Wie Wim Wenders sieht: „W.I.M“ in Bonn
Im August wurde der von uns hochgeschätzte Regisseur & Fotograf Wim Wenders 80 Jahre alt, die Bonner Bundeskunsthalle widmet ihm gerade eine Retrospektive. Wenders‘ Blick auf unsere Wasser-Waage bescherte uns vor zehn Jahren mal ein exklusives Foto-Shooting. Und geriet uns bei „W.I.M.“ jetzt zu einer Art Augenöffner.
2015 durfte Einer von uns Wim Wenders im Düsseldorfer Kunstpalast exklusiv porträtieren. Schuld daran war seine licht- und altersschwache Kamera.
Im Museum musste unser Einer nämlich ein Stativ benutzen, deshalb war eine altmodische Wasser-Waage auf den Blitzschuh montiert. Für ein Porträt von Wim Wenders hatte er die Kamera natürlich vom Stativ genommen: Schließlich galt es, sich im High-Tech-Pulk ganz stativ- und teils rücksichtsloser Presse-Fotograf*innen zu behaupten.
Die Wasser-Waage thronte aber weiter sinnfrei auf dem Blitzschuh.
Es gab den üblichen Foto-Slot für alle
Es gab den üblichen Foto-Slot für alle („Herr Wenders ist sehr beschäftigt und hat nur ein kleines Zeitfenster zwischen mehreren Interviews“), das übliche „Herr-Wenders-bitte-auch-mal-hierher-kucken!“-Geschrei des lichtbildnerischen High-Tech-Pulks.
Und dann natürlich die Bitte, vielleicht doch noch „was Eigenes“ an „einem anderen Ort“ zu machen, Herr Wenders, bitte bitte, das wäre toll! „Das mache ich nicht“, entgegnete Herr Wenders resolut. „Außer für den Herrn da hinten mit der Wasser-Waage“.
Dabei hatte unser Einer, inzwischen irgendwo da hinten an der Seite stehend, nichtmals gefragt.

Foto oben: Aus Nostalgie nimmt unser Einer auf Reisen immer noch seine Wasser-Waage mit:
hier (etwas versteckt) im August 2025 in Paula Modersohn-Beckers Atelier in Worpswede.
Spoiler-Alarm: Das Stück zum Bild gibt’s (vermutlich) in der überübernächsten Woche.

So entstand obiges Exklusiv-Porträt mit der verwischten Dame im Hintergrund. Danke, Wasser-Waage!
Die ganze lange Belichtungszeit über hielt Wim Wenders geduldig still. Und unser Einer hielt (Selbstauslöser, 2 Sekunden-Modus) zum Glück endlich mal die Luft an.
„Ich sehe, was du siehst!“
Wim Wenders, „Paris, Texas“ (1984)
Wie Wim Wenders sieht
Mit der etwas marketingeltangelig „W.I.M“ genannten Schau* in der Bundeskunsthalle: Mit all ihren Fotos, Kino-Schnipseln, Requisiten, Soundtracks & Dokumenten im Rücken scheint uns die Anekdote mit der von Wim Wenders entdeckten Wasser-Waage symptomatisch für die Art zu sein, wie Wim Wenders sieht.
*Laut Pressetext „könnte (sic!) das Akronym W.I.M. für ‚Wenders in Motion‘ stehen“.
In unseren Augen aber auch für „Wichtig: Interessegenerierdendes Marketing“.


