„Listen to the Echo“: William Kentridge in Essen
Bekannt wurde William Kendridge mit Trickfilmen aus Kohlezeichnungen, die sich vor allem mit (kolonialer) Unterdrückung befassen. Zum 70. Geburtstag widmen ihm die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und das Folkwang Museum eine Doppel-Schau. Letztere ist phantastisch. Und für uns ein Echo.
Wir kennen einen rechten Spießer, der wollte von Beruf unbedingt Tyrann werden. Hat er auch geschafft.
Dieser Spießer hat das Gemüt eines psychopatischen Kleinkinds, ist vulgär, verlogen, herzlos, raffgierig, größenirre, böse, trotzig, feige, menschenverachtend, rücksichtslos, narzisstisch, dumm – und sadistisch gegenüber Schwächeren ist er auch.
Und keiner hält ihn auf!
Gleich in den ersten Tagen seiner Regentschaft eliminiert er die andersdenkende Elite nebst zwei Ministerien, bevor er sich an den Ärmsten vergreift, die ihm zuvor verehrungsblind zugejubelt hatten.
Und alle knicken ein. Und keiner hält ihn auf.

Der geneigte Lesende hat es natürlich längst erkannt: Beim „dicken Hampelmann“ – O-Ton Gattin –, diesem „dicken Hanswurst“ – nochmal O-Ton Gattin – handelt es sich NICHT um Donald Trump, sondern um Père Ubu, um den herum der gerade einmal 15-jährige Schüler Alfred Jarry 1888 seine gleichnamige Marionetten-Posse schrieb.
Und dessen Theater-Fassung „Ubu roi“ (1896) Dadaisten und Surrealisten gleichermaßen verehrten.
„MUTTER UBU: Du bist zu grausam, Vater Ubu.“
Alfred Jarry, „Ubu Roi“ (1896)
VATER UBU: I wo, ich bereichere mich nur.“


Sonst wünschte sich der „rechte Lumpensack“ – nochmal O-Ton Gattin – ja keinen „großen Kalabreserhut“ wie Père Ubu, sondern ein albernes rotes Baseball-Käppi mit Pop-Prop-Sprüchen zum öden blauen Maßanzug.
Aber wenn Donald Trump Père Ubu wäre, dann würde er in Grönland und Kanada statt in Russland einmarschieren.
Er würde das Bildungsministerium auflösen. Der Wissenschaft die Autonomie rauben. Statistiken fälschen. Die Meinungsfreiheit abschaffen. Die Justiz unterminieren. Das Militär aufs eigene Volk hetzen. Frieden schaffen, um den Friedens-Nobelpreis zu bekommen. Lügen & betrügen ohne Ende.
Kurzum: Regieren wie ein Horror-Clown.
Foto oben: Auch auf diesem Tisch liegen ein paar Tyrannenköpfe! William Kentridge,“
Portraits for Shostakovich Symphony No. 10″ (2022), Museum Folkwang, Essen 2025

Und er würde in einer Umkehrung historischer Tatsachen rotzfrech behaupten, dass in Südafrika die Schwarzen an den Weißen Genozid begängen, Kotzdonner Schreiße noch einmal.*
*O-Ton Père Ubu, natürlich! Donald Trump würde niemals so
f**king fluchen. Und Hassrede beherrscht er ja schon gar nicht.
Vom üblen Echo der Geschichte
Wie gut, dass es da Künstler wie William Kentridge gibt! Der hat die ebenso grausamen wie absurden Strukturen der Macht nämlich genau studiert: anhand der in seiner Heimat Südafrika bis in die Neunzigerjahre gegen die Schwarzen gerichteten Apartheid, aber auch anhand von Alfred Jarrys „Ubu Roi“.
Eines seiner in Essen gezeigten Videos – „Ubu tells the Truth“ – trägt den Namen des banalen Autokraten im ironischen Titel. Es könnte aber auch, nach einem dieser Pop-Prop-Sprüche auf albernen Baseball-Käppis, „Trump was right about everything“ heißen.
Das üble Echo der Geschichte ist in der Essener Retrospektive – rund 320 Zeichnungen, Grafiken, Tapisserien und Film-Installationen aus fünf Jahrzehnten – nämlich überall zu hören.

Foto oben: William Kentridge, „Drawing For the Head & the Load
(O, The Trumpets We Used to Blow)“ (2018), Museum Folkwang, Essen 2025


Bekanntlich sind wir keine Freunde biografischer Werkdeutung, aber wir möchten dennoch aus guten Gründen betonen, dass William Kentridge als privilegiertes Kind der weißen Oberschicht – und später als privilegierter Erwachsener – in Johannesburg trotzdem der Versuchung widerstand, überheblich zu werden.
Sonst neigen ja vor allem Erben von Wohlstand & Ansehen zu einem gerüttelt Maß an Arroganz.
Bei William Kentridge mag das damit zusammenhängen, dass sein Vater neben anderen Apartheids-Gegnern 1959 auch Nelson Mandela im so genannten Landesverratsprozess verteidigt hatte. Die Mutter war ebenfalls regimekritische Rechtsanwältin.
Foto oben: William Kentridge, „Oh the Believe in Another World“ (2022),
Museum Folkwang, Essen 2025
Auch der Wunsch nach Gerechtigkeit & Gleichberechtigung ist bisweilen vererbbar.

