Echt? Peinlich? “Ernsthaft?!” in der Bundeskunsthalle
Ufos an Bindfäden, Skunks mit Penis und Rumba tanzende Lauchstangen: In Bonn erkundet “Ernsthaft?!” den unscharfen Grat zwischen Kunst, Trash und inszenierter Peinlichkeit durch sechs Jahrhunderte. Fremdschämen muss sich trotzdem Keiner. Und witzig, also geistreich ist das auch.
Wie geneigte KunstArztPraxis-Leser*innen wissen, haben wir mit roten Teppichen vor Kurzem schon einige Erfahrung gemacht – wenn auch mit eingerollten. Bei laienhaft ausgerollten Exemplaren droht jedenfalls Peinlichkeit: Wenn Julia Roberts oder Harrison Ford auf dem roten Oscar-Läufer im Blitzlichtgewitter über eine Falte stolpern, kann das sehr alberne Bilder produzieren. Die Fallhöhe ist halt ziemlich hoch.
An derartig unfreiwillige Slapstick der Reichen und Schönen erinnert uns jener rote Teppich des Schweizer Konzeptkünstlers Roman Signer, der momentan in “Ernsthaft?!” in der Bonner Bundeskunsthalle herumliegt: bewusst unmotiviert und mit Stolperfalte, unter der sich dann auch noch, komplett sinnfrei, ein röhrender Staubsauger versteckt wie ein schnarchendes Tier in seiner Höhle.
Sinnbildlich wimmelt es in der Bundeskunsthalle gerade von solchen Stolperfalten, die nicht zuletzt die hehre Kunst selbstironisch vom hohen Ross stoßen: Hier erniesen sich Zauberer in Ermangelung funktionaler Zylinder (?) Kaninchen aus dem überdimensionalen Zinken. Nackte Finger zeigen auf nackte Hintern, gelangweilten Skunks hängen halbschlaffe Penisse aus dem Fell. Oder ein Lauch mit Maracas tanzt Rumba.
Dada ist auch da. Und Anna Blume – also die echte von Bernd, nicht die unechte von Schwitters!* – rutscht verschwimmend vom Sofa.
* vgl. hierzu auch unseren Peinlichkeits-Appendix weiter unten!
“Wenn Polke lacht, dann kreisen die Kartoffeln …”
Giorgio den Chirico zeigt nackte Männer mit Ente beim Baden wie sonst nur Loriot. Magritte zeigt eine Pfeife, die natürlich keine ist, aber in einem Phallus mündet. Der schlechteste Regisseur aller Zeiten zeigt seine besten Filme. Und wenn ein starker Arm es will, dann kreisen bei Sigmar Polkes die Kartoffeln, die wir an anderer Stelle schon einmal erfolgreich besungen haben, verschrumpelt im Hocker-Orbit einer andern Welt um sich selbst wie Planeten um die Sonne.
Wenn es also irgendwo einen archimedischen Punkt außerhalb des Universums gibt, mit dem die Welt des Seriösen vermittels Komik, Slapstick oder schlechtem Geschmack quasi per Knopfdruck aus den Angeln gehoben werden kann, dann liegt dieser Punkt momentan in Bonn.
In schönstem Tohuwabohu präsentiert “Ernsthaft!?” Positionen von rund 100 Künstler*innen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die dankenswerterweise mit oft pointenlosem Humor auf das Edle, Gute, Schöne schielen (das oftmals ja nur das Antrainierte, irgendwie Ererbte, unreflektiert Übernommene ist).
Richtig laut loslachen konnten wir zwar nicht, schmunzeln oder kichern aber schon. Und von manchem als seriös verschrienen Künstler haben wir eine neue Seite kennengelernt.
Ersthaft!! Warum??
Ein kleines, in den Räumen zum Glück nicht auffallendes, da unterm Teppich schnarchendes Manko hat “Ernsthaft?!” leider, und das ist der Versuch der Macher*innen, das Gezeigte – mit einer der Kunstwissenschaft hin und wieder inhärenten Albernheit – unter dem Label der “enthusiastischen Peinlichkeit” zu intellektualisieren – ernsthaft!!
Und: Warum?? Zur Peinlichkeit gehört ja zwangsläufig, sich der Lächerlichkeit seines Tuns nicht bewusst zu sein. Aber bei den versammelten Künstler*innen stimmt das ja gerade nicht. Sie sind zum Großteil sehr witzig, also klug.
Albern sind vielleicht noch die, die das nicht sehen. Aber: Aus DIESEM Alter ist die aufgeklärte, also kunstinteressierte Menschheit im Jahr 136 n. D.* doch schon längst heraus.
