Betriebsausflüge 6: „Honiggelb“ in Wiesbaden
Als florierende KunstArztPraxis verdienen wir naturgemäß Unsummsummen Geldes. Deshalb schließen wir bisweilen die Einflugschneisen für Patienten und schwärmen aus ins befreundete Ausland. Diesmal ging’s nach Wiesbaden, zu den Bienen. Ein Ausflugsprotokoll unserer Schülerpraktikantin Sarah.
Für David Lynch (1946-2025). Nicht von Sarah. Von uns.
In der KunstArztPraxis gab es lange einen leeren Nagel, an dem hing vorher Cole. Der leere Nagel hat die KunstÄrzte ganz depri gemacht, deshalb bin ich froh, dass dort jetzt gerade ein neues Bild hängt. Eigentlich gehört es jemand Anderem, einem ECHTEN Doktor nämlich. Für den bauen die KunstÄrzte gerade eine Sammlung auf.
Das Bild heißt „Box of bees“. Es stammt von David Lynch, der früher angeblich mal ein berühmter Regisseur gewesen sein soll. Vielleicht hat das Bild deshalb einen Vorhang an den Seiten? Und auf der Bühne sieht man eine ziemlich schlecht gemalte Box.
Neben Talent kann ich beim besten Willen auch keine Bienen entdecken.*
*Ach, liebe Sarah: Für diesen Satz verzeihen wir dir alles,
was du gleich über Joseph Beuys schreiben wirst!

Ich mag die „Box of Bees“ nicht sonderlich. Für mich erzählt sie keine Geschichte. Ich mag eben lieber Bilder, die Geschichten erzählen. Da bin ich Kind des Mittelalters.
„Hmm, schmeckt gut!“
Joseph Beuys
Deshalb sagt mir auch dieser komische Beuys nichts, den die KunstÄrzte abgöttisch verehren. Weil der mal eine „Honigpumpe“ gebastelt hat, in die man alles Mögliche von Schöpferkraft bis Demokratie hineingeheimnissen kann, darf er natürlich auch in „Honiggelb“ nicht fehlen. Allerdings nur mit Fotos statt der albernen Pumpe.
Durch den Beuys-Raum bin ich ganz schnell durchgegangen. Die KunstÄrzte natürlich nicht. DIE schmieren Herrn Beuys ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit Honig ums Maul.*
*Weil er es verdient, liebe Sarah! Weil er es verdient.
Das wirst du auch noch merken, wenn du erstmal so alt bist wie wir.

Ansonsten war für mich aber ziemlich viel in Wiesbaden dabei. Die meisten Werke erzählen nämlich tatsächlich Geschichten. Als ob sie Bücher wären.
Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass Bienen in der Antike gern um junge Männer schwirrten, die mal berühmte Dichter werden sollten, also Biene und Geschichte zwei Seiten einer Wabe sind? Auch das habe ich in „Honiggelb“ gelernt.
Es gibt sie eben, die Geschichten
Ist aber auch egal. Es gibt sie eben, die Geschichten. Vom Kaiser, der die Biene in sein Wappen nahm. Von Jupiter, der mit Milch & Honig großgezogen wurde. Von der Verteidigung einer Festung mit Hilfe des Schwarms. Von der Eintracht des Korbes – und von der Eifersucht (wenn er brennt).
Die fabelhafte Geschichte von der Biene und dem Drachen (oder dem Bären (oder der Spinne)). Vom Bienenwunder des heiligen Ambrosius. Und von der Honigmadonna, die eine Prophezeiung des Jesaja wahr werden ließ.
Ich finde, das kann man sich alles sehr gut ansehen. Und über QR-Codes viel dazu lesen.

Am liebsten mochte ich übrigens einen Kinderkopf aus Holz, der ziemlich am Anfang von der Ausstellung hängt: ich glaube, im zweiten oder dritten Raum. Und der war ziemlich gut gehangen.

Was hat es bloß?
Man kommt nämlich durch die Tür und denkt: Das ist aber ein krass weinendes Kind da! Was hat es bloß? Und dann geht man um das Kind herum und sieht, dass auf der Wange auf der anderen Seite eine Biene sitzt.
Das arme Kind schreit also vor Schmerz, und das ist schon brutal lebensecht dargestellt! Für mich jedenfalls war das ein Schock.
Die KunstÄrzte haben mir dann zu erklären versucht, dass das kein normaler Kindskopf ist, sondern der von Amor, dem griechischen Liebesgott. Der war nämlich ein Honigdieb, das hatte ich bisher nicht gewusst. Und das haben sich die Bienen natürlich nicht gefallen lassen.
Das mit dem Amor nehme ich den KunstÄrzten aber nicht ab. Woher wollen sie das wissen? Alle Nas‘ lang werden kleine Kinder von Bienen gestochen, da braucht man keinen Liebesgott zur Überhöhung eines Kunstwerks.
Mich zum Beispiel hat auch mal eine Biene gestochen, da war ich sechs. Vermutlich habe ich genauso schmerzverzerrt ausgesehen.
Aber die Geschichte mit Amor ist natürlich trotzdem hübsch. Und bei einem anderen, sehr berühmten Bild in „Honiggelb“ stimmt sie auf jeden Fall. Weil: Dieses Kind hat Flügel.


Und dann gibt es ja auch noch die „Biene Maja“, mit der nicht nur die KunstÄrzte groß geworden sind, sondern Jahrzehnte später auch noch ich! Sie mit der Biene Maja als japanische Zeichentrick-Figur im Fernsehen, und ich mit der Biene Maja als 3D-Animation zum Streamen bei Netflix und Disney+.
Davor aber war die Biene Maja mal ein komplett analoges Buch: mit Scherenschnitten, die in der Ausstellung hängen! Und mit dem sind auch ganz viele groß und sogar tot geworden.

