: „Das war so ein bisschen die Sehnsucht von Herrn Müller, so einen Garten zu haben, wo man direkt von Bäumen und Sträuchern ernten kann.“
Dieser Bauerngarten sei in den letzten Jahren im Zuge der Bauarbeiten leider etwas verwildert und von Bauzäunen abgesperrt. Das wäre auch so ein Projekt der nächsten Jahre: „zu schauen, wie man den Bauerngarten wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt“.
Danke, Tobias Maiwald! Spätestens nach dem Ende des Dornröschenschlafs werden wir wiederkommen. Und sehen, hören, riechen, naschen. (04.08.2024)
Hombroich-Woche in der KunstArztPraxis:
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In Wunderkammern 3: Museumsinsel, Rosa Haus
Liebe Kollegen,
die Berichterstattung über die Insel Hombroich hat mir sehr gefallen, es ist ein wunderbarer Ort. Die dortige Sammlung mit Arbeiten des französischen Künstlers Jean Fautrier ist meines Erachtens sehr wichtig. In diesem Zusammenhang weise ich auf eine Ausstellung im Emil Schumacher Museum in Hagen hin. Dort wird Fautrier das erste Mal nach 40 Jahren in einer umfassenden Museumsausstellung gezeigt. Es gibt dort Arbeiten aus allen Schaffensperioden, das plastische Werk wird ,mit einer Ausnahme, komplett gezeigt. Der Katalog erscheint im Verlag Walter König.
Mit freundlichen Grüßen,
Theo Bergenthal
Antwort KunstArztPraxis: Lieber Herr Bergenthal, das ist, wie wir finden, ein wichtiger Hinweis. In Hagen sind ja auch, wenn wir das richtig sehen, Arbeiten Fautriers aus dem Museum Insel Hombroich zu sehen, so schließt sich der Kreis. Wir spielen seit einiger Zeit mit dem Gedanken, die Ausstellung zu besuchen, vielleicht schaffen wir es bis Oktober noch. Ihre KunstArztPraxis
Was für ein toller Abschluss eurer Hombroich-Woche! Das hat richtig Lust gemacht, mal wieder hinzufahren. Danke!!!