Schach in der Mausefalle: Zum Tod von Takako Saito
Gestern (30.09.2025) starb mit Takako Saito eine der letzten großen Fluxus-Künstlerinnen. Wir lernten sie leider erst mit 88 kennen und begegneten ihr nur sporadisch. Aber 2024 durften wir in ihr Wohn-Atelier in Düsseldorf. Wir sind sehr froh, dass dies dank hartnäckiger Fürsprecher noch möglich war.
Als wir Takako Saito 2017 im Museum für Gegenwartskunst (MGK) in Siegen zum ersten Mal sahen, stellte sie gerade eine Mausefalle samt integrierter Schach-Schule als Köder auf einen Ausstellungstisch.
Sie zögerte keine Sekunde, als wir sie baten, sich für ein Porträt dahinter zu platzieren. Und dann spielte sie mit trippelnden Fingern & unbändiger Heiterkeit für unsere Kamera graues Mäuschen.

Wir begriffen das erst später, aber auch die Fotos, die wir davon machten, entstanden im Rahmen von Takako Saitos dialogischem Kunst-Konzept: Ihr Posieren war ein Spiel, eine wortlose Kommunikation mit uns als agierenden & reagierenden Betrachtern. Mit öffnendem Lachen gefangen nehmen für etwas, das im Idealfall Zug um Zug entsteht: Das war ihr „You & Me“.
Unsere Reaktion auf die trippelnden Finger jedenfalls war, in die Hocke zu gehen und nicht auf die Künstlerin im Hintergrund, sondern auf die Schach-Schule für Mäuse vorne zu fokussieren: Unser Gegenzug zu Takako Saitos fulminanter japanischer Eröffnung.
Das Foto-Schach geht weiter
In Siegen ging ihr Foto-Schach für uns weiter: Für unsere Fotos eröffnete Takako Saito eines ihrer legendären interaktiven Verkaufsstand-Objekte. Sie schlüpfte bereitwillig abwechselnd in eines ihrer Klang- und ihrer Bücherkleider. Und dann spielte sie auch noch auf einer Kunstrasen-Decke und einem Gesichts-Spielfeld mit uns Foto-Murmel-Schach.

Es endete unentschieden, im Murmelschach ist sowas gang & gäbe. Denn die Regeln entwickeln die Spieler während des Spielens, man kann sich nicht hinter Vorgaben verstecken. Man ist gezwungen, die Phantasie mitziehen zu lassen wie die Wolken am Firmament. Alles entsteht als Vereinbarung im Augenblick.
Das ist die eigentliche verführerische Falle, in die man bei Takako Saitos heiteren Kunst-Ködern unentwegt tappt. Das lernt man wie die Mäuse in ihrer Schach-Schule allerdings erst, wenn man schon in der Falle sitzt.
Takako Saito. You and Me, Museum für Gegenwartskunst, Siegen 2017
Danach begegneten wir Takako Saito jahrelang nur über Bande, teils über Spuren. Einmal kaufte das Kunstmuseum Bochum ein Porträtfoto an, das wir in Siegen von ihr im (ebenfalls vom Museum angekauften) Klang-Kleid gemacht hatten, ein andermal lag auf dem Schreibtisch von Mary Bauermeister in Rösrath neben einem alten Ausstellungs-Flyer einer ihrer vielen Briefe.
Mary Bauermeisters Anschrift steckte in den vier Mägen eines gutmütigen Nutztiers.

Schon wieder in der Mausefalle!
Und als wir 2023 im Wohn-Atelier des kurz zuvor verstorbenen Künstlers Eduard „Edi“ Roijen in Düsseldorf Knochenwesen für ein Foto-Buch fotografierten, lag da ein Kunstwerk, das Takato Saito ihm gewidmet hatte: „Drei Töne Musik für Edi“ von 1999 – ein halbdurchsichtiger weißer Stoffsack mit rotem Band, der mit Takato Saitos typischen Papierwürfeln gefüllt war.
Wir machten sofort Musik damit, es war zu verlockend: Es raschelte köstlich. Unser kleines Requiem für Eduard Roijen, gespielt auf Takako Saitos Instrument.
Schon wieder in der Mausefalle.

2022 kam eine Museumsdirektorin auf die Idee uns vorzuschlagen, im Wohn-Atelier von Takako Saito zu fotografieren: Wie Mary Bauermeisters Märchenreich, so sei auch dies ein zauberhafter Ort – wenn auch auf ganz andere Art und Weise! Also fragten wir, neugierig geworden, über Bande bei Takako Saito an.
Sie fand die Fotos schön
Im Grunde war Takako Saito nicht abgeneigt. Mary Bauermeister hatte ihr unser Hexenbuch von ihrem Märchenreich geschickt, sie fand die Fotos schön. Aber sie wollte ihr Atelier für uns erst noch herausputzen, auch die japanische Gastfreundschaft stand lange im Weg: Um uns in ihren Augen angemessen empfangen zu können, hörte man immer wieder aus Düsseldorf & Köln, fehle ihr leider die Kraft.
Aber wir hatten unter ihren Vertrauten geduldige Fürsprecher. Nach etwas mehr als zwei Jahren hatten sie Takako Saito überzeugt – oder überredet? –, uns zu empfangen. Es waren eben dickere Bretter zu bohren gewesen als die, die wir kurz darauf überall in ihrem Atelier auf dem Boden und in der Ecke stehen sahen.
„Ich war begeistert über ihr Atelier, über den Fleiß, über die Sauberkeit und die Präzision.“
Mary Bauermeister
2024 also sahen wir Takako Saito in ihrem Wohn-Atelier in Düsseldorf wieder, das in einem etwas abgelegen, nur über Trampelpfade zu erreichenden Atelierhaus des Kulturamts Düsseldorf angesiedelt war.
Schon mäuseklein geschrumpft
Takako Saito saß versunken auf ihrem Sofa, jetzt war sie fast schon mäuseklein geschrumpft, gefangen im Käfig ihres schwachen Körpers. Sie sprach inzwischen besser Deutsch als Englisch, ihr Gehirn hatte irgendeinen Sprach-Schalter umgelegt. Die Heiterkeit war noch vorhanden, aber eher gedämpft als unbändig. Es war ein Leben in den vorvorletzten Zügen.
Wir erinnern uns noch an ihre Trippelschnitte im Flur des Ateliers – keine Trippelfinger mehr wie vor sieben Jahren im MGK: jetzt Trippelfüße –, als sie uns mit ihrem primitiven Rollator entgegenkam. An ihre pumpende Gymnastik, um den heruntergefahrenen Kreislauf wieder in die Gänge zu bekommen.
Auch hier die große Disziplin, die bei aller spielerischen Freude aus Takako Saitos Werken spricht. Das Leben als Summe aus Kunst UND Arbeit.
Wie viel Arbeit in den Werken von Takako Saito steckt, begriffen wir eigentlich erst bei unserem Besuch im Atelier. Denn die sieben Räume, aus denen es bestand, waren vollgefüllt mit Handwerkszeug.
Eine Ständerbohrmaschine und ein Bandschleifer war darunter, eine elektrische Dekoupier- und eine Tischkreissäge, aber das beschreibt nicht im Ansatz die Fülle im Atelier, die hoffentlich unsere Bilder vermitteln. Denn Takako Saito hatte alles selbst gemacht.
Nicht nur die teils ungeheuer filigranen Schachspiele, Holzfiguren, Leitern, Kleider, Skulpturen, Fluxus-Kästen, Spielköpfe, Verkaufsstände, Spezialbücher, Papierwürfel-Kosmen für Performances: auch die Möbel in ihrer Wohnung: die Tische, die Couch, das Bett, die Küche, den Holzfußboden.
Alles DIY einer Selfmade-Frau, mit selbst beigebrachter, durch Talent & Phantasie durch die Jahrzehnte perfektionierter Technik.
Inklusive fast wissenschaftlicher Experimente mit Lacken, Orangen-Schalen, Pfirsich-Kernen, Stempel-Farben, Tusche, Tinte, Pflanzen-Säften, Bügeleisen, Pergament-Papier.

Als wir später erfuhren, dass Takako Saito auch ein Farbmischverfahren entwickelt hat, das von einer Kunstdruckerei übernommen worden ist, wunderte uns das nicht einmal ansatzweise.
Praktizierter Fluxus at ist best
Kunst & Leben, Werk & Gebrauchsgegenstand gingen in diesem Wohnatelier ohnehin ineinander über. In DIESER riesigen Mausefalle hatte Takako Saito mit sich selbst Schach gespielt. Im Grunde praktizierter Fluxus at ist best.
Und hier noch unsere Besuchs-Impressionen vom Werkstatt-Atelier (die Kunst, die vorher in der großen Ausstellung in Bochum war, war allerdings noch größtenteils verpackt):
In diesem Sinn: Leb wohl, Takato Saito, im Diesseits ist der letzte Zug getan.
Und mache dort, wo du jetzt bist, unbedingt wieder einen hippen You-&-Me-Laden auf! Mit Phantasie-Schach und Mausefallen, in die man sicher auch da, wo du jetzt bist, allzu gerne tappt. (01.10.2025)


Appendix: Wie wir einmal Takako Saitos Wohn-Atelier (kurzzeitig) erhalten halfen
Wir haben es bisher verschwiegen, aber ein wichtiger Grund für den schlechten Allgemeinzustand Takako Saitos bei unserem Wiedersehen im April 2024 war das Kulturamt der Stadt Düsseldorf.
Kurz vorher hatte die Institution zur Förderung der Künstler*innen in der Landeshauptstadt nämlich beschlossen, das Atelierhaus, dessen Vermieterin es war, aus denselben niederen Rentabilitätsantrieben abreißen zu wollen, aus denen gemeinhin der kulturlose Immobilienspekulant agiert. Takako Saito hatte man fristlos gekündigt. Die Künstlerin saß in einer ganz anderen Mausefalle fest als jene, die sie zur Freude Aller im Wohn-Atelier gebaut & gebastelt hatte.
Niemand war vor Ort
Nach langem, unter anderem durch Visa-Probleme provoziertem Nomadenleben in teils überaus prekären Verhältnissen sollte Takako Saito, die vor ihrer Künstlerlaufbahn Putzfrau, Köchin, Kindermädchen, Erzieherin und Verkäuferin war, ihre erste jahrzehntelange Heimstatt, in der sie über drei Jahrzehnte lang ihre Kunst geschaffen hatte, wieder genommen werden: mit 95 Jahren. Ohnehin hatte man ihr, wie den anderen Künstler*innen im Hause, das Wohnen und Arbeiten in der Manier des der kulturlosen Immobilienspekulanten schon ziemlich unangenehm gemacht. Als wir kamen, hatte sie aus Sorge schon viele Nächte lang nicht mehr geschlafen.
Zum Glück hatte Takako Saito viele Freund*innen & Fürsprecher*innen – darunter auch jene, die sich über zwei Jahre für unseren Fotobesuch bei ihr stark gemacht hatten. Der engste Kreis dieser Freund*innen & Fürsprecher*innen hatte eine Anhörung im Kulturamt erwirkt, um das Ruder vielleicht doch noch einmal herumzureißen. Wenige Tage nach unserem Besuch begab sich eine Delegation zum Zollhof 13 in den schnieken, aufwändig sanierten Medienhafen. Mit im Gepäck waren unsere Fotos: Die wollte man dem Kulturamt zeigen, um sie zum Erhalt des Ensembles zu bewegen.
Offenbar hatte es niemand für nötig befunden, sich das einfach einmal vor Ort anzusehen.
Was sollen wir sagen?
Was sollen wir sagen: Die Anhörung klappte! Das Kulturamt setzte Takako Saitos Kündigung zumindest aus. Auch wenn man sich in der materialistischen Logik des kulturlosen Immobilienbesitzers weiterhin weigerte, das marode Gebäude zu renovieren oder auch nur instand zu halten, durfte Takako Saito doch immerhin dort wohnen bleiben. Das Aufatmen der Delegation im Zollhof 13 war bis nach Köln zu hören.
Zudem versprach das Kulturamt, mit nach einer Lösung zu suchen, um Takako Saitos Wohn-Atelier in irgendeiner Form zu erhalten! Wir konnten ja nicht Mäuschen spielen, aber wenn wir der Delegation, die uns im Nachhinein berichtete, Glauben schenken dürfen, dann waren unsere Fotos für dieses Versprechen des Kulturamts entscheidend.
Darauf waren wir, leider nur kurzzeitig, mächtig stolz.
Dann brach ein Rohr im maroden Haus, das Wasser fraß sich durch die Wand, erzeugte Schimmel, der auch die Kunst befiel. Takako Saito musste ausziehen, das Kulturamt Düsseldorf hatte gewonnen. Darüber sind wir dem Kulturamt Düsseldorf bis heute mächtig böse.
Takako Saito starb wohl in der Nacht vom 29. auf den 30. September 2025 in einem Altersheim. Wir sind sehr traurig. Führen insgeheim Deine stille Musik auf. Und spielen beizeiten gern mit Deinem Totenhemd. Deine KunstArztPraxis
Anmerkung: Um 20:35 Uhr erfuhren wir vom Tod Takako Saitos. An diesem Nachruf haben wir bis heute 4 Uhr morgens geschrieben, es war uns wichtig. Diese eine Nacht-Aktion waren wir Takako Saito schuldig. Nochmals, von allen Drei: leb wohl.
Was für ein berührender und würdigender Nachruf. Ja, Edi Roijen und Almuth Keusen -Hickl waren ihre engsten Freunde, jetzt sind sie alle drei vielleicht wieder vereint und können zusammen „spielen“.
Antwort KunstArztPraxis: Danke, liebe Sarah Roijen! Ich finde es besonders schön, dass so viele kommentieren, die Takako Saito persönlich kannten oder etwas Schönes mit ihr verbinden. Das zeigt, wie beliebt & bekannt sie war und wie unverständlich das Schweigen der „großen Medien“ zu ihrem Tod ist. Ihre KunstArztPraxis.
Sensationeller Nachruf, Danke!!! Aber woher wisst Ihr, dass Takako gestorben ist? Ich habe nirgendwo sonst davon gelesen. Ich habe sie zwei Mal erleben dürfen, es war beide Male ein außergewöhnliches Ereignis. Thekla Burchardts
Antwort KunstArztPraxis: Doch doch: Einen Tag nach uns haben auch die Villa Zanders und die Kunstsammlung NRW in Posts reagiert. Die Medien haben diese tolle Künstlerin offenbar leider schon längst vergessen. Ihre KunstArztPraxis
Ein wunderbarer Nachruf. Und was für ein schändliches Kulturamt.
Ja, traurig! Ich habe sie 1986 kennengelernt, dann ein paarmal in Wiesbaden erlebt, es ist so gut, dass jemand an diese Künstlerin denkt…
Was für ein Nachruf!!!! Danke.
(ich habe von ihrer Galeristin bei der artdüsseld aus ihrem Laden ein kleinste Tragetasche GESCHENKT bekommen. ich bin dafür dankbar,jetzt umso mehr)