Cole, ein Freund. Ulrike Theusner in Bonn
Zum allerersten Mal zeigt das August Macke Haus mit „Ulrike Theusner. Schattenseiten“ die Einzelausstellung einer zeitgenössischen Künstlerin – und auch wir haben eine ihrer expressiven Zeichnungen dazu beigesteuert! Für uns natürlich ihre beste. Und ein Freund. Irgendwie. Ja: auch ein Freund.
Wie jede florierende Arzt-Praxis, die etwas auf sich hält, so hat natürlich auch die unsrige Kunst im Wartezimmer. Für uns sind das Freunde, die uns bei der Arbeit über die Schulter schauen, manchmal tröstend visuell umarmen, bisweilen kritisch hinterfragen. Und hin und wieder kriegen wir uns mächtig in die Wolle.
Keinen dieser Freunde wollen wir missen. Dass es sich dabei natürlich IMMER um käufliche Freunde handelt, ist uns herzlich egal.
Wir brauchten keine 30 Sekunden
Vor vier Jahren haben wir mit Cole Freundschaft geschlossen. Wir haben ihn baden sehen und waren sofort schockverliebt.
Der Anblick von Susanna hätte uns drei alte weiße Männer kaum mehr verzücken können. Dabei trägt Cole noch Badehose.
Normalerweise drehen wir unsere sauer verdienten Taler dreimal um, bevor wir einem Bild tief in die Augen schauen und es fragen, ob es unser Freund sein will.
Bei Cole brauchten wir keine 30 Sekunden. So eine platonische Liebe auf den ersten Blick hatten wir noch nie.

Ist auch Ulrike Theusners Lieblingsbild: „Cole taking a bath“ (2021).
Bis August 2025 im Museum August Macke Haus in Bonn.

Wir hatten die Gelegenheit, wir waren mit Ulrike Theusner essen. Wir haben Sie trotzdem nicht gefragt, ob der Cole des echten Lebens, mit dem nun wiederum SIE befreundet ist und von dem ein Foto in Bonn in der Vitrine liegt, ein liebenswerter Charakter sei. UNSER Cole ist es – aus künstlerischer Perspektive – auf jeden Fall.
Was wir an unserem Cole so lieben
An UNSEREM Cole lieben wir deshalb alles, wir können gar nicht immer sagen warum. Eigentlich lieben wir sogar, dass wir nicht wissen, ob er da unten im Bachlauf überhaupt noch lebt.
Er schwebt ja so im Bild, in diesen strudelnden, strömenden, schlingenden, saugenden Strichen – Strichen, aus denen selbstverständlich auch er besteht. Denn UNSER Cole ist längst Teil dieses halluzinatorischen, künstlichen Paradieses, das ihn als Landschaft gespenstisch umgibt wie ein vampirischer Körper.
Ob ihn die Natur, der er als Mensch evolutionär entwuchs, zu sich zurückgerufen hat, sprich: ob schon die Fische schon an ihm nagen, bleibt im Rausch der Zeichnung offen.
„Ulrike Theusner. Schattenseiten“, Ausstellungsansichten, Museum August Macke Haus, Bonn 2025
Das war schon bei Macke nicht anders

So gesehen ist Cole vielleicht nur für uns etwas Besonderes. Theusners Werke spielen ja alle in diesem Zwischenreich.
Da ist sehr viel groteske (digitale) Entfremdung im Spiel, viel abgründige Maskerade, die ja selbst dort anonyme Distanz zu sich und zu Anderen schafft, wo ihr Träger – siehe Karneval – doch eigentlich ganz dionysisch feiern will.
Und: Derart bonbonfarben bunt wie Ulrike Theusner kann nur Jene*r die vermeintlich unschuldige Landschaft malen, der zuvor das komplexe, dämonische Urbane von Berlin oder New York inhaliert hat. Also die Unschuld aufs Krasseste verlor.
Aber das war ja schon im Expressionismus – siehe August Macke – nicht anders.
Ulrike Theusner badet im Licht ihrer – im Übrigen mit Spots blendend
ausgeleuchteten! – künstlichen Paradiese, Bonn 2025; © Foto: AushilfsKunstÄrztin Maja Köster