*nach Duchamp natürlich!
Aber vielleicht haben wir das im Katalog näher Ausgeführte einfach nicht verstanden? Egal. Wir jedenfalls finden in der Welt da draußen ganz andere Dinge peinlich.
Wir finden Querdenker peinlich, die noch das Groteskeste glauben, gerade weil es dem als Mainstream diffamierten Menschenverstand oder den Erkenntnissen der Wissenschaft widerspricht.
Wir finden Journalisten peinlich, die Betroffene belehren, es sei ihre moralische Pflicht, mit den Mördern, Vergewaltigern, Folterern und Entführern ihrer Frauen, Männer und Kinder zu verhandeln – auch wenn die Mörder, Vergewaltiger, Folterer und Entführer nachweislich noch nicht mal verhandeln wollen.
Wir finden Politiker peinlich, die gebetsmühlenartig behaupten, ein Tempolimit sei absurd und verzweifelte Jugendliche seien Terroristen.
Peinlich ist in unseren Augen, dass selbstverliebte Psychopathen heutzutage in ein, zwei Minuten mehr Gewinn erzielen als so mancher Staat in einem Jahr.
Im Grunde also finden wir es peinlich, dass wir allen Ernstes immer noch am absurden Raubtierkapitalismus festhalten, der einen Gutteil dieses ganzen Wahnsinns möglich macht.
Moderne Narren tragen keine Kappen
In der Bundeskunsthalle konnten wir Peinlichkeiten dieser oder anderer Art wie gesagt nirgendwo entdecken. Dahingegen viele Positionen, die mit hingebungsvoller Albernheit und absurden Kapriolen gegen das Lächerliche einer sich betont ernsthaft gebenden Wirklichkeit opponieren.
Die guten Geschmack als anerzogene Spießigkeit entlarven. Die darauf verweisen, dass die größten Narren eben keine Narrenkappe tragen, sondern Maßanzüge und, um die Quote zu bedienen, vielleicht auch noch Stöckelschuhe. Oder – im entlarvendsten Fall – Phantasieausweise und Aluminiumhüte.
Und die den Kopf mit befreiendem Lachen damit hoffentlich freiblasen für ein Denken, das sich nicht nur Querdenken nennt, sondern Querdenken ist.
In diesem Sinne fällt für uns auf John Baldessaris Gemälde “Falling Cloud” (1965) auch keine kleine Wolke aus einer großen. In unseren Augen schmeißt Gott da in einer pfeilgeraden Parabel zur Rettung der Menschheit Hirn vom Himmel.
Wir denken, dass ER damit auf jene schädelplattenfreien und mit Blumenerde gefüllten Keramik-Köpfe von Andreas Schulze zielt, aus denen in Bonn bisher nur exotische Pflanzen sprießen. Wobei wir natürlich nicht ausschließen können, dass das Sprießende seinerseits freie Gedanken sind, also das wachsende Rettende bei Gefahr, und wir den trashigen Skulpturen bitter Unrecht tun.
Auch blaue Pferde müssen mal
Und wenn der Wurfpfeil Baldessaris in der Bundeskunsthalle auf die – erstaunlich ähnlich strukturierten – Pferdeäpfel aus Martin Gostners Serie “Der Erker der blauen Pferde“ (2012) weist, dann macht der hübsche kuratorische Kniff in unseren Augen nur deutlich, dass man auch der Schönheit dekorativen Kunst nicht unhinterfragt trauen sollte. Auch Franz Marcs Traumgäule müssen nämlich mal aufs Klo.
Aber vielleicht ist auch das schon wieder zu viel hineininterpretierte Bedeutung? Wäre uns aber auch egal.
Für uns bleibt “Ernsthaft?!” eine lobenswerte Bühne, die dem eitlen Welttheater den Spiegel vorhält. Darauf vertrauend, dass wir uns – wie im mit Schuhen und Giraffen ausstaffierten “Spiegellabyrinth” am Eingang der Ausstellung – als jene Dilettanten des Lebens erkennen, die wir nun mal alle mehr oder weniger sind.
Wer zum Lachen also bisher lieber auf dem roten Treppenteppich in den Keller ging: Bitte gerne weiter auf dem roten Treppenteppich in den Keller gehen. Wer aber Sinn hat für die lächerlichen Sphären alberner Hochkomik und keine Scheu kennt vor vermeintlich (oder tatsächlich?) sinnfreien Stolperfalten, die die Welt aus den Angeln heben: “Welcome to the Shitshow” und: Hereinspaziert. (09.01.2023)
“Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst” ist noch bis zum 10. April 2023 in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen.
