Der Dreiecks-Zwilling: Blinky Palermo zum 80. Geburtstag
Es mag verrückt klingen, aber Peter Heisterkamp alias Blinky Palermo war wirklich ein dreifacher Zwilling! Wir erläutern das zum 80. Geburtstag des von uns sehr geschätzten Künstlers im Vorgeplänkel zu jenem Interview, dass wir einst mit Blinky Palermos Zwillingsbruder führten. Also:
Warum war Blinky Palermo ein dreifacher Zwilling? Ganz einfach:
Er hatte nicht nur einen Bruder, der mit ihm gemeinsam vor 80 Jahren, also am 2. Juni 1943 in Leipzig zur Welt – und kurz darauf zu Adoptiveltern nach Münster – kam: Er wurde mit ihm gemeinsam auch noch im Sternbild des Zwillings geboren!
Und dann gibt es ja auch noch den Namenszwilling Blinky Palermo, dem er sein Pseudonym verdankt – und der der kriminelle Boxpromotor von Weltmeister Sonny Liston war! Alles ganz schön verrückt.
Laut Astrologie sind Zwillinge voller Energie, kontraktfreudig und erfolgreich. Sie fallen gerne auf, lieben es, im Mittelpunkt zu stehen und sind die geborenen Entertainer. War Blinky Palermo – also der Künstler – so?
Wir haben einfach bei seinem Zwillingsbruder Michael Heisterkamp (rechts im Bild) nachgefragt. Denn: Wer sollte es besser wissen als er?
Das Interview haben wir mit etwas anderer Stoßrichtung vor ein paar Jahren für den WDR geführt, es ist aber immer noch frisch. Deshalb legen wir es zum 80. Geburtstag von Blinky Palermo (links im Bild) einfach nochmal auf.
Als einen KunstArztPraxis-Beitrag zur künstlerischen Zwillingsforschung.
KunstArztPraxis: Herr Heisterkamp, waren sie und Ihr Bruder sich wirklich zwillingsgleich nahe?
Heisterkamp: Ja, das kann man sagen. Wir waren uns von Kindheit an nahe, sogar räumlich. Schon in der Mansardenwohnung unserer Adoptiveltern in Münster hatten wir ein sehr kleines gemeinsames Kinderzimmer, das hat verbunden. Und als Peter 1977 während seiner Malediven-Reise unter mysteriösen Umständen starb, war ich auf den Philippinen auf Geschäftsreise – nur rund eine Flugstunde von ihm entfernt!
In den Jahren dazwischen waren wir einander vor allem dann nahe, wenn es Peter schlecht ging. Dann hat er sich an mich erinnert. Er hatte ja sehr viele Lebenskrisen – als Mensch, aber auch als Künstler. Sogar zu einer Zeit, wo er schon weltberühmt war.
Zwillingshafte Nähe in der Krise
KunstArztPraxis: Wann hatten Sie den engsten Kontakt?
Heisterkamp: Immer, wenn es ihm schlecht ging. Am meisten hat er in der Zeit gelitten, als er seine Stoffbilder gemacht hat – deshalb hatten wir zu dieser Zeit auch den engsten Kontakt. Die Stoffbilder waren sein größtes Problem: die Hängung, der Proporz zur Wand. In seinem Atelier in Düsseldorf hat er sich nächtelang den Kopf zerbrochen, da war ich oft dabei.
Dann hat er sich durch die Metallbilder erlöst, das war der Durchbruch für ihn selbst, damit hatte er sein eigentliches Thema gefunden – und die Nähe ebbte wieder etwas ab.
An unserem Geburtstag versuche ich ihm übrigens immer noch nahe zu sein. Da feiere ich nicht mit Familie oder Freunden, sondern gehe in Klausur und korrespondiere mit Peter in Gedanken. Darüber hinaus schafft aber auch Peters Kunst noch eine Nähe. Sie ist wie ein Rettungsanker für mich, damit mir sein Tod nicht unerträglich wird.
Was Kunst betraf: uneins
KunstArztPraxis: Man sagt ja immer, Zwillinge ticken gleich. Hatten Sie auch künstlerische Ambitionen – oder zumindest Sinn für Kunst?
Heisterkamp: Ich habe in der Jugend Fotocollagen gemacht, surrealistische Klebebilder in der Art von Max Ernst: Ich hatte auch ein paar Ausstellungen in Berlin. Aber dann habe ich das aus familiären Gründen in den 1970er Jahren aufgegeben und einen ganz normalen Beruf gewählt. Außerdem hat Peter immer eine ganz andere Art von Bildern gemacht, er war ja sehr experimentell unterwegs, deshalb waren wir damals, was Kunst betraf, uneins.
