Advents-Kalender-Türchen #18: Sandra Vásquez de la Horra
Für einen befreundeten Gastroenterologen haben wir über Jahre eine Sammlung zu „Werden & Vergehen“ aufgebaut und jetzt in seiner Bibliothek eine Kabinett-Ausstellung dazu kuratiert. Im KAP-Advents-Kalender präsentieren wir der interessierten Öffentlichkeit Highlights. Türchen #18: S. Vásquez de la Horra.

Als wir Sandra Vásquez de la Horra vor 20 Jahren kennenlernten, bespielte sie mit ihren Zeichnungen eine Förder-Koje für junge Talente auf der Art Cologne. Wir waren noch beim WDR, mit AushilfsKunstArzt Philipp J. Bösel unterwegs. Und sofort schockverliebt ins Werk.
Irgendwann malte und Sandra Vasquez de la Horra uns ein Herz, das sie einer ihrer Figuren ausgerissen haben musste, in ihren ersten Katalog. Später eine kleine Kugelschreiber-Zeichnung, die wir verloren haben, Asche auf unsere drei Häupter.
Dann stieg sie auf von Rupert Pfab (Düsseldorf) über Kewenig (Berlin) zu Thaddaeus Ropac (Paris). Und jetzt hat sie eine große Retrospektive im Haus der Kunst in München. Wir waren drin. Es ist gigantisch.
Also das ganze Werden
Egal. Wir können jedenfalls mit Fug & Recht behaupten, niemandes Künstler*innen-Karriere derart lange intensiv & hautnah von Anfang an verfolgt zu haben: das ganze Werden.

Foto oben: Hängung der beiden Sandra Vásquez de la Horras
unter Hirschgeweih über Christoph Knechts „Entenkelch“ (2001),
Sammlung Bloehme, Hamm 2025


Insgesamt verfügt die Sammlung Bloehme über rund 20 Blätter von Sandra Vásquez de la Hora, auf die wir alle sehr neidisch sind. Hängen tun aus Platzmangel nur zwei:

Das Mädchen mit dem Amulett-Geweih, das mit der Geweih-Hängung von Ruth Marten darüber kommuniziert* und schon einmal ins MGK Siegen verliehen war („El Amuleto“, 2009).
*siehe Türchen #17
Der Tod als cooler Surfer
Und „Al final una escalera larga y otra chiquita“ (2011), also „Am Ende einer langen Leiter und ein kleines Mädchen“. Wobei wir im Bild noch nie ein kleines Mädchen, ja: nichtmals eine Leiter gesehen haben.
Für uns läuft da der Tod als cooler Surfer am Meer in den Sonnenuntergang. Wir wissen auch nicht warum.
Foto oben: Der Tod als cooler Surfer. Sandra Vásquez de la Horra,
„Al final una escalera larga y otra chiquita“ (2011),
Sammlung Bloehme, Hamm 2025
Worauf wir lieber noch verweisen
Wir wollen hier auch gar nicht schreiben, warum uns die Zeichnungen von Sandra Vásquez de la Horra so betören.
Wir wollen lieber darauf verweisen, dass sie ganz im Verborgenen mit einem bisher kaum genannten Aspekt der Hammer Sammlung Bloehme wundervoll korrespondieren. Und zwar mit den Bienen, die am Werden in der Welt ja einen Riesenanteil haben.
Und leider seit Jahren in Massen vergehen.

Von David Lynchs „Box of Bees“ (Vergehen) hatten wir ja schon in Türchen #3 erzählt, ebenso von Mary Bauermeisters „Wabenbild“ (Werden), das die Bienen bei Bloehme mit dem ebenso sammlungswichtigen Mond verbindet, in Türchen #14 und #16.
Aber es gibt auch noch eine zauberhafte große Schul-Schau-Tafel zur Honigbiene in der Bloehmeschen Bibliothek, die eine Kölner Grundschule im Digitalisierungs-Wahn ausgemustert auf die Straße stellte.
Und eine Auftragsarbeit: ein skulpturales Wiesenstück der leider viel zu unbekannten Gundula Weber, bei dem Bienen Blüten bestäuben. Bienen, Blüten, Wiese, sogar der Sockel: bei Gundula Weber alles aus Papier.