In unseren Augen sieht Wim Wenders nämlich wie ein Entdecker, vor allem auf Reisen: auch von Details. Die ausbalancierte Gerade ist ihm wichtig, der ausgewogene Bildausschnitt. Die Symmetrie.
Wim Wenders sieht als vorwärtsgewandter Nostalgiker. Beinahe trotzig glaubt er an die Wirkkraft des Kintopps, des Fotos, noch heute: in Zeiten, in der an jedem Tag mehr Bilder geknipst werden als in rund 180 Jahren Fotografie-Geschichte – und das ohne technische Hilfsmittel.
Es ist eine Wirkkraft, die beim Schaffen von Neuem wehmütig das Vergangene durchscheinen lässt. Auch das ist, wie Wim Wenders sieht.
Ansonsten sieht Wim Wenders in der weiten Landschaft die Sehnsucht, hinter jedem Fenster die Melancholie der Einsamkeit, aber auch den Zauber.
Er schätzt das Handwerk: die Kunst der Perfektion. Und er kommt von der bemalten Leinwand mindestens genauso her wie von Zelluloid & Zellulose.
„Film ist die Fortführung der Malerei mit anderen Mitteln.“
Wim Wenders
Ach ja: Für uns sieht Wim Wenders nicht in der Fläche, sondern im Raum. Weniger die Ewig- und Unendlichkeiten als vielmehr die zu bannende Vergänglichkeit: Augenblicke, die Zeit zum Entwickeln braucht.
An seinen Polaroids und den 3D-Filmen über Pina Bausch und Anselm Kiefer – oder auch im eigenen 3D-Kino der Ausstellung mit einem Film im Edward-Hopper-Style – kann man das in Bonn ganz gut studieren.
Aber auch anhand von Kinderzeichnungen (!) und Gemälden aus der Frühzeit – Wim Wenders wollte ja ursprünglich Maler oder Dichter werden – sowie über Dia-Projektionen von Kunst-Klassikern, die seine Ästhetik prägten.

Und das sind wahrlich sehr viel mehr als Edward Hopper.*
*nämlich Bellini, von Ruisdeal, van Steenwijk, Vermeer, Rembrandt, Friedrich,
Kandinsky, Klee, Balthus, Rothko, Twombly, Evans, Wols usw. usf.

„Jetzt bin ich wie ein offenes Buch.
Wim Wenders über „W.I.M.“
Jeder kann in mir lesen.“
Wenn es an „W.I.M.“ in unseren Augen etwas zu woiseln gäbe, dann eigentlich nur das: Die Präsentation von Wenders‘ Fotografien hat uns im Kunstpalast vor zehn Jahren, damals, als er unsere Wasser-Waage auf dem Blitzschuh entdeckte, deutlich besser gefallen.
Ihre Landschaft braucht unseres Erachtens museumsräumliche Weite als Pendant, und diese Luft zum Atmen hat sie in der Bundeskunsthalle, aus diversen Gründen, eher nicht.


Dafür aber kriegt man in Bonn auf engstem Raum natürlich auch viel mehr geboten.
Inklusive einer extra für die Bundeskunsthalle von Wenders gestalteten, knapp halbstündigen 360-Grad-Installation mit Ausschnitten aus 24 seiner Filme – darunter eine Neubearbeitung der Peep-Show-Szene mit der darin nichts weniger als großartigen Nastassja Kinski aus „Paris, Texas“ (1984) und Konzert-Schnipsel mit Nick Cave aus „Der Himmel über Berlin“ (1987). Hach ja.
Auf acht Meter hohen Wänden übrigens, die selbst mit allen Wasser-Waagen der KunstArztPraxis nicht auszuloten wären. Manchmal ist das ja ohnehin besser so. (21.09.2025)
„W.I.M. Die Kunst des Sehens“ läuft noch bis zum 11. Januar 2026 in der Bundeskunsthalle in Bonn. Den Audio-Guide zur Schau hat Wim Wenders persönlich eingesprochen.
Anmerkung: Was wir oben so vollmundig „exklusives Foto-Shooting“ genannt haben, dauerte in Wirklichkeit nur eine Minute. Wir wissen aber zumindest, dass keiner aus dem High-Tech-Pulk sich mit unserem Einen mitgeschlichen hatte! Wir anderen Beiden waren ja dabei. Das hätten wir gesehen.