Appendix: Peinlich!? Wie Anna Blume einmal aus Hollywood ins Kolumba kam
2016 lernten wir Anna Blume im Kölner Museum Kolumba kennen. Etwas verloren stand sie mit ihrem Nordic-Walking-Stock in der Ausstellung “Transzendentaler Konstruktivismus”, die sie für sich und ihren fünf Jahre zuvor verstorbenen Mann Bernd Blume im Westturm ausgerichtet hatte. Wir erinnern uns an ein sehr lustiges Gespräch. Anna Blume war fast taub, und so brüllten wir uns in der Einsamkeit der halligen Hallen des Kolumba gegenseitig mehrere Minuten an wie ein zerstrittenes Ehepaar. Danach machten wir ein Porträtfoto.
DIESE Anna Blume war keineswegs jenes “ungezählte Frauenzimmer”, als das Kurt Schwitters, der gestern (08.01.2023) übrigens seinen 75. Todestag hatte, ihre Namensvetterin im Gedicht charakterisiert hat. Sie wanderte auch nicht rotgelbgrün als Pflanze oder tropfendes Tier auf behüteten Händen durchs Kolumba wie Schwitters’ Pendant durchs Lyrische, sondern, wie gesagt, ödipal auf drei Beinen, sprich: unter Zuhilfenahme eines Nordic-Walking-Stocks. UNSERE Anna Blume hatte eine starke eigene Persönlichkeit und ihren Namen nicht, wie oft fälschlich kolportiert, besagtem Gedicht entlehnt, sondern qua Taufe (Vorname) beziehungsweise Ehe (Nachname) sakramental bürgerlich erworben.
Wir erwähnen das so ausführlich hier nur deshalb, weil wir unser Porträtfoto ein paar Monate später zufällig, da gestohlen, in einem Reise-Blog wiederfanden, der über einen Besuch einer Blog-Autorin im Kolumba berichtete – und in der zugehörigen Bildunterschrift wurde Anna Blume eben nicht nur ihrer Identität als gleichberechtigter Teil eines künstlerischen Duos, sondern auch ihres rechtmäßig erworbenen Namens beraubt. Unter unserem Foto fand sich nämlich die an sich bezaubernde, aber leider komplett ernst gemeinte Zeile: “Harrison Ford in der Ausstellung von Bernhard Blume, Kolumba Museum Köln”.
Wir wissen nicht, ob besagter Bloggerin ihr Fauxpas peinlich war, als wir sie nicht nur auf den Bilderdiebstahl, sondern eben auch auf die Degradierung der Künstlerin zum Besuch aus Hollywood in ihrer eigenen Ausstellung aufmerksam machten: Wir erhielten nie Antwort, und die Verwechslungsgefahr war wirklich gegeben! Wir vermuten aber, dass sich alle Beteiligten in Grund und Boden geschämt haben müssen: Nicht nur der Beitrag, sondern der ganze Blog ist im Netz nämlich inzwischen nicht mehr auffindbar.
Auf jeden Fall möchten wir an dieser Stelle der unbekannten Bloggerin einmal “Danke” sagen! Denn ihre Bildunterschrift hat uns ein fast so großes Lächeln aufs Gesicht gezaubert wie die “Vasenekstasen” oder die “Mahlzeit” der inzwischen leider beide verstorbenen Blumes im Kolumba. Und es gehört ja vielleicht auch zur transzedentalen Erkenntnis von Wirklichkeitskonstruktionen, dass in der Welt der Kunst und des Blogs und des Kinos Dinge & Menschen & Persönlichkeiten verschmelzen können wie bei Kurt Schwittters mit seinen 27 Sinnen Farben & organische Lebensformen im Gedicht.
Wir müssen das wissen, denn: Wir sind ja selbst eigentlich Drei!!! Und unsere Namen und Individualitäten sind Schall & Rauch, sobald wir die KunstArztPraxis betreten haben!!! Muss uns das peinlich sein? Wir glauben nicht.
Anmerkung für die Unsichtbarkeits-Maschine: Liebe Unsichtbarkeits-Maschine, es stimmt: Wir zeigen oben nicht nur Anna Blume, sondern auch das Werk “Transzendentaler Konstruktivismus”, das der Ausstellung im Kolumba 2016 den Namen gab. Dürfen wir ja deiner Meinung nach nicht. Aber eigentlich zitieren wir ja nur unser eigenes Foto aus dem Reise-Blog! Das kann doch nicht verboten sein, oder? Und, wenn doch: Bitte bitte Gnade vor Recht ergehen lassen!!! Deine KunstArztPraxis.
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