Claire Morgan: Der schöne Tod, das neue Leben
Kugeln aus Goldfliegen, Kuben aus Löwenzahnsamen und ein Halsbandsittich im knallbunten Plastikkäfig: In der Kölner Galerie Karsten Greve zeigt die Irin Claire Morgan zerbrechlich zarte Arbeiten zu Tod, Vergänglichkeit – und einer Auferstehung in der Kunst. Gerade geschlossen, bei uns geöffnet.
Wer Fliegen präparieren will, braucht tote Exemplare. Zyankali wird recht gern genommen, schockerfrieren in der Tiefkühltruhe gilt als sanftes Mittel. Die forensischen Entomologen von der KunstArztPraxis empfehlen Essigäther: Mit ihm können die Insekten länger im Tötungsglas bleiben. Das macht die Muskeln weich. Und die Tiere damit leichter präparierbar.
Wie Claire Morgen ihre Fliegen tötet, wissen wir nicht. Auch ist uns unbekannt, ob sie den metallisch schimmernden Hinterleib der Tiere mit Insektennadeln auf einer Präparierplatte fixiert, um ihn vorm Absinken zu bewahren, oder gleich an den fürs Kunstwerk vorgesehenen Nylonfäden aufgezogen mehrere Wochen trocknen lässt.
Wir hätten sie fragen können, das Angebot war da. Aber wir haben davon abgesehen.
© für alle Kunstwerke: Claire Morgan, Courtesy Galerie Karsten Greve, Köln
Bezaubernde Leichtigkeit
Denn: Fragen wie diese kommen dem Betrachter, der sich die surreal zu voluminösen Kugelformationen abstrahierten Gold- und Schmeißfliegenschwärme von Morgans Hängeinstallationen in der Galerie Karsten Greve anschaut, ohnehin nicht in den Sinn.
Die filigranen, zerbrechlichen, über einem Vogelnest schwebenden oder von einem Würfel aus Löwenzahnsamen umrahmten Gebilde sind in ihrer bezaubernden Leichtigkeit nämlich so schwerelos schön, dass man die Präsenz des echten Todes erstmal gänzlich vergißt.
Unvergängliche Produkte der Vergänglichkeit
Früher hat Claire Morgan ihre Fliegen offenbar noch selbst gezüchtet, heute kauft sie sie ein. Hinzu kommen gefundene Füchse, gegen Scheiben geflogene Vögel, von Katzen erbeutete Nager – und überfahrene Katzen. Fast alle sind Opfer einer durch Zivilisation getöteten Natur. Und erhalten nach ihrem Tod ein neues, vermeintlich ewiges Leben in der Kunst.
Morgans Arbeiten sind also ästhetisch unvergänglich präsentierte Produkte einer grausamen Vergänglichkeit. Umhüllt von einer fragilen Geometrie aus Samen, die im biologischen Zyklus neues Leben hätten schenken sollen, ihre Kraft und Schönheit jetzt aber in den Dienst des Kunstwerks stellen.
Und das Leben, das bekanntlich jederzeit am seidenen Faden hängt, schwebt posthum an stabilen, durch Bleigewichte gestrafften Nylonfäden im Raum.
Taxidermie vs. Poesie
Bisweilen friert Morgen den Zustand zwischen Werden und Vergehen – oder, hier besser: Vergehen und Werden – szenisch ein. In den etwas schlechteren Arbeiten sieht man dann Füchse im Distelsamenregen kämpfen („A Lesson in Failure“, 2017), in den besseren Dohlen in einem Samenmondgefängnis über einen Meer aus Plastikschnipseln schweben („Human Nature“, 2016).
Ersteres erinnert noch zu stark an die naturalistischen Inszenierungen klassischer Taxidermisten. Letzteres ist pure Poesie, versehen mit der Trauer über die Kürze des Daseins und einer Prise ökologischer Kritik.
Dieselbe Poesie vermitteln Morgans Zeichnungen, die mehr als Studien zu den Skulpturen sind. Der Umstand, dass Morgan ihre Tiere zuvor auf den verwendeten Papieren präpariert hat, so dass laut Galerie „Spuren des Blutes und anderer Rückstände des toten Tieres“ verblieben sind, verschafft dem Betrachter einen makaber-morbiden Schauer, den Morgans Kunst eigentlich nicht nötig hat.
Aber vielleicht ist der Verweis darauf, dass der Tod in all der gezeichneten Schönheit doch irgendwie sogar real präsent ist, ja auch ganz okay.
Nicht Effekt, Respekt
Ist es despektierlich, Tiere für Kunstwerke auszuweiden? Oder ist es nicht vielmehr ein Zeichen höchsten Respekts, sich im taxidermischen Prozess sehr intensiv mit der Anatomie eines zumeist von Menschenhand getöteten Individuums auseinanderzusetzen?
Bei Claire Morgan ist es in unseren Augen unbedingt letzteres. Es geht nicht um Effekte, sondern um die majestätische Würde der einzelnen Kreatur. Das könnte nah dran sein am Kitsch, ist hier aber himmelweit davon entfernt.
Freude im Schmerz
Vor drei Jahren war in der Galerie Karsten Greve eine Schau Claire Morgans zu sehen, die in den Räumlichkeiten prominenter platziert und auch weitaus spektakulärer war. Die jetzige hat sich ein wenig in die Hinterzimmer verkrümelt. Man muss sie suchen wie jenen Halsbandsittich, den Morgan in künstlerischer Mimikry in einem Quader aus bunten Plastikschnipseln vorm allzu schnellen Entdecken verborgen hat.
Macht aber nichts. Faszinierend sind auch diese Installationen und Zeichnungen, die zum Teil zuvor auf Schloss Moyland zu sehen waren, allemal.
Wer es größer und spektakulärer haben will, kann dann im Sommer hoffentlich nach Saarbrücken fahren. Da zeigt das Saarlandmuseum in seiner Modernen Galerie vom 12. Juni bis zum 14. November 2021 eine Solo-Schau Claire Morgans. Bezeichnender Titel: „Joy in the Pain“. (22.04.2021)
„Claire Morgan“ ist momentan coronageschlossen. Ab Öffnung ist die Ausstellung noch bis zum 15. Mai 2021 in der Galerie Karsten Greve in Köln zu sehen. Ansonsten zeigt die Galerie Fingermalerei von Louis Soutter. Auch sehr sehenswert.
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