Tanzende Männchen, bellende Hunde und fliegende Untertassen: Mit seinen oft aus einem Strich bestehenden Figuren gilt Keith Haring als einer der wichtigsten und populärsten Vertreter der Pop Art der 1980er Jahre. Das Museum Folkwang widmet ihm nun eine umfassende Schau. Zu Recht.

Seine großflächigen Bilder malte Keith Haring in New York gern auf dem Boden, mit zur Straße hin geöffneten Türen. In einer seiner letzten Tagebuchaufzeichnungen Ende der 1980er Jahre erinnert er sich an die Gespräche mit Passanten, die so entstanden: „Es war wunderbar, völlig unterschiedliche Meinungen, Ideen und Kommentare zu den gleichen Kunstwerken zu hören.“

Eine einfache Bildsprache, die selbst Passanten schnell erfassen können und die trotzdem so vielfältig ist, dass Interessierte sich eine eigene Meinung bilden können: Das wollte Haring mit seiner Kunst. Hierfür entwickelte er ein Strichmännchen-Alphabet, mit dem selbst komplexe menschliche und politische Themen behandelt werden konnten. Wie demokratisch Haring seine zum eigenen Label entwickelten Werke anlegte, kann man jetzt in Essen bestaunen. Alle nach dem Motto des Künstlers „Art is for everybody“.

Mit schnellem Strich auf schwarze Wände

Um sein Publikum zu erreichen, wartete Haring nicht, bis es kam. Er ging dorthin, wo er es fand: Auf die Straße oder in die U-Bahn. Dabei machte er die Stadt als Projektionsfläche nicht nur zum Gegenstand, sondern auch zum Untergrund seiner Figuren. Der Akt des Malens war als dialogische Performance dabei fast so wichtig wie das spätere Werk. Street-Art im besten Sinn.

Das zeigen vor allem auch Harings „Subway Paintings“, die der Künstler mit Kreide und schnellem Strich auf die schwarzen Wände leerer Werbeflächen in der New Yorker U-Bahn zeichnete: Bis zu 40 am Tag. Je bekannter Haring wurde, desto schneller wurden sie gestohlen. Dass einige davon in Essen zu sehen sind, grenzt also ein wenig an ein Wunder.

Haring ging es offenbar nicht zuletzt auch darum, sein Publikum wachzurütteln und zum Nachdenken zu bewegen. Hierzu schreckte er auch vor provokanten Fake News nicht zurück. Das zeigen die an Titelseiten der „New York Post“ erinnernden Collagen, die der Künstler aus Zeitungsschnipseln neu zusammenstellte und als Flugblätter auf der Straße verteilte. In Essen sind sie originell aufgehängt.

Sex and Crime und Aids

So demokratisch Harings Botschaft war, so kollaborativ war auch seine Arbeitsweise. Als in der New Yorker Szene bestens vernetzter Künstler kannte er nicht nur Andy Warhol, Grace Jones oder Jean-Michel Basquiat, mit denen er gut befreundet war. Und arbeitete auch intensiv mit anderen Künstlern zusammen.

Militärische und zwischenmenschliche Gewalt, Korruption und atomare Bedrohung, Sex and Crime. Das waren Harings Themen. Und – als Homosexueller im New York der 1980er Jahre: Aids natürlich. Bei ihm selbst wurde die Krankheit 1988 diagnostiziert. Aber schon vorher taucht sie auf seinen Bildern auf. 1990 starb er an den Folgen der Erkrankung.

„Es gibt ein Publikum, das ignoriert wird“, notierte Haring kurz vor seinem Tod über den Kunstbetreib in sein Tagebuch. „Aber das bedeutet nicht, dass sie ignorant sind. Sie sind offen für die Kunst, wenn die Kunst offen ist für sie.“ Ob die Essener Schau Haring in diesem Sinn ein neues Publikum erschließt, bleibt abzuwarten. Viele Besucher wünscht man ihr trotzdem.

Bosch und Crump auf Droge

Manche Bilder sind ohnehin so überraschend, dass man Haring sogar neu für sich entdecken kann. Und die teils so halluzinierend wild und gewalttätig wirken, als hätten Hieronymus Bosch und Robert Crumb im Drogenrausch gemeinsam Bilder gemalt. (30.09.2020)


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