35 Jahre lebte Kendridge im Netz der Apartheid, die Hälfte seines Lebens; sein künstlerischer Erfolg begann – schon wieder einer dieser von uns so geliebten objektiven Zufälle! – fast gleichzeitig zu ihrem Zusammenbruch und dem demokratischen Neuanfang unter Präsident Mandela.
Und was sagt William Kentridge?
Und was sagt William Kentridge? „Mit diesem Gefühl, mit Privilegien aufgewachsen zu sein, geht eine große Verantwortung einher“, sagt William Kentridge! Merkt euch das, ihr Ubus dieser Erde.
„MUTTER UBU: Was bist Du denn für ein König? Du massakrierst hier ja noch alle.“
Alfred Jarry, „Ubu roi“ (1896)
VATER UBU: Schreiß drauf.“

Tatsächlich führt uns William Kentridge auch in Essen auf höchst poetische Weise vor Augen, wie Politik in der Geschichte jenseits aller „alternativen Fakten“ von Rechtspopulisten aus künstlerischer Perspektive wirklich funktioniert & war.
Und wir werden gewahr, wie diese Vergangenheit in der gesellschaftlichen & politischen Gegenwart nachklingt.
Die wahre „White Men’s Burden“
Wie bei „KABOOM!“, das mit historischen Dokumenten und den für Kendridge typischen animierten Kohle-Zeichnungen an die rund 1,5 Millionen zwangsrekrutierten afrikanischen Männer, Frauen und Kinder erinnert, die im Ersten Weltkrieg den europäischen Kolonialmächten die Lasten tragen mussten.
Neben literarischen Texten und Musik sind dabei auch Tonaufnahmen zu hören, die von afrikanischen Gefangenen in Deutschland gemacht wurden. Die Bürde des Krieges auf den Schultern der Schwachen: DAS ist die wahre „White Men’s Burden“, Rudyard Kipling!

Oder beim mechanischen Multimedia-Miniatur-Theater „Black Box / Chambre Noire“, das der Niederschlagung des Aufstands der Herero 1904 in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) gewidmet ist: mit geschätzten 80.000 Toten der wohl erste Genozid des 20. Jahrhunderts.*
Das das Louisiana Museum of Modern Art die filigrane Arbeit – in unseren Augen eines der großartigsten Werke des Künstlers – nach Essen ausgeliehen hat, ist eine kleine Sensation.
*Nur der Vollständigkeit halber möchten wir daran erinnern, dass von 1885 bis 1908, als der „Kongo-Freistaat“ Privat(!)-Kolonie des belgischen Ubus Leopold II. war, um die zehn Millionen Bewohner*innen von den Besatzern ermordet wurden. Vom systematischen Hände-Abhacken wollen wir hier gar nicht reden.

Foto oben: William Kentridge, „Black Box / Chambre Noire“ (2005),
Museum Folkwang, Essen 2025
„MUTTER UBU: Was tust du, Vater Ubu? Wer soll denn jetzt für Gerechtigkeit sorgen?
Alfred Jarry, „Ubu roi“ (1896)
VATER UBU: Ich natürlich. Du wirst sehen, wie gut das klappt.“

Die andere Hälfte der Miete
Aber Herrschaftskritik ist in der Kunst natürlich nur die halbe Miete. Stillose Verantwortung ist bestenfalls gut gemeinte, platte Botschaft nah am Kitsch.
Das ist bei William Kentridges einzigartigen, mit einer Prise Hoffnung auf eine bessere Welt versetzten Erzählungen über die immergleichen Herrschafts-Typen und die sich ständig wiederholenden Mechanismen der Macht zum Glück anders.
Denn die sind, wir hatten es weiter oben schon einmal angedeutet, visuelle & akustische & verbale Poesie, die sich langsam entfaltet. Mit einer formal unverwechselbaren Sprache.
Foto oben: Auch Parolen, aber anders! William Kentridge, „Oh the Believe
in Another World“ (2022, Detail), Museum Folkwang, Essen 2025

Dabei wird Kunst als Prozess verstanden, bei der Rezeption wie beim Entstehen. Deshalb hat man in Essen auch die Anmutung von Kentridges Studios in Johannisburg nachgebaut, in der man dem Künstler im Nachhinein quasi beim Schaffen zuschauen können.
Und wie ambivalent ist dieser künstlerische Schaffens-Prozess! Ganz anders als das Schwarz & Weiß der Werke suggeriert.
Das zeigt auch die während der Corona-Pandemie entstandene neunteilige Film-Reihe „Self-Porträt as a Coffee Pot“ (2020), in der Kentridge in Ermangelung eines kollaborativen Gegenübers im Studio mit sich selbst in einen widersprüchlichen Dialog tritt: bisweilen sogar in vierfacher Ausführung.