Und trotzdem: Wenn er am Wochenende zurück nach Münster kam und wir leise sein mussten, weil die Eltern Mittagsschlaf hielten, haben wir uns in die Küche verkrümelt und uns über seine Kunst gestritten. Aber ich habe teils auch mitgemacht bei Peters Experimenten mit Linolschnitt. Oder bei den Tuschezeichnungen auf der Rückseite von Geschäftspapieren unseres Vaters, der Generalvertreter für Mannesmann-Stahlrohre war.
Der Peter hat immer viel ausprobiert. Ich eher nicht.
„Ich verstand ja nichts von seiner Kunst“
KunstArztPraxis: In der Kunst also uneinige Zwillinge?
Heisterkamp: Ja, ich war künstlerisch sehr viel konservativer. Und dann der unterschiedliche Lebensweg. Später hatte ich beruflich einfach viel zu viel zu tun, als dass ich mich um Peters Kunst hätte kümmern können! Ich glaube, die erste Ausstellung, die ich von ihm gesehen habe, war tatsächlich die in Leipzig zu seinem 50. Geburtstag, 1993. Und da war er schon 16 Jahre tot.
Im Grunde habe ich erst in den letzten Jahren begonnen, mich mit meinem Bruder und seiner schillernden Biografie zu befassen. Ich verstand ja nichts von seiner Kunst, das war mir lange fremd. Und ich hatte 30 Jahre lang eine Foto-Firma, die mich ganz in Beschlag genommen hat. Erst ihr Verkauf 2003 hat mir die nötige Zeit zur Auseinandersetzung verschafft.
Heute weiß ich natürlich, dass Peter mir künstlerisch meilenweit voraus war. Auch weil er viel ausdauernder war als ich, viel konsequenter.
In Abneigung zu Münster verbunden
KunstArztPraxis: Gab es denn auch noch Gemeinsamkeiten?
Heisterkamp: Unsere Abneigung zu Münster vielleicht! In Münster zu leben war uns beiden fast unmöglich. Wir waren zwar oft am Aasee, wir haben gelernt zu segeln, und aus Spaß oder Frust Waschpulver in den Lambertibrunnen gekippt, das war aber natürlich nur ein schwacher Trost.
Münster war damals ja ein unglaublich kleinbürgerliches, spießiges Pflaster! Auch hat es mich sehr gewundert, dass unser Vater dem Peter gestattet hat, mit seiner sieben Jahre älteren Freundin nach Düsseldorf zu ziehen und Künstler zu werden – natürlich erst, nachdem er Peter dazu verpflichtet hatte, als Gebrauchsgrafiker auf der Werkkunstschule erst einmal „etwas Vernünftiges“ zu lernen.
Und nun: der Astrologie-Zwillings-Test
KunstArztPraxis: Zwillinge gelten laut Astrologie als kontraktfreudig und erfolgreich. Sie fallen gerne auf, lieben es, im Mittelpunkt zu stehen und sind die geborenen Entertainer. Trifft das auch auf Blinky Palermo zu?
Heisterkamp: Ja und nein.Peter war offen, freundlich, aber in Bezug auf seine Kunst kompromisslos und selbstquälerisch; seinem Wesen nach eher zurückhaltend und nachdenklich, würde ich sagen. Auch noch, als er international gefeiert wurde.
Allerdings war er nicht depressiv, wie manchmal in der Presse stand! Vieles von dem, was dort oder sogar in Dissertationen über Peter gesagt oder geschrieben wurde, ist meines Erachtens erfunden.
KunstArztPraxis: Was ist denn noch erfunden?
Heisterkamp: Dass er ein Leben in Saus und Braus geführt habe, mit Drogen und Alkohol und Frauen. Dass er ein Playboy war. Das ist alles so nicht wahr. Und anderes kommt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor.
KunstArztPraxis: Was kommt kaum vor?
Heisterkamp: Fast unbekannt ist, ist, dass er unendlich humorvoll war! Wenn wir mit Freunden zusammensaßen, oder mit Gerhard Richter oder Sigmar Polke in der Düsseldorfer Altstadt rumgezogen sind, dann haben wir oft unterm Tisch gelegen, wenn Peter das Wort ergriff.
Er konnte eigentlich alles witzig auskleiden, er hatte einen sehr intelligenten Humor. Mit viel Feingefühl für das Komische am Menschen.
Wie aus Peter Blinky wurde
KunstArztPraxis: Apropos „komisch“:Wie kam es denn dazu, dass aus Peter Heisterkamp Blinky Palermo wurde?
Heisterkamp: Im Grunde verdankt er das Anatol Herzfeld, dem Verkehrspolizisten an der Düsseldorfer Kunstakademie. Den hatten Peter und Norbert Tadeusz dazu animiert, in die Klasse von Joseph Beuys einzutreten, wo ja auch Peter seit 1964 Meisterschüler war.
Das war in der Düsseldorfer Kaiserstraße. Damals verdienten sich Peter, Richter und Polke als Maler an Karnevalswagen etwas Geld dazu. Peter hatte immer so eine Lederjacke an und einen flachen Hut auf seinem Schädel, den er sich wegen seiner Verehrung für Kasimir Malewitsch kahlgeschoren hatte. Und einen dicken Kopf und Pflaster im Gesicht hatte er auch.
