Being Marina Abramović
Im Lockdown erinnert sich auch die KunstArztPraxis gern an glücklichere Zeiten. An vergangene Operationen wie das aufregende Fotoshooting in der Bonner Bundeskunsthalle mit Marina Abramović zum Beispiel, die in diesem Jahr ja 75 wird. Und an zwei irritierend unterschiedliche Seiten einer Künstlerin.
Wir von der KunstArztPraxis werden oft gefragt: „Ist es schwer, die Reichen und Schönen des Kunstbetriebs zu fotografieren?“. Wir antworten dann immer: „Eigentlich nicht.“
Überhaupt ist das erste Foto oft eh das beste. Die Sekunde vorm letzten Strich durchs Haar. Der Moment beim Versenken eines Schmierpapiers in der Jackettasche. Der entscheidende Augenblick vorm fast unvermeindlichen Posieren also. Bei Ai Weiwei, bei Erwin Wurm, teils auch bei Katharina Grosse.
Bei Marina Abramović war das vollkommen anders.
Sich beim Blick ins Leere sammeln
Im April 2018 war das, im Auftrag des WDR, im Vorfeld der großen Retrospektive „The Cleaner“ in der Bundeskunsthalle Bonn. Daran erinnern wir uns noch, als sei es gestern gewesen.
Marina Abramović hat sich fürs Fotoshooting viel Zeit genommen: ungewöhnlich in all dem Aufbaurummel. Wir gehen zusammen ins lichte Foyer, einen von Abramovićs erklärten Lieblingsorten im Museum. Das hauseigene Kamerateam folgt hinterdrein.
Abramović setzt sich auf eine der Bänke, den Rücken an der Lehne. Sie schaut uns nicht an. Schaut gar nichts an. Wir können erkennen, wie sie sich sammelt. Die ganze Konzentration in das fließen lässt, was kommen wird. Wir gehen derweil (zum Fotografieren) in die Knie.
Die Kamera als Schutzwall
Dann dreht Abramović sich zu uns um – und wir blicken in etwas seltsam Starres. Ein Gesicht zwischen Physiognomie und Maske, das wir von vielen offiziellen Fotos der Künstlerin längst kennen. Ein ikonisches Gesicht, das immer noch befremdet.
Ein Gesicht, das augenblicklich zeigt, worum es geht – hier wie in Abramovićs Aktionen: Blicke fast wie Schmerzen aushalten, den eigenen Blick bei aller Verletzlichkeit unbedingt kontrollieren wollen. Durchdringen. Und dabei undurchdringlich bleiben.
So ist das Shooting wie eine Art Privat-Performance. Im Grunde könnten wir auch in Abramovićs Aktion „The Artist is Present“ (2010) im New Yorker MoMa sein, bei der die Künstlerin drei Monate lang täglich während der Öffnungszeiten schweigend im Atrium auf einem Stuhl saß. Und ihr rund 1.500 gegenüber sitzende Besucher nacheinander in die Augen blickten.
Nur nicht mit einem Tisch, sondern mit der Kamera als Schutzwall dazwischen.
Aus der Marke wird der Mensch
Und dann passiert etwas ganz Zauberhaftes: Abramović nimmt den Kopf in die Hände, senkt den Blick, hebt den Kopf wieder, öffnet die Hände – und ist plötzlich aufgewacht. Wir blicken in ein gelöstes Gesicht, das lächelt. Das Maskierende ist abgefallen. Aus der Marke, denken wir zumindest, wird der Mensch.
Seitdem fragen wir uns: Wer ist Marina Abramović? Ist sie jene Kunstfigur, die ihre Rolle im MoMa auch nach Monaten und sichtlich gezeichnet von den Strapazen teils krampfhaft aufrecht zu erhalten sucht – und in dieser Emotionslosigkeit manchen Besucher zum Lachen oder Weinen rührt?
Oder ist sie jene „Privatperson“, die weinend aus der Rolle fällt, als sie erkennt, dass sie, angeblich erstmals nach Jahren des Schweigens, ihrem Ex-Partner Ulay gegenüber sitzt – selbst wieder eine der ergreifendsten Szenen der Kunstgeschichte?
Träumt Abramović in Performances?
Wie man Marina Abramović wird, hat die Künstlerin 2016 in ihrer Autobiografie „Walk Through Walls: A Memoir: Becoming Marina Abramovic“ hinlänglich beschrieben. Aber: Wie ist man Marina Abramović?
Und wann ist man Marina Abramović? In der Performance? Im privaten Raum? Oder ist das gar nicht mehr zu trennen bei jemandem, der so stark in der eigenen Kunst versunken ist? Wir jedenfalls haben in zwei ganz unterschiedliche Gesichter gesehen. Zwei völlig verschiedene Blicke erhascht. Und es natürlich nicht herausgefunden.
Am Ende des Shootings, beim gemeinsamen Betrachten der Fotos, hat uns Marina Abramović übrigens über den Unterarm gestriffen. Eine unachtsame Geste? Eine emotionale Regung? Abschluss der privaten Performance? Vielleicht alles zusammen. Oder auch nichts davon.
Das „beste Foto“ waren auf jedem Fall die letzten drei. (01.03.2021)
Anmerkung: Nach unserem Fotoshooting hatte der offizielle Fotograf der Bundeskunsthalle ebenfalls eines. Wenn wir diese Bilder betrachten, kommt uns das fast wie eine Re-Performance unseres eigenen Shootings vor – inklusive der „Öffnung“ an Schluss.
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