Advents-Kalender-Türchen #22: Mark Dion
Für einen befreundeten Gastroenterologen haben wir über Jahre eine Sammlung zu „Werden & Vergehen“ aufgebaut und jetzt in seiner Bibliothek eine Kabinett-Ausstellung dazu kuratiert. Im KAP-Advents-Kalender präsentieren wir der interessierten Öffentlichkeit Highlights. Türchen #22: Mark Dion.

Anders als die Wissenschaft kann Kunst ja durchaus die Wahrheit sagen, indem sie lügt. Deshalb ist uns die Arbeit von Mark Dion so sympathisch.
Seit Jahrzehnten hinterfragt Dion künstlerisch unsere Versuche, Natur strukturierend zu ordnen und zu präsentieren, ihr Werden und Vergehen in eine ewig gültige Forschungsform zu pressen. Das gefällt natürlich vor allem KunstArzt3 auffallend gut*.
*wieso, verrät die Selbstauskunft.
Aus diesem Grund hat er auch besonders stark darauf gedrängt, Mark Dions „Emanations Of the Earth“ (2017) für die Hammer Sammlung Bloehme zu erstehen.
Prank unter Professoren
In seiner auf 16 unikatäre Exemplare limitierten Edition hat sich Mark Dion den sogenannten Würzburger Lügensteinen angenommen, einem der ersten Betrugs- und Fälschungsskandale der Wissenschaftsgeschichte.
Die Lügensteine sind handgeschnitzte Kalkstein-Artefakte, die drei spitzbübische Teenager, die der KunstArztPraxis entsprungen sein könnten, dem angesehenen fürstbischöflichen Leibarzt, Doktor der Philosophie und Professor der Medizin Johann Bartholomäus Adam Beringer (1667–1738) als echte Fossilien teils ausgestorbener Entitäten unterjubelten.
Ein wohl von neidischen Kollegen initiierter Prank, um Beringers Reputation zu diskreditieren.

Abbildungen: Die echten Würzburger Lügensteine (Würzburg 1725, oben)
und Johann Berningers Lithographien (Würzburg 1726)


Als der Schwindel aufflog
Rund 2.000 dieser Hoch-Reliefs erwarb Beringer nach und nach für ein Heidengeld, darunter phantastische Wirbeltiere, fremdartige Urzeit-Bienen*, kopulierende Froschwesen und eine Spinne louisebourgeoiser* Qualität.
*siehe hierzu auch Türchen #18 bzw. #20
Und er verfasste eine wissenschaftliche Abhandlung darüber: eine Abhandlung, deren in den Handel gekommenen Exemplare er zeitlebens verzweifelt zurückzukaufen suchte, als der Schwindel aufflog und die Fossilien auch seinen schuppenbefreiten Augen als das erschienen, was sie sind:
handgemachte Skulpturen aus unterfränkischem Muschelkalk.
Abbildung oben: Mark Dion, „Eminations of the Earth“ (2017),
Sammlung Bloehme, Hamm 2025. Eigentlich eine Kopie der
Original-Lithografie von Johann Beringer aus dessen Buch.

Eigentlich sind die Würzburger Lügensteine also Schnitz-Kunst, ja: sogar abstrakte; denn sie verwiesen ja auf nichts in der Natur, sondern nur auf sich selbst.* Abbildung & Abgebildetes sind eins. Hach. Toll.
*dass wir für eines neuen Abstraktionsbegriffs in der Kunst wären,
haben wir andernorts ja schon mal angedeutet.
Vielleicht dazu später nochmal mehr.
Wenn auch als verblendeter
Professor Beringer muss gesehen haben, dass die Versteinerungen falsch sind, es sind ja sogar welche von geschweiften Sternen und hebräisierten Schriftzeichen darunter. Aber Beringer wollte GLAUBEN.
Insofern hat er die Artefakte in gewisser Weise auch nicht als Gelehrter rezipiert, sondern wie ein Kunst-Betrachter. Wenn auch wie ein verblendeter.


Die potenzierten Lügensteine
Irgendwann wurden die Würzburger Lügensteine ihrerseits begehrte Sammlungs-Objekte: Selbst der von uns nur halb gemochte Biedermeier-Lyriker Eduard Mörike, der sogar ein Gedicht darüber geschrieben hat*, soll welche besessen haben.
*siehe ganz unten
Die Original-Fälschungen wurden kopiergefälscht, um die Nachfrage kriminell zu stillen, die Lüge für die Raritäten- und Naturalien-Kammern der Gelehrsamkeit also noch potenziert. Krass.
Und über die Leidenschaft des Sammelns sagt das auch eine Menge, lieber Herr Bloehme.
Foto oben: Kassette von Mark Dion, „Eminations of the Earth“ (2017),
Sammlung Bloehme, Hamm 2025.
Mark Dion steht auf der richtigen Seite!
Mark Dions Fälschungen hingegen sind ganz legale Kunst von Kunst, die auf überaus raffinierte – und gerade heute hoch aktuelle – Art und Weise über Forschungs-Fake-News, gute wissenschaftliche Praxis und das gesamte, bisweilen eitle Wissenschaftssystem reflektiert: also zwei streng getrennte Welten sehend zusammendenkt, die in den Würzburger Lügensteinen einstmals schon (blind) aufeinanderprallten.
Aber SEINE Lügensteine stehen auf der richtigen Seite. Als Künstler sagt Mark Dion nämlich die Wahrheit, indem er lügt. Quod erat demonstrandum. (22.12.2025)



Mark Dion in der KunstArztPraxis:
Der will nur spielen!?! Mark Dion in Bonn
Reine Bildgebung 27: Mark Dion in Bonn
Morsbroich: Hexenhaus mit Schlossblick ist vermietet!
Morsbroich, zu vermieten: Hexenhaus mit Schlossblick!
Eduard Mörike
Die Würzburger Lügensteine
Quittung
Unterzeichneter bezeugt hiermit pflichtiglich
Aus Herrn Behringers Cabinet ganz richtig
Drei Stück Petrefakta: Den Tausendfuss,
Den Palaeoniscus Dubius
Wie auch ein gar selten Objekt
Des Art und Natur noch nicht entdeckt
(Etwan Kopf und Buerzel von Noaeh Raben)
Durch Fraeulein Bauer mit Ach
und Krach
Vom Herrn Curator erhalten zu haben.
Wofuer von gedachtem schoenem Kind
Drei Kuesse bezahlt worden sind,
Die ich mit Zinsen verbindlich
Muendlich
Ohn‘ alle Gefaehrde
Wiedererstatten werde.
28.11.1862


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