Lynn Chadwick war einer der bedeutendsten britischen Bildhauer der Nachkriegszeit. Sein Werk hat auch uns noch viel zu sagen. Das zeigt jetzt die erste Retrospektive in Deutschland im Lehmbruck Museum in Duisburg.
„Es scheint mir, dass Kunst die Manifestation einer lebenswichtigen Kraft sein muss, die aus der Dunkelheit kommt, von der Vorstellungskraft erfasst und von den Fähigkeiten des Künstlers übersetzt wird“, sagte Lynn Chadwick 1954. „Der Intellekt allein ist noch zu unbeholfen, um sie zu begreifen.“ Unter diesem Motto hat der britische Bildhauer ein ungemein phantasievolles Werk geschaffen. Es atmet den künstlerischen Zeitgeist und wirkt auch heute immer noch modern.
Knapp 1.000 Skulpturen hat Chadwick in seinem Leben geschaffen. Es sind hybride Tier-Mensch-Wesen mit architektonisch strukturierten Oberflächen, die in über 100 Einzelausstellungen zu sehen waren: Zeichen der immensen Popularität, die Chadwick von Anfang an genoss, Zeugnis aber auch von seinem Einfluss auf die Bildhauerei der Nachkriegsmoderne. Im Lehmbruck Museum sind rund 70 Arbeiten Chadwicks zu sehen.
Utopie und Trauma
Wie bekannt Chadwick schon in relativ jungen Jahren war, spiegelt sich auch in dem Umstand, dass der 41-Jährige als jüngster Bildhauer den Internationalen Preis für Skulptur auf der 28. Biennale in Venedig 1956 gewann – dabei waren weitaus renommiertere Kollegen wie Alberto Giacometti oder Germaine Richier mit im Rennen.
„Biester der Zeit“ hat Chadwick einen Teil seiner Skulpturen genannt. Und das trifft es sehr gut. Einerseits leben sie in ihrem Rekurs aus traumatisierender Kriegserfahrung im Mix mit einer hoffnungsvollen Utopie ganz im Moment ihrer Entstehung. Und doch haben die „Biester der Zeit“ zusammen mit den anderen beiden Werkgruppen „Figuren“ und „Mond“ für den Betrachter einen originellen, seltsam frischen Reiz.
Luftige Frische
Dieses seltsame Changieren zwischen zeitgenössischer Erdung und himmelsstürmender Innovation zeigt sich unter anderem in Chadwicks Mobiles, von denen in Duisburg auch eines von 1952 von der Decke schwebt. Da ist viel Alexander Calder dabei, der ebenso wie Chadwick 1955 und 1959 an der documenta in Kassel teilnahm. Aber in der skeletthaften Schwingung eben auch viel echter Chadwick.
Das Luftige, Frische gilt aber vor allem für jene „Biester“, die die „Große Glashalle“ des Museums besiedeln: silberne Monster, die in ihren geschweißten Faltungen leicht wie Origami wirken – und vor allem im Rudel beeindrucken.
Der Nerv der Zeit
In Duisburg ist Chadwicks Werk mit eigenen Zeichnungen und Grafiken ebenso kombiniert wie mit einigen Skulpturen von Zeitgenossen, die illustrieren, wie sehr der Künstler bei aller Eigenständigkeit auch den Nerv der Zeit verkörpert hat. (hier Eduardo Paolozzis bronzenes „Krokodeel“ von 1956)
„Lynn Chadwick. Biester der Zeit“ läuft noch bis zum 26. Juli 2020 im Lehmbruck Museum in Duisburg. (29.02.2020)
Zuerst auf wdr3.de.
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