Da kam Herzfeld rein und gab ihm spontan diesen Namen, weil er diesem zwielichtigen Boxpromotor, der gerade ein Bild im „Spiegel“ hatte, in seinem Outfitso und mit den Pflastern so verblüffend ähnlich sah.
Dessen Namen hat Peter dann als Pseudonym angenommen, und bei seiner ersten Ausstellung in der Galerie Schmela Mitte der 1960er Jahre zum ersten Mal auch mit „Blinky Palermo“ signiert. Dazu war er laut Arbeitsvertrag verpflichtet. Das machte er aber ein wenig widerwillig, doch selbst Beuys nannte ihn inzwischen so, und der hatte ja gesagt, dass er mit dem Namen Heisterkamp in der Kunstwelt nichts werden könne. So irgendwie ist das gekommen.
Farbe und Form erlebbar machen
KunstArztPraxis: Aus Ihrer persönlichen Zwillingsperspektive: Was Ihr Bruder gemacht und gewollt?
Heisterkamp: Interpretationen seiner Werke gab mein Bruder nur zögerlich oder selten. Aber ich glaube heute als Zwillingsbruder zu erahnen, dass er die Farbe und Form erlebbar machen wollte, ohne die Drangsal eines Motivs oder einer Bedeutung. Und es ging ihm um das Verhältnis von Werk und Räumlichkeit: das war selbst mir als Laien ganz offensichtlich.
Aber das lässt sich natürlich nur schwer erklären. Deshalb hat selbst Peter das nicht so recht gekonnt.
KunstArztPraxis: Und Sie haben diese Kunst irgendwann gemocht?
Heisterkamp: Mit Peters Zeichnungen kann ich nichts anfangen, die sind mir zu spröde. Aber seine Stoff- und Metallbilder finde ich wunderschön. Diese Evokation von Farbe, Form und Raum, die man nicht nur betrachtet, sondern wirklich erlebt, das ist ihm vor allem bei den Metallbildern meisterhaft gelungen.
Ob das dann Kunst war und ob Kunstkritiker das genauso sahen, das war meinem Bruder ziemlich Wurscht. Auch darüber haben wir damals in Münster am Küchentisch schon viel geredet. Für mich war er in solchen Gesprächen aber ohnehin immer mein Zwillingsbruder Peter, nicht der Künstler Blinky Palermo.
Auf / Unter Spannung setzen
KunstArztPraxis: Sind Sie ihrem Zwillingsbruder denn inzwischen auch künstlerisch nahe? Haben Sie zum Beispiel so etwas wie ein Lieblingswerk?
Heisterkamp: Zwei der schönsten Werke meines Bruders habe ich bei mir zu Hause hängen: einen kleinen schwarzen Kasten in der Manier Malewitschs von 1970 und „Ohne Titel (gewidmet Thelonious Monk)“ aus dem Jahr 1973, ein Auflagenobjekt von 30 Exemplaren. Das sind zwei fast identische Dreiecke aus Sperrholz, wobei das eine schwarz und das andere mit einem Spiegel versehen ist. Wie von Peter gefordert, habe ich sie im Abstand von 26 Zentimetern zueinander angebracht. Ich habe vier Stunden gebraucht, um sie aufzuhängen.
Wenn sie dieses Werk betrachten, dann bemerken sie die ungeheure Spannung, die zwischen den beiden Objekten besteht. Das war Peters Methode: zwei Objekte in ein Spannungsverhältnis zu bringen – wie beim „Tagtraum“ und beim „Schmetterling“. Das ist aber nur ein Hinweis meines Bruders, keine Botschaft.
(02.06.2023)
Anmerkung 1: Laut Astrologie sind Zwillinge bekanntermaßen voller Energie, kontraktfreudig und erfolgreich. Sie fallen außerdem gerne auf, lieben es, im Mittelpunkt zu stehen und sind die geborenen Entertainer. Auf den originalen Blinky Palermo, der ein paar Tage, bevor Peter Heisterkamp sein Namenszwilling wurde, ins Gefängnis wanderte, traf das offensichtlich zu – und das, obwohl er vom Sternbild her Wassermann war. Verrückt, oder?
Anmerkung 2: Eigentlich ist uns gerade erst aufgefallen, dass die Dreiecke in „Ohne Titel (gewidmet Thelonious Monk)“ wie zweieiige Zwillinge sind! Der eine glänzend, der andere eher defensiv. Dazu hätten wir Michael Heisterkamp gern auch noch befragt.
Anmerkung 3: Wir haben viele selbstgemachte Fotos von Blinky-Palermo-Werken in unserer KunstArztPraxis-Patientendatei. Aber, wie schon so oft: die fürchterliche Unsichtbarkeits-Maschine lässt sie nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen!
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