Foto oben: Papier, Papier, Papier: Gundula Weber, „Bee-o-top“ (2018),
Sammlung Bloehme, Hamm 2025. Nur der Glassturz ist aus Glas.

Und Sandra Vasquez de la Horra?
Und Sandra Vásquez de la Horra? Die taucht ihre fertigen Zeichnungen in Bienenwachs, was ihnen eine unvergleichliche Patina verleiht. Und sie vor der zerstörerischen Kraft des bleichen Bruders Sonne schützt wie Siegfried das Drachenblut.
So ist das mit dem Werden & Vergehen & den Bienen in der Sammlung Bloehme. (18.12.2025)

„Sandra Vásquez de la Horra. Soy Energía“ ist noch bis zum 17. Mai 2026 im Haus der Kunst in München zu sehen. Wir waren drin. Es ist gigantisch.

Ach ja: Zufällig haben wir beim Stöbern eine Rezension zu eben jenem Katalog mit dem ausgerissenen Herzen wiederentdeckt, die Einer von uns 2010 geschrieben hat. Für die interessierte Öffentlichkeit drucken wir sie hier noch einmal ab:
Man kann die Art und Weise, wie die 1967 in Chile geborene und heute in Düsseldorf lebende Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra mit ihren Bleistiftzeichnungen umgeht, nicht anders als verstörend nennen. Denn die Arbeit auf zum Teil altem, sorgsam ausgesuchtem Papier ist nur der erste Schritt eines mehrstufigen, „grausamen“ Produktionsprozesses, der nicht zuletzt auch die Präsentation mit einbezieht: Die Trockel-Schülerin Sandra Vásquez de la Horra taucht ihre Bilder in ein Bad aus heißem Bienenwachs, was den Blättern einen zeitlosen, pergamentenen Objektcharakter verleiht. In Ausstellungen arrangiert die Künstlerin ihre Arbeiten in Bildschlangen und Bildtrauben, indem sie sie mit Nadeln einfach an die Museumswand pinnt.
Die Qual des Bildes spiegelt dabei oft nur die Qual der dargestellten Figuren, die von Skeletten – also vom nicht selten selbst schon etwas altersschwachen Tod – umarmt sind, an Galgen oder Kannibalenstäben hängen, plump von Leitern fallen oder in einem Fegefeuer aus souverän gezogenen Strichen schmoren. Hier ist die Arbeit der Künstlerin, die in ihrer Jugend die Pinochet-Diktatur miterlebte, der von Goya ähnlich. Ein anderer Teil ihrer Motive aber, die vor dem Hintergrund eines von Volksreligion, Aberglaube, Märchen und biblischem Wissen geprägten Anspielungsreichtums auf den leicht transparenten Blättern aufscheinen, ist noch fantastischer, geheimnisvoller, undurchschaubarer als die Welt der „Caprichos“ oder der „Desastres de la Guerra“. Und der Witz ist hintergründiger. Dass ein Blatt zum Beispiel nahelegt, der heilige Antonius sei in seiner Einsiedelei nicht vom Teufel, sondern von Pilzen, also von sündhaften Drogen, versucht worden, ist schon komisch.
Im Juli 2010 hat das Bonnefantenmuseum Maastricht der noch recht jungen Künstlerin eine Retrospektive aus rund 400 Arbeiten gewidmet. Die parallel hierzu erschienene Monografie aus dem Hatje Cantz Verlag zeigt eindringlich, wie sehr Sandra Vásquez de la Horra dies verdient hat.
Ja, SO hat unser Einer früher geschrieben.
Bienen in der KunstArztPraxis:
Exklusiv, als Vorabdruck: „Honig“ aus „Hapke“
Betriebsausflüge 6: „Honiggelb“ in Wiesbaden
Wie sagen wir’s den Bienen? „HONIG“ in der Villa Zanders (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)


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