Foto oben: Nachgemachte Wand aus William Kentridges Studio,
Museum Folkwang, Essen 2025
Dabei geht es um den Zufall und das Schicksal, das Un-Sinnhafte von Ich & Welt – und um die Zweischneidigkeit gesellschaftliche Utopien.

„Die Bialetti-Kaffekanne schien mir am absurdesten und lächerlichsten. So absurd und lächerlich, wie man selber ist.“
William Kentridge
Das widersprüchliche Megaphon
Um diese Ambivalenz des Innen und des Außen aufzuzeigen, greift William Hendridge immer wieder auch auf die „realistische“ Abbildung konkreter Dinge zurück. Die Menschen bleiben bei ihm ja meist nur Schatten ihrer selbst.
Neben einer ziemlich altertümlichen Schreibmaschine und der Espressokanne im berühmten Bialetti-Design ist dabei vor allem das Megaphon das Symbol seiner Wahl.
Ein Instrument für die Propaganda aller Ubus dieser Erde, aber auch für den Widerstand gegen sie. Ein Instrument, mit dem sich die oftmals viel zu leise Wahrheit in die Welt hinausposaunen – und gleichzeitig mit Lügen und Hassrede überschrei(b)en lässt.

Foto oben: William Kentridge, „Oh the Believe in Another World (Studio Still Life)“
(2022, Detail), Museum Folkwang, Essen 2025

Auf jeden Fall sind Kentridges Megaphone laut genug, um uns sogar körperlich zu durchpulsen, im Idealfall ein Echo auszulösen in unseren Seelen & unseren Gehirnen: das innere Echo einer Welt, von der wir eigentlich nur die Schatten sehen.
Das ist William Kentridges brandaktuell bleibende Antwort auf jene immergleiche, grausam-absurde Marionetten-Posse, die man gemeinhin „Welt“ und „Leben“ nennt. In der immer mehr Ubus regieren. Und auf die man am besten mit Kunst reagiert. (28.09.2025)
„William Kentridge. Listen to the Echo“ ist noch bis zum 18. Januar 2026 im Museum Folkwang in Essen zu sehen. Die parallelen Ausstellungen in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden enden zwischen dem 4. Januar und dem 28. Juni 2026. Vielleicht fahren wir da auch noch hin.
„Die Nase musterte den Major und runzelte die Brauen“
Nikolaj Gogol „Die Nase“ (1836)
Anmerkung: Natürlich geht es in „Listen to the Echo“ nicht nur um Afrika und die menschenunwürdige Arbeit der Schwarzen in den Minen weißer Besitzer. Es geht auch um die Flucht von 350 Menschen vor den Nazis 1941 von Marseille in die Karibik, darunter Künstler und Intellektuelle wie André Breton, Claude Levi-Strauss oder Germaine Krull.
Es geht um Gogols von Schostakowitsch vertonter „Nase“, die ihrem ehemaligen Besitzer, dem ranghohen Beamten Major Kowalew, ranghöher auf dem Kopf herumtanzt. Oder um „Faust“ und die „Zauberflöte“. Aber es geht halt trotzdem immer um Macht und ihren Missbrauch, um Unterdrückung, die Unterminierung von Wahrheit & Gerechtigkeit. Um die Beziehung von Gesellschaft & Individuum. Ums Echo. Und um Poesie.

Das Museum Folkwang in der KunstArztPraxis:
Lebenslanges Türenöffnen: Tomi Ungerer zum 90.
„Kippenbergers Kosmos steckt im ‚Kafka'“
Kunst für alle: Keith Haring in Essen
Gratuliere 🙂
Was für ein unfassbar starker Text. Was für unfassbar tolle Fotos. Danke. Gerade in dieser Zeit.
Antwort KunstArztPraxis: Ja, O tempora, o mores. Wir sind dankbar für Kendridges Kunst. Ihre KunstArztPraxis.
Was für ein toller Artikel, der seines Gleichen sucht.
Fokussiert und dennoch ein Rundumschlag. Danke!
Antwort KunstArztPraxis: 1000 Dank, Herr Contzen! Und die Ausstellung selbst empfehlen wir hiermit nochmals aus vollsten Herzen. Ihre KunstArztPraxis
Danke dafür, dass Ihr jede Woche solche Kracher raushaut. Eure Art der Kunstkritik ist wirklich einmalig. Auch die Fotos sind toll! Danke. Die Ausstellung schaue ich mir auf jeden Fall an. Kerstin Bräsch
Glückwunsch!