Groß und TOT geworden?
Kustarzt3 hat dieses Buch sogar gelesen, allerdings ohne Scherenschnitte. Wer schwarzen Humor mag, sagt er, für den ist das toll. Aber er sagt auch, dass die Nazis den Soldaten die „Biene Maja“ mit in die Schützengräben gegeben haben, für den Endsieg. Wegen dem Kampf der Bienen gegen die Hornissen im letzten Kapitel. So viel zum Thema Kinderbuch.
„Und nun, da die kleine Biene an die Kraft und die Stärke der Ihren dachte, an ihre Todesbereitschaft und ihre Treue gegen die Königin, überkam sie ein hoher Zorn gegen die Feinde und zugleich ein beseligter Opferwille und ein beglückender Mut ihrer begeisterten Liebe.“
Waldemar Bonsels
Und dass Adolf Hitler ein Riesen-Fan der Bienen gewesen ist, weil sich im Stock im Grunde Alle für Eine*n aufopfern. Also für Adolf Hitler. Äh: für die Königin.
Von DIESER Bienengeschichte erzählt die Ausstellung leider gar nichts. Nicht mal im Katalog.
Neben Beuys ist das mit der Nazi-Biene aber die einzige Sache, die mir nicht so gut gefallen hat in „Honiggelb“. Ansonsten hat mir dort eigentlich alles sehr gut gefallen. Deshalb bin ich froh, dass die KunstÄrzte mich mitgenommen haben. Danke, liebe KunstÄrzte!*
*Gern geschehen, liebe Sarah!
Bienenstich für David Lynch
Ach ja, das darf ich nicht vergessen: Am Ende unseres Ausflugs haben die KunstÄrzte in einer Bäckerei in Wiesbaden natürlich noch unbedingt vier Stücke BIENENSTICH holen müssen, das ist so ihr Humor! Derlei Wortspiele finden alle Drei irgendwie riesig.
Den Bienenstich haben wir am nächsten Tag in der KunstArztPraxis unter der „Box of Bees“ an Coles Nagel gegessen. Im Gedenken an David Lynch, haben die Drei gesagt. Weil der doch dieses Jahr gestorben ist. Und wegen der Bienenstiche auf seinem Bild.
Ein bisschen spinnen tun in der KunstArztPraxis irgendwie alle. (18.05.2025)
Honiggelb. Die Biene in der Kunst von der Renaissance bis in die Gegenwart“ ist noch bis zum 22. Juni 2025 im Museum Wiesbaden zu sehen.

Anmerkung 1: Danke für dein Ausflugsprotokoll, liebe Sarah: trotz deiner Sticheleien – und trotz des einen falschen Dativs, den Jede*r, der oder die ihn findet, gern behalten darf. Dein Sprachtalent ist bewundernswert, nie hatte eine Schülerpraktikantin größeres; eigentlich müssten Myriaden von Bienen-Schwärmen dich umschwirren.
ABER: Dein Blick auf Kunst geht fehl, denn: Na-TÜR-lich erzählt auch die „Box of Bees“ eine Geschichte! David Lynch, ohne den es übrigens viele deiner Lieblings-Mystery-Serien auf Netflix und Disney+ nicht gäbe, hat sie uns kurz vor seinem Tod noch per E-Mail von Los Angeles aus zukommen lassen. Diese Geschichte geht so:
„There is a story for ‚Box of Bees‘: For a while, Jack Nance (best known for his role in ‚Eraserhead‘) dropped out of the film business. He got a job as a hotel manager and worked the night shift. One day he went to a room that had been vacant for some time. In that room, he found hundreds of dead bees. He took an empty Kleenex box and filled it with these bees. He know that I liked this sort of thing, so one day he gave this to me. I literally named the watercolor after this gift from Jack Nance. Hope this helps! David Lynch.“
Anmerkung 2: Wir kuratieren tatsächlich gerade eine Sammlung für einen Gastroenterologen, der, das muss der Neid ihm lassen, mit Magenspiegelungen noch mehr Unsummsummen Geldes verdient als wir. Das eigentliche Thema der Sammlung ist „Werden und Vergehen“, aber „Honiggelb“ hat uns gezeigt, wie viel Biene darin stecken wird. Neben der „Box of Bees“ gibt es jetzt schon ein Waben-Objekt von Mary Bauermeister, zwei in Wachs getunkte Zeichnungen von Sandra Vasquez de la Horra, eine alte Schul-Schautafel zur Honigbiene – und ein „Bee-o-Top“ von Gundula Weber, sprich: ein Wiesenstück à la Albrecht Dürer samt Nektar saugender Bienen – und alles, den Sockel inklusive, aus Papier.
Vielleicht berichten wir mal darüber, wenn die Sammlung komplett ist. Was meint Ihr? Schreibt es in die Kommentare! Und sagt uns, in welcher Stadt Ihr unseren Beitrag gerade lest.
Betriebsausflüge in der KunstArztPraxis:
5; Nick Cave in Wassenaar
4: „Kafka: 1924“ in München
3: Nicole Eisenman in München
2:“Geordnete Verhältnisse“ in Nürnberg
1: „Kunst für Tiere“ in Rüsselsheim
Unglaublich toll. Mal wieder. Danke! Eric
Antwort KunstArztPraxis: Sehr gerne, lieber EricS. Ihre KunstArztPraxis.
Ich liebe die Berichte von Euren Betriebsausflügen.
Antwort KunstArztPraxis: 1000 Dank, auch im Namen von Sarah, Herr Brandes! Aus solchen Lobeleien saugen wir Honig. Ihre KunstArztPraxis