Jetzt ist es wieder etwas ruhiger um Cole geworden, aber vor fünf Tagen musste er erstmal ein Bad in der Menge nehmen.
Bei der Eröffnung war es nämlich so voll wie sonst nichtmals in einer Blockbuster-Van-Gogh-Ausstellung in Venedig. Stoisch hat er den Ansturm ertragen – er liegt ja eigentlich im Bachbett, weil ihn die Menschenmasse gerade ankotzt.
Aber, das hat er schnell gemerkt: Er ist ja auch in diesem fiebrigen Gewässer, mit dem er permanent verschmilzt, selbst dann nicht allein, wenn ihn keiner von uns anstarrt! Da wuseln ja überall Geister durchs Gebüsch, wie um die anderen Gestalten Theusners auch.
Es sind – wie beim Heiligen Antonius oder bei Goya oder bei Munch oder bei Ensor – nicht unbedingt die guten.

Auch Ulrike Theusners „Schlaf“ (2020) gebiert Ungeheuer!
Museum August Macke Haus, Bonn 2025
Wir können diese Geister im flüchtig expressiven Strich der Pastell-Zeichnung zumeist nur erahnen. Aber wir sind uns sicher, dass Cole sie durch die geschlossenen Lider seiner Augen sieht.
Und die Besucher*innen in Bonn, die sind ihm ferne Schatten.

Was machen diese Bilder nachts?
Wir werden Cole sicher noch ein paarmal in Bonn besuchen, aus purer Sehnsucht, er fehlt uns sehr: in dieser Fremde, wo er jetzt ist. Bei seinen echten Freunden, die er so lange nicht hat sehen dürfen. Weil wir ihn dem Ganzen entrissen haben.
Ob Cole uns böse ist? Verachtet? Hasst? Gehasst wird man ja heutzutage gern.
Vermutlich denkt er gerade nicht einmal an uns. Und zückt wie all die anderen Schaumgeborenen der Ausstellung sein Smartphone, um sich narzisstisch darin zu spiegeln, wenn der letzte Besucher*innen-Schatten verschwunden ist.
Wenn es einsam wird im Raum. Wenn alle Masken fallen. Wenn das Museumslicht erlischt. Wenn das Theater beginnt.

Ulrike Theusner, „Beautiful Boredom“ (2022),
Museum August Macke Haus, Bonn 2025; © Foto: AushilfsKunstÄrztin Maja Köster

Derweil starren wir Heimgekehrten auf Coles leeren Nagel an der Wand im Wartezimmer. Und seufzen: Wie schön wird das sein, wenn unser guter Freund im Sommer endlich zu uns zurückkommt.
Dann war die Trennung nur ein schlechter Traum. (13.04.2025)
„Ulrike Theusner. Schattenseiten“ ist noch bis zum 17. August 2025 im Museum August Macke Haus in Bonn zu sehen. Ach ja: Wer Cole auch gern badend bei sich zuhause hätte: Sein Bild ist, wie das aller anderen gezeigten Werke, im Katalog.
Anmerkung: Fast alle Fotos auf dieser Seite stammen von unserer AushilfsKunstÄrztin Maja, die Kunst und Deutsch studiert. Danke, Maja! Das hast du richtig gut gemacht. Deine KunstArztPraxis.
Die Kunstarztpraxis ist einmalig. Danke! S.
Schon wieder so ein toller Beitrag aus der Kunstarztpraxis. Ihr seid echt riesig. Tolle Fotos, ein toller Text. Weiter So! Cole werde ich mir in Bonn auf jeden Fall anschauen. Grüße aus Königswinter, Urs