Wir leben in einer von weißen Männern dominierten Welt. Candice Breitz setzt dieser Dominanz ihre Videokunst entgegen. Und gibt so Schwarzen, Sexarbeiterinnen und Müttern im wahrsten Wortsinn eine kraftvolle Stimme – zu hören und zu sehen im Kunstmuseum Bonn.
Vor ihren Werken will Candice Breitz nicht posieren. Das hat damit zu tun, dass die 1972 in Johannesburg geborene Foto- und Videokünstlerin ihr Werk selbst sprechen lassen will. In allen sechs in Bonn gezeigten Arbeiten geht es um Selbstbestimmung und Rollenklischees in einer zunehmend medialisierten, kapitalistischen und politisch von weißen Männern dominierten Welt.
Das ernste Spiel auch mit der eigenen Identität umrahmt die Bonner Schau. Am Ein- und Ausgang zeigen sich in der Installation „Profile“ zehn prominente südafrikanische Künstler, die behaupten, Candice Breitz zu sein. Breitz zeigte diese doppelbödigen „Selbstporträts“, auf denen sie sich auch von Schwarzen repräsentieren ließ, im Auftrag ihrer Heimat 2017 auf der 57. Biennale von Venedig.
Feminismus und Humor
Das Video „Treatment“ (2013) bietet so etwas wie einen Übergang vom eigenen Ich zur Familie: eine Neusynchronisation von drei Schlüsselszenen aus David Cronenbergs Horrorfilm „Die Brut“, in denen es um kaputte Eltern-Kind-Beziehungen und häusliche Gewalt geht. Außer Breitz sprechen ihre Eltern und ihre Psychotherapeutin synchron. Auch ein Zeichen für den ironischen Humor der Künstlerin.
Sechs große Arbeiten aus 25 Jahren zeigt die Ausstellung, konzentriert sich aber vor allem auf das letzte Jahrzehnt, in dem Breitz‘ Werk zunehmend feministisch und politischer geworden ist. Dass es aber immer schon politisch war, illustriert die einzige Serie, die nicht Video ist. Die in Südafrikas Übergangszeit des politischen Wandels entstandene Arbeit „Ghost Series“ (1994-1996) zeigt mit Tipp-Ex übermalte und vergrößerte Touristenpostkarten. Das exotische Klischee wird als weiß entlarvt.
Sex ist Arbeit
Besonders eindrucksvoll ist die sich über zwei Räume erstreckende Installation „TLDR“ (2017), die einer Gruppe von Sexarbeiterinnen eine protestierende Stimme gibt. Und nicht zuletzt auf einen Protest von Feministinnen und Hollywoodstars gegen Amnesty International verweist: 2015 hatte die Menschenrechtsorganisation gefordert, Prostitution auch auf Seiten der Zuhälter zu legalisieren.
Im zweiten Raum erzählen die beteiligten Sexarbeiterinnen teils sehr intime Details aus ihrem Leben und von ihrer Arbeit. Überhaupt muss der, der sich hier alles anhören und ansehen möchte, mindestens drei Mal ins Bonner Kunstmuseum kommen.
Und über die gesamte Öffnungszeit bleiben. Der Titel „TLDR“ – ein Kürzel für „too long; didn’t read“ – weist darauf hin. Manche Botschaften sind eben zu lang, um sie kurz zu schreiben.
Das Unbewusste des Mainstream-Kinos
Die wie ein griechischer Chor agierenden Heldinnen von „TLDR“ erzählen es: Zu den gegen Amnesty protestierenden Hollywoodstars gehörte neben Kate Winslet (links) übrigens auch Meryl Streep (daneben). Und die tritt in „HER“ (1978-2008) in 28 Rollen aus Filmen der letzten 30 Jahre in einem rasant geschnittenen Monolog immer wieder sich selbst gegenüber.
Hier geht es Breitz darum, „das Unbewusste des Mainstream-Kinos zu untersuchen, die Werte und Bedeutungsschichten, die sich nach und nach zeigen, wenn die großen Plots entfernt werden“. Ist gelungen.
Selbst Bilder machen
Der Titel der Ausstellung, „Labour“ („Arbeit“, aber auch „Geburtswehen“), kommt von Breitz‘ jüngster Arbeit. In einem Samtrondell mit Einzelkabinen sind fünf Geburten zu sehen, die rückwärts verlaufen: wobei die rückwärts zu lesenden Titel der Einzelarbeiten – „Mik“, „Nábro“, „Nitup“, „Oronoslob“, „Pmurt“ – auf Politiker verweisen, die die Rechte der Frau konsequent beschneiden. Aus Respekt vor der Privatsphäre darf in diesem Kreißsaal weder fotografiert noch gefilmt werden.
Um „Labour“ zu sehen, muss man also selbst ins Museum gehen. Und sich selbst ein Bild machen, das möglichst unabhängig von unseren eigenen medialen Klischees funktioniert. Denn auch die Smartphones für Social-Media-Posts müssen draußen bleiben. Und es darf immer nur ein Besucher oder eine Besucherin in die fünf Innenkabinen.
Das macht tatsächlich den Kopf frei. Und schafft im Bild- und Stimmengewirr der Ausstellung einen äußerst intimen Moment für dieses kraftvolle Ereignis der Geburt.
Die Ausstellung „Candice Breitz. Labour“ ist noch bis zum 3. Mai 2020 im Kunstmuseum Bonn zu sehen. (19.02.2020)
Zuerst auf wdr3.de.
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Harte Arbeit: Candice Breitz in Bonn — Keine Kommentare
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