Bonus-Track: Wim Wenders, „Landschaften“, Kunstpalast, Düsseldorf 2015
Appendix: Edition geht anders!
In unserer Jugend gab es eine Sendung, die hieß „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“, der legendäre Eduard „Ede“ Zimmermann hat sie moderiert. Da ging es um alle erdenklichen Spielarten der betrügerischen Augenwischerei. Die aktuelle Wenders-Edition der Zeitschrift „monopol“ hätte da unserer Meinung nach gut hineingepasst. Obwohl es sich dabei natürlich um legales Augenwischen des Kunstmarketingeltangels handelt.
Rechtzeitig zu Wim Wenders‘ 80. Geburtstag und zur großen Retrospektive in der Bundeskunsthalle – also zur bestmöglichen Anbietzeit – bietet das „Magazin für Kunst und Leben“, öffentlichkeitswirksam garniert mit den Erinnerungen des Künstlers zur Entstehung des Fotos, in seiner September-Ausgabe für satte 750 Euro das – zugegebenermaßen sehr schöne – Motiv eines leerstehenden Kinos in der US-Provinz als „Edition“ an. Wenders hat „State, Texas“ 2019 aufgenommen. „Exklusiv“ von Wim Wenders in Kooperation mit Monopol entstanden sei die „Edition“, heißt es im Blatt – und sensationeller Weise sogar, doppelt exklusiv, „nur in Deutschland erhältlich“! Das ist doch was.
Natürlich ist das leerstehende Lichtspielhaus ein für das Wenders’sche Schaffen – und für das Meiste, was wir oben über das Wenders’sche Sehen geschrieben haben, – beispielhaftes Werk. Wenn wir William Eggleston oder Stephen Shore nicht kennen würden, hätten wir es vielleicht auch – wie das „Magazin für Kunst und Leben“ werbewirksam über Bande – „ikonisch“ genannt . „Ikonisch“: aus so ein im Kunstmarketingeltangel inflationär vernutzter Begriff.
Gefertigt wurden die 100 Exemplare der „Edition“ vom – zugegebenermaßen überraschend guten – Online-Fotolabor WhiteWall, und es ist die klassische Wim-Win-Situation: Für Wenders werden seine Bilder weiter in die Welt des Sammelns getragen, für Zeitschrift und Kopierwerk das Image durch die „Kooperation“ mit dem großen, dank Geburtstag & Retrospektive medial gerade noch größeren Namen – wir sagen nur: bestmögliche Anbietzeit! – weiter angehoben.
Und einen Reibach machen kann man damit auch noch! Immerhin kostet ein Exemplar der ohnehin schon üppigen Auflage (100 Exemplare) rund 500 Euro mehr als das, was WhiteWall sonst für ähnliche Abzüge veranschlagt. Dabei hat Wenders die „Edition“ nichtmals signiert, vermutlich nichtmals in der Hand gehabt. Sein Studio hat WhiteWall wahrscheinlich lediglich die digitale Datei übermittelt, aber das kann natürlich auch ganz anders gewesen sein.
Der Kunde erwirbt also ein auraloses Foto zum dreifachen Preis. Für uns geht Edition komplett anders.
P.S.: Ähnlich Abzüge wie die der monopol-Edition ließen sich auf WhiteWall übrigens für weniger als ein Drittel des Preises auch von ähnlichen Wenders-Motiven wie „Entire Family Las Vegas, USA, 1983“ oder „Wyeth Landscape, USA, 2000“ herstellen, die die Bundeskunsthalle zum Download auf ihrer Presse-Seite im Internet bereitstellt. Wir haben das gegengecheckt: Die Größe würde reichen. Kommen natürlich nur Journalisten ran. Und wäre irgendwie natürlich auch illegal. Sagt: Ihr Ede Zimmermann von der KunstArztPraxis.

„Der gefeierte Regisseur Wim Wenders hat für Monopol eine exklusive Fotoedition gestaltet. Sie ist demnächst auf dieser Seite bei der Firma WhiteWall zu bestellen. Wollen Sie benachrichtigt werden, wenn der Verkauf startet? Dann melden Sie sich hier an.“
monopol-Magazin.de. W.I.M. eben
Die Bundeskunsthalle in der KunstArztPraxis:
Der will nur spielen!?! Mark Dion in Bonn
Vom Schlafschaf. Kant und seine Fragen in Bonn
Echt? Peinlich? “Ernsthaft?!” in der Bundeskunsthalle
Reine Bildgebung (15): “Ernsthaft?!” in Bonn
Homepage der Bundeskunsthalle Bonn
Und hier gibt’s die tolle unsignierte Edition der Kunst-und-Lifestyle-Zeitschrift „monopol“
Ihr seid phantastisch. Danke auch für diesen Beitrag. Ben