Papiertiger aus Acryl. Eckart Hahn in der Villa Zanders
Im Kosmos Eckart Hahns wimmelt es nur so vor meisterlich gemalten Tieren in surrealem Ambiente. Und oft sind die gemalten Tiere aus Papier. „Papiertiger“ in der Villa Zanders trägt sie aus aller Welt zusammen. Ein täuschend echtes Spiel mit unserer wankelmütigen Wahrnehmung. Voller tiefsinniger Fragen an Ich & Welt.
In Bergisch Gladbach gibt es ein Gemälde, dass wir aus bestimmten Gründen ganz besonders mögen. Dabei kommt es oberflächlich betrachtet eher unscheinbar daher.
„Creation“ (2024) zeigt nicht mehr als ein erigiertes Streichholz-Männchen auf zwei gefalteten Papierfiguren ihn einem sanft beschatteten leeren Raum: ein Einhorn und ein Huhn.
Hahn hat die unscheinbaren Drei aufeinander drapiert wie dezimierte Bremer Stadtmusikanten – und damit zeitliche Abfolge ins räumlich Vertikale verschoben. Denn die Figuren entstammen nicht dem Märchen, sondern einem Sciencefiction-Film, der in unseren Augen – neben „Flucht ins 23. Jahrhundert“ (1976) und „Terminator“ (1982) – einer der hellsichtigsten aller Zeiten ist.

Wir meinen natürlich Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982), in dem ein zwielichtiger Typ namens Gaff mit seiner Origami-Kunst nach und nach auch das Leben des Helden Rick Deckard kommentiert.
Im Film hat Deckard im futuristischen Los Angeles des Jahres 2019 den Beruf, gegen ihr Sklaven-Dasein rebellierende Adroiden – sogenannte Replikanten – per Empathie-Test zu entlarven und zu eliminieren.
Am Ende des Films gibt Gaff Deckard mit seinem Papier-Einhorn den Hinweis, dass der Replikanten-Jäger selbst Replikant sein könnte. Denn es verweist auf einen Traum Deckards, von dem Gaff nichts wissen kann: es sei denn, der Traum wurde Deckards Hirn digital implantiert.
Eckart Hahn, „Creation“ (2024); © für alle Gemälde: VG Bild-Kunst 2025
„Ein Jammer, dass sie nicht leben wird.
Letzte Sätze in Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982)
Aber wer tut das schon.“

Vordergründig betrachtet zeigt „Creation“ nur drei ins Riesenhafte aufgeblähte Profan-Skulpturen aus Holz & Papier in einem Hierarchie-Gefüge.
Aber mit „Blade Runner“ im Rücken ist dieses Abbild (Gemälde) des Abbilds (Film) des Abbilds (Origami) eines nicht mal real existentierenden Originals (Einhorn) auf eine herrlich unaufdringliche und dennoch verschachtelte Art aufgeladen mit den sozialen & existentiellen Fragen unserer Zeit.
Wann ist der Mensch ein Mensch?
Fragen nach Identität & Selbstbewusstsein zum Beispiel, nach Wahrheit & Täuschung, nach Autonomie & Unterdrückung, Macht & Überwachung, Kaltherzigkeit & großer Liebe, Leben & Imitat, KI & Vergänglichkeit.
Damit ist „Creation“ mal wieder so ein gutes Beispiel dafür, dass Kunst selbst unter ihrer schönsten glatten Oberfläche Reflexionsräume öffnen kann. Auch für Dinge, über die der oder die Betrachter*in sonst vielleicht im Traum nicht nachgedacht hätte.
Und das kann eben auch gute Kunst aus und auf – und über – Papier.

Bekanntlich war die Villa Zanders bisher eher auf gute Kunst aus und auf, nicht aber über Papier abonniert. Insofern ist Eckart Hahns Meta-Papier-Ausstellung, die in Form einer käuflichen Edition nur eine einzige leibhaftige Zellulose-Arbeit präsentiert, ein Novum. Und damit eine in unseren Augen gut genutzte Chance für das Kunstmuseum zur kuratorischen Erweiterung des eigenen Portfolios.
Die rund 50 Exponate der Ausstellung decken nämlich auf, wie stark sich Hahn bei seinen fotorealistischen Werken in Acryl und Aluminium (es gibt auch fünf Skulpturen) immer wieder mit dem Motiv auseinandergesetzt hat, um das Fragile der in unserem Bewusstsein individuell zusammengefalteten Welt ebenso darzustellen wie das Herumlavieren unserer wankelmütigen Wahrnehmung.
Von daher passt Hahn & Zanders wie Deckel auf Topf.
„Was ich glaube, ist, dass unserer Zeit etwas von einer inneren Haltung fehlt. Mein Thema ist eine innere Haltung zur Welt.“
Eckart Hahn

„Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir! / Wir müssen uns entscheiden, ob wir Schafe oder Wölfe sein wollen. Und wir entscheiden uns dafür, Wölfe zu sein.“
Joseph Goebbels (1928) / Björn Höcke (2018)
Bei Eckart Hahn sei das gemalte Papier „Metapher für die Konstruktion von Wirklichkeit“, sagt Museums-Direktorin Ina Dinter.
„Es ist alltäglich und unscheinbar, aber zugleich Träger von Ideen, Geschichten und Identitäten. Papier kann täuschen, verbergen, verwandeln. Es eignet sich daher ideal, um die Unsicherheit und Mehrdeutigkeit unserer Wahrnehmung zu inszenieren.“
Besser hätten wir das auch nicht sagen können. Deshalb schmücken wir uns ausnahmsweise mal mit fremden Federn wie manche von Eckart Hahns Vögeln und zitieren etwas länger als sonst.

Wenn Konstruktion von Wirklichkeit misslingt, kann man Papier auch zerknüddeln
und frustriert zu Boden werfen! Dieses Papier hier ist allerdings aus Aluminium. Und eine
ziemlich gute Idee. Eckart Hahn, „Cloud II“ (2025), Villa Zanders, Bergisch Gladbach 2025


Und noch etwas kam uns in der thematischen Zusammenschau der Werke, die zum Gutteil aus Privatsammlungen aus aller Welt nach Bergisch Gladbach gereist sind, erstaunlich vor:
Uns erschien es beim Betrachten nämlich fast schon so, als würde Eckart Hahn beim Komponieren und beim Malen seiner Bilder sogar papiern DENKEN.
In Kartenhäusern, Papp-Aufstellern, Tapeten und Puzzles nämlich. In Collagen – und in Décollagen, wie ein Affichist: Einer, der seine Farbschichten wie Plakat-Blätter übereinanderlegt, um dann einen Teil wieder herauszureißen.
Kunst kann man sich nicht aus den Rippen schneiden. Aber aus dem
papierenen Bauchraum reißen. Um sich besser kennenzulernen vielleicht? Weiterzuentwickeln?
Quasi plico, ergo sum. Eckart Hahn, „Character“ (2023)
Deshalb ist die Illusion von Eckart Hahns Bühnenräumen und Arrangements selten perspektivisch tief, sondern bleibt immer irgendwie flächig. Das Bild tut nicht so, als sei es Raum. Und wenn die Gefahr besteht, findet sich irgendwo eine plakative Abriss-Kante.
Ganz anders als beim ECHTEN Origami, dass wir seit Erwin Hapke lieben.*
*Im echten Origami wird ja auch nicht gerissen. Wölfe reißen.


Darf man sich bei Kunst an Kunst erinnert fühlen?
Eigentlich schreiben wir äußerst ungern, dass uns Kunst an andere Kunst erinnert hat, denn das ist ja oft nur ein einstudierter Taschenspielertrick studierter Kunstgeschichtler, der kaum Erkenntnis bringt. Oft will man damit nur zum Ausdruck bringen, dass man sich auskennt auf dem weiten Feld, das man beackert hat.
Wir schreiben trotzdem, dass uns Eckart Hahns Kunst ein wenig an die von Michael Sowa erinnert, dessen Ausstellung „Fragile Idyllen“ momentan noch bis zum 9. November 2025 im Caricatura Museum Frankfurt läuft.
Es geht uns dabei nämlich darum, auf unterschiedliche Facetten von Humor aufmerksam zu machen, über die wir in Bergisch Gladbach mit Eckart Hahn gesprochen haben. Da haben wir es aber ziemlich schlecht erklärt. Entschuldigung, Herr Hahn.
Neuer Versuch: Auch bei Sowa gibt es diesen altmeisterlich-surrealen Umgang mit einer fabelhaften Tierwelt. Aber bei Sowa ist es schwerpunktmäßig eher Komik. Und bei Eckart Hahn ist es schwerpunktmäßig eher Witz.

Auch Hängung kann witzig sein! Eckart Hahn, „Parrot“ (2016),
Villa Zanders, Bergisch Gladbach 2025
Aber Witz nicht im Sinne von lachhafter Flachwitz, sondern im Sinne von augenzwinkernder Esprit. Im Sinne von: Verstand, kluger Einfall, List, Reife, Einsicht, Erkenntnis. SO steht es, hier zusammengedampft, im „Grimmschem Wörterbuch“, wir haben extra nochmal nachgeschaut. Und SO denken wir uns das eben auch bei Eckart Hahn.
„ich, als die einfalt selbst, ich rede hier mit thieren, /
Martin Opitz, „Sidneys Arcadia“, 1638
an denen die vernunfft und witz sind nicht zu spüren.“


„Den Sozialismus in seinem Lauf /
Erich Honnecker (Zugeschrieben)
Hält weder Ochs noch Esel auf!“
Und noch ein letztes: Die Werke Eckart Hahns sahen wir zum ersten Mal in der leider kurz vor Corona insolvent gegangenen Galerie Wagner & Partner in Berlin. Das ist jetzt knapp ein Dutzend Jahre her. So lange sind wir schon am Künstler dran.
Galerie mit Stasi-Abhör-Keller

Die Räume der Galerie lagen am Strausberger Platz, direkt neben der für Militärparaden ausgelegten Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain, genauer: im ehemaligen Interflug-Reisebüro aus dem nicht mal real existierenden Sozialismus von Erich Honneckers DDR. Die Türen waren faltbar wie Origami. Im Keller gab es noch die Stasi-Lauschanlage.
Wer ausreisen wollte, wurde in der DDR eben mit Argusohren überwacht – und gegebenenfalls in die Falle gelockt & verhaftet: wie heute beim Einreiseversuch in die dystopischen USA des kopf- und rückgratlosen Papiertigers Donald Trump.*
*Tja, mit DIESEM Satz können WIR uns unsere USA-Reise
schon mal abschminken! Feind liest schließlich mit.
Und nach Trump kommt JD Vance: noch schlimmer.
So sad.
Das wird im autokratieverliebten Teil von Deutschland momentan ja wieder gern vergessen.

Ein Ort der Illusion & Täuschung, von gewünschter Freiheit & realer Unterdrückung, willkürlicher Macht & komplexer Überwachung sind diese Galerie-Räume einmal gewesen. Wären die Bilder von „Papiertiger“ – sagen wir: 1984 – im Interflug-Reisebüro aus den Privat-Sammlungen der Welt zusammengekommen und nicht heute in Bergisch Gladbach, sie hätten sich sicher auch dort nicht als deplatziert empfunden.
Honecker ist Geschichte, aber die Putins und Trumps und Musks und Zuckerbergs und Thiels gibt es halt immer noch. Die Schönheit dieser Welt bleibt brüchig. Und unter der Haut jedes Schweins lauert das nächste.
Auch das kann man auf Eckart Hahns Gemälden in der Villa Zanders entdecken: als Haltung zur Welt. Also unbedingt hingehen & genau hinsehen! Und nachdenken! Und danach zuhause mal wieder Ridley Scotts „Blade Runner“ in den Video-Rekorder schieben. (27.07.2025)
„Eckart Hahn. Papiertiger“ ist noch bis zum 1. Februar 2026 im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach zu sehen. Auf den Katalog, der bald erscheinen soll, freuen wir uns schon.


Anmerkung1: In diesem zu Ehren des Künstlers diesmal eher collagehaften Text haben wir mehr Sciencefiction-Klassiker versteckt als Eckart Hahn in seinen Bildern! Findet Ihr sie alle?
Anmerkung2: „In ‚Blade Runner‘ verwendet Deckard den Voight-Kampff-Test, um festzustellen, ob eine Person ein Replikant ist oder nicht. Dieser Test basiert auf der Analyse von emotionalen Reaktionen auf bestimmte Fragen und Situationen, die einem Replikanten schwerer fallen würden als einem Menschen“ (Erklärung der Google-KI). Es geht im Grunde um Empathie, wir würden noch hinzufügen wollen: Selbstreflektiertheit und Humor. Von daher sind wir ziemlich sicher: Weder Wladimir Putin noch Donald Trump noch Alice Weidel hätten den Voight-Kampff-Test bestanden, wenn es ihn denn gäbe. Vermutlich also Replikanten.


Kunstmuseum Villa Zanders in der KunstArztPraxis:
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33 Malantworten: Rolf Rose in der Villa Zanders
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Schönheits-OPs (3): Kunstmuseum Villa Zanders
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht
“Bibliomania” in Bergisch Gladbach: Buch als Körper (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Hede Bühl: Mit Strichen modellieren (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
danke