In nur zwei Jahren schuf die minimalistische Malerin und Bildhauerin Charlotte Posenenske in den 1960er Jahren ein Werk, das in seiner Radikalität bis heute Staunen macht. Jetzt ist es endlich im K20 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf neu zu entdecken.
„Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann.“
Mit diesem Schlusssatz unter ihrem „Statement“ in der Kunstzeitschrift „Art international“ gab die damals 38-jährige Charlotte Posenenske 1968 das Ende ihrer Karriere als Künstlerin bekannt. Und hatte bis dahin schon ein Werk geschaffen, das Objektkünstler bis heute beeinflusst.
Demokratisch und sozial war ihr Ansatz dabei von Anfang an. Ihre nach Serien benannten Vierkantrohr-Module aus günstigen Materialien wie Wellpappe zum Beispiel sollten beliebig variierbar, leicht zu produzieren und für jeden erschwinglich sein: Posenenske verkaufte ihre unsignierten Werke, auch als Unterwanderung des Kunstmarkts, zum Selbstkostenpreis.
Neueinteilung der Künste
Sie basierten auf einem radikalen Kunstbegriff, der die Bildhauerei von ihrem Sockel holen sollte. „Die Gegenstände sollen den objektiven Charakter von Industrieprodukten haben“, heißt es im „Statement“ von 1968. „Die bisherige Einteilung der Künste existiert nicht mehr.“
Letztlich geht es um eine intellektuelle „Verschönerung“ oder doch geistige Erweiterung des Lebens. Und um immer neue, niemals abgeschlossene Faltungen des Raums, der uns umgibt. Mit Hilfe einer Kunst, die nicht mehr symbolhaft auf etwas anderes verweisen möchte, sondern als Objekt nur das sein soll, was sie ist.
Biographisch oder nicht?
Vielleicht liegt dieser Wunsch nach einer sozialeren, besseren Welt, der Posenenske schließlich dazu brachte, sich von der Kunst ab- und der Soziologie zuzuwenden, schon in ihrer Kindheit begründet: Ihr jüdischer Vater nahm sich 1940 das Leben, sie selbst überlebte die letzten Monate des „Dritten Reichs“ in einem Versteck in Wiesbaden.
Vielleicht sind derlei biografische Bezüge aber auch egal. Im K20 der Kunstsammlung NRW jedenfalls sind jetzt Werke aus allen Schaffensphasen der 1985 gestorbenen Künstlerin zu sehen: experimentelle Papier- und Spachtelarbeiten aus den 1950er und 1960er Jahren ebenso wie die „Plastischen Bilder“ und die „industriellen“ Skulpturen der Serien A bis E.
Es ist die bisher umfangreichste Einzelausstellung der Künstlerin, die zu Lebzeiten mit US-amerikanischen Kollegen wie Carl Andre, Donald Judd oder Sol LeWitt ausstellte.
Räume strukturieren
Eigentlich sollte die Schau in Düsseldorf schon seit Wochen zu sehen sein. Aber wegen des Corona-Lockdowns in Spanien konnten die nach New York auch in Barcelona ausgestellten Werke nicht über die Grenze kommen. Dieses Problem ist jetzt aus der Welt. Zum Glück, möchte man sagen, wenn man die hervorragend gehängte Schau im K20 sieht.
Dabei erweist sich die Entscheidung von Kuratorin Isabelle Malz, fast alle Werke in einem einzigen offenen Ausstellungsraum – der Klee-Halle im K20 – zu präsentieren, als goldrichtig. Denn die raumgreifenden Skulpturen der Serien D und DW strukturieren den Raum gemeinsam mit den Drehflügel-Objekten der letzten Serie E genug.
Betreten gestattet, Betreten verboten
Innerhalb des so einzig durch die Position der Werke erzeugten Rhythmus können sich die Besucