Zum 65.: Drei Geschenk-Ideen für Ai Weiwei
Wir haben ein ambivalentes Verhältnis zu Ai Weiwei und seinem Werk: Irgendwie bringen wir die gute Botschaft mit dem Pompösen und Ich-Bezogenen oft nicht zusammen. Schenken wollen wir zum 65. trotzdem was: Ideen für neue Aktionen, verpackt im offenen Brief.
Lieber Herr Ai Weiwei,
seit wir Sie 2019 bei einem Foto-Shooting kennenlernten, haben wir viel über Sie nachgedacht, und dabei kam uns immer wieder auch der Pharao in den Sinn. Irgendwann kommt ja jedem Pharao von Berufs wegen die Idee, sich eine Pyramide zu bauen. Dann trommelt er seine Sklaven zusammen, und: Schwupps!, kitzelt die bestaunte Spitze eines neuen Bauwerks den azurblauen Himmel.
Viele Pharaos, aber ohne Einmauern
Natürlich sind Sie nicht ein Pharao, sondern viele Pharaonen, denn Sie haben ja viele Ideen. Und natürlich lassen Sie nicht Sklaven bei Wasser und Brot für sich schuften, bevor Sie sie in Ihrem Kunstwerk vermauern, sondern bezahlen, wie man so hört, nach Ortstarif.
Trotzdem ist es eben doch ein wenig wie beim Pharao: Sie trommeln, und dann brennen und bemalen 1.600 Menschen über zwei Jahre lang 100 Millionen Sonnenblumenkerne aus Keramik. Oder 1001 Chinesen reisen zur „documenta“ nach Kassel. Oder Hundertschaften emsiger Handwerker biegen 164 Tonnen aus Stahl und Korruption geformte Träger gerade, unter denen ein Erdbeben in der Provinz Sichuan Tausende von Schüler*innen in marode gebauten Schulen begraben hat.
Werbeflächen für Ideale
Dabei wollen wir gar nicht bestreiten, dass wir Ihre Ideen oft betörend & menschlich wichtig finden – und zwar, weil sie den Finger in viele Wunden diktatorischer Regime und gesellschaftlicher Systeme legen, die die individuelle Freiheit oder die universelle Nächstenliebe mit Füßen treten. So gesehen sind Sie viele Pharaonen im Widerstand.
Ihre Pyramiden sind Mahnmale gegen die Ungerechtigkeit und Heuchelei der Welt. Auf ihren Werbeflächen stehen weithin sichtbar jene Ideale, die auch wir gern unterschreiben. Aber eben nicht die Namen derer, die für die Umsetzung geschuftet haben. So gesehen: Old-School-Pharao.
Kunst oder Dunst?
Im Grunde können Sie natürlich da nichts für. Heute kommt Kunst ja nicht mehr von Können, sondern von Denken. Das hat den Sklaven letztendlich Marcel Duchamp eingebrockt, den Sie – wie wir! – zu Recht verehren wie der Pharao die Sonne.
Wo Duchamp aber noch sein eigener DIY-Sklave war, geben Konzeptunternehmer wie Jeff Koons oder Maurizio Cattelan die schockierende Materialisierung ihrer Softporno- oder Papstmord-Phantasien bei externen Dienstleistern wie Oberammergauer Herrgottschnitzern oder Pariser Wachsfigurenformern in Auftrag; oder sie haben gleich eine eigene Factory. Da sind Sie komplett state of the art.
Und genau hier liegt unseres Erachtens das Problem.
Wir fänden es nämlich gut, wenn Sie Avantgarde wären. Wenn Sie im Feld der Konzeptkunst den nächsten Schritt wagten, der weit hinausginge über das Fersmaß Duchamps und aller faul im Schatten seiner Fußstapfen schlummernden Epigonen. Wenn Sie der größte Pharao würden unter allen Pharaonen an der einsamen Pyramidenspitze des Kunstbetriebs. Sprich: Wenn Sie sogar für Ideen Sklaven hätten!
Geschenke zum Anfixen
Wissen Sie was? Wir machen einfach mal den Anfang und schenken Ihnen die ersten drei Ideen, von Jedem von uns eine, quasi als Ready-mades aus purem Geist. Bei Bedarf würden wir für weitere Lieferungen dann die ortsüblichen Tarife nehmen. Aber wir versprechen hoch & heilig, an Namensnennungen nicht interessiert zu sein. Wäre das was? Wir finden ja.
Herzlichen Glückwunsch zum 65. Geburtstag also, Ai Weiwei. Viel Spaß beim Auspacken. Vielleicht gefällt Ihnen ja zu sehen, was wir denken. Das würde uns echt freuen.
Köln, am 28. August 2022, Ihre KunstArztPraxis
Geburtstags-Idee Nr. 1
Ai Weiwei: „Tearing Down That Wall“ (2023-2123)
Zum Glück stehen Sie der Zerstörung von Kulturgut nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, aber die Geste mit den fallengelassenen Vasen aus der Han-Dynastie war auf der nach oben offenen Schockierungs-Skala in unseren Augen dann doch ein paar Nummern zu klein. Wir schlagen deshalb vor, die Chinesische Mauer abzutragen. Was David Hasselhoff mit seinen Mauerspechten in Berlin gelang, sollte Ihnen in China gut möglich sein.
Als Ihre Mauerspechte empfehlen wir die in den weiten Grasländern Chinas lebenden Nomaden. Man könnte auch Wanderarbeiter oder Uiguren nehmen, was politisch gegebenenfalls brisanter wäre; aber wir als Romantiker der poetischen Verdichtung würden gern bei den Nomaden blieben. 2.000 Nomaden halten wir für angebracht.
Aus den Steinen der abgetragenen Mauer könnten die Nomaden feste Hütten bauen. Am besten am Rand von Chinas boomender Industriemetropole Ordos in der Inneren Mongolei. Dort hatten Sie ja schon mal geplant, mit 99 anderen Architekten schicke Villen zu entwerfen, was Ihnen dann aber doch zu „megalomanisch“ vorkam. Da ist unsere Idee mit den kleinen Nomadenhütten auf jeden Fall bescheidener.
Wir haben das mal durchgerechnet: Für Abriss und Aufbau würden wir bei 2.000 Nomaden und einer tariflich vereinbarten 35-Stunden-Woche mit 30 Tagen garantiertem Jahresurlaub grob 100 Jahre veranschlagen wollen. Dann wäre aus dem sperrigen Bollwerk gegen die wilden Reitervölker aus dem Norden ein bewohnbares Monument des Friedens und der Freundschaft geworden.
Und ein Protest gegen die Zwangsansiedlung der Mongolen durch das chinesische Regime wäre es auch: Schließlich basiert „Tearing Down the Wall“ auf dem Konzept freiwilliger Sesshaftigkeit. Und die Nomaden dürften ihre Hütten laut Schenkungsvertrag natürlich auch vermieten!
Geburtstags-Idee Nr. 2
Ai Weiwei: „Berlin Fuck Off Taxi Convoy“ (2024)
Wie wir lasen, mögen Sie die Deutschen nicht. Faul und ausländerfeindlich seien die, haben Sie gesagt, als Sie ihr Atelier in Berlin verließen, um nach London auszuwandern, und unfreundlich: im Gegensatz zu den Briten, die „wenigstens höflich“ seien. Als Beleg haben Sie damals angeführt, in Berlin drei Mal aus einem Taxi herausgeworfen worden zu sein; wobei Sie andernorts einmal sagten, dass die Berliner Taxi-Fahrer fast ausschließlich Türken seien.
Das hat uns alles arg verwirrt, denn wir hatten eigentlich gedacht, dass Sie als Streiter gegen Vermassung und für die Rechte des Einzelnen in Individu- statt in Nationalitäten dächten. Aber als Künstler dürfen Sie natürlich denken was & wie Sie wollen. Schwamm drüber. Geht uns nichts an. Soviel Höflichkeit muss sein.
Wir haben trotzdem folgenden Vorschlag:
Wir schlagen vor, alle Mercedes-Sterne der rund 8.100 konzessionierten Taxen in Berlin von der Motorhaube zu entfernen (die Hybrid-Taxen von Toyota müsste man wie alle anderen nicht der Mercedes-Taxi-DIN entsprechenden Fahrzeuge leider links liegen lassen) und durch Stinkefinger aus purem Gold zu ersetzen, die in Richtung der entsprechenden Taxifahrer zeigen.
So würden nicht nur zwei der wichtigsten, inzwischen ikonisch historisierten Punk-Gesten der 1970er bis 1990er Jahre – Entfernen von Mercedes-Sternen und Zeigen von Stinkefingern – miteinander verknüpft: Es wäre auch der verständlichen Rache Genüge getan. Denn unter den bestinkefingerten Taxi-Fahrern verstecken sich ja vielleicht auch Ihre drei Rauswurf-Rowdys.
Wahlweise könnten die Stinkefinger auch aus Marmor, Lego-Steinen oder Murano-Glas bestehen. Und sie wären bei älteren Modellen dank des Stern-Scharniers in der Mercedes-Motorhaube sogar in Richtung Straße, also in Richtung aller von Berliner Taxi-Fahrern angefahrenen Ziele drehbar!
In dieser Variante könnte das Taxi-Netz der Hauptstadt als „mobile Skulptur“ Ihre berühmte Fotoserie mit flüchtigen Bildern wie „F… Brandenburger Tor“, „F… Checkpoint Charlie“ oder „F… Alexanderplatz“ adäquat ins 21. Jahrhundert transportieren – auch als rollende, nur vom Inneren des Taxis aus zu sehende Kritik an der touristischen Geschichtslosigkeit und der Fotoflut unserer digitalen Zeit.
Es wäre sogar denkbar, dass die Taxi-Fahrer Gefallen finden würden am „Berlin Fuck Off Taxi Convoy“, denn uns persönlich erschien ihre tatsächlich nicht immer charmante Ruppigkeit bei unseren Besuchen in der Hauptstadt oft nicht frei von Humor! Das gilt zumindest für die rund 8.097 türkischen Taxi-Fahrer. Die drei deutschen sollten sich natürlich weiter in Grund und Boden schämen.
Geburtstags-Idee Nr. 3
Ai Weiwei: „S.A.C.R.E.D R.E.L.O.A.D.E.D“ (bitte noch 2022!)
Auf diesen Vorschlag des dritten Kollegen sind wir beiden anderen KunstArztPraxis-Ärzte ziemlich neidisch, denn er ist unserer einhelligen Meinung nach mit Abstand der beste!
Besagter Kollege empfiehlt Ihnen die Entführung eines Diktatoren aus einem x-beliebigen Überwachungsstaat, um ihm unter dem Vorwand der Steuerhinterziehung 81 Tage lang jene Behandlung angedeihen zu lassen, die die chinesische Regierung Ihnen im Jahr 2011 eben jene 81 Tage lang angedeihen ließ. Und dabei stehen Sie – wie weiland bei Ihnen die beiden strengen Polizisten – rund um die Uhr hinter ihm und schauen ihm ununterbrochen beim Schlafen, beim Essen, beim Stuhlgang und beim Aushecken von Grausamkeiten zu.
Parallel hierzu vertwittern Sie ihre Beobachtungen in Echtzeit in Ihrem Blog. Am Ende dieser Tage könnten sogar Puppenbauer, Metallschweißer und Innenausstatter noch eine Guckkasten-Installation mit neun Eisenkästen daraus machen wie die, die wir 2019 von Ihnen im K21 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf gesehen haben. Muss aber nicht.
An dieser Stelle nur ein Einschub in eigener Sache: Beneideter Kollege behauptet, bei seiner Idee ein wenig von Marina Abramović abgekupfert zu haben, die ihre tollen Original-Performances seit geraumer Zeit bekanntlich ebenfalls re-inszenieren lässt. Wir beiden anderen wollen diese Selbstkritik aber so nicht gelten lassen.
Denn bei „S.A.C.R.E.D R.E.L.O.A.D.E.D“ geht es ja gar nicht um wiederholte Eigenkunst, sondern um die Re-Inszenierung der echten, verdammenswerten Wirklichkeit. Und auf die Gedanken – sagen wir: die gemeinsam mit Ulay uraufgeführte Ohrfeigen-Aktion „Light/Dark“ (1977) oder die Anschrei-Orgie „AAA-AAA“ (1978) zum Beispiel von Kim Jong-un und Baschar al-Assad re-inszenieren zu lassen, ist selbst Marina Abramović (leider) noch nicht gekommen.
Von „S.A.C.R.E.D R.E.L.O.A.D.E.D“ jedenfalls erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse für die noch junge Diktatoren-Forschung. Träumen diese Wesen Böses? Sprechen Sie im Schlaf – wenn, was? Schlingen sie Nahrung besonders gierig in sich hinein – und schlabbern & sabbern dabei vielleicht sogar aufs Lätzchen? Und, entscheidend: Was kommt am Ende beim Diktator hinten raus? Studien hierzu könnten die Menschheit retten.
Wie gesagt: Den Diktator für „S.A.C.R.E.D R.E.L.O.A.D.E.D“ können Sie aus allen Unrechtsstaaten dieser Erde gern frei wählen. Wenn es nach uns ginge, dürfte die Aktion ohnehin in Serie gehen, denn sie träfe nie den Falschen: Schließlich gehört Steuerhinterziehung zum Diktatoren-Kerngeschäft.
Allerdings würden wir begrüßen, wenn Sie mit Wladimir Putin den Anfang machten. Fragen Sie doch mal in Moskau nach. Vielleicht hat er ja Zeit & Lust dazu.
Bitteschön. Dankeschön. (28.08.2022)
Anmerkung: Wir empfehlen, regelmäßig in Ai Weiweis Blog nachzuschauen, ob „S.A.C.R.E.D R.E.L.O.A.D.E.D“ schon angelaufen ist. Nachdem die chinesischen Behörden das wirkmächtige Original 2011 im Zuge von Ai Weiweis willkürlicher Verhaftung gesperrt hatten, findet sich eine Twitter-Fassung inzwischen hier.
Noch mehr Ai Weiwei in der KunstArztPraxis:
Sommerloch-Porträts (5): Ai Weiweis Kern
Und noch ein bisschen was zu Marina Abramović:
Being Marina Abramović
Korrekt performen: Marina Abramović zum 75.
Die Kunstarztpraxis ragt aus den üblichen Kunstbesprechungen der Feuilletons wirklich heraus: statt Geschwurbel echte Erklärung, außeredem Kritik mit Haltung. Und dann gern auch Satire, wie in diesem Fall. Als nicht Szene-affin lerne ich da eine Menge und bin noch gut unterhalten dabei. Herzlichen Dankk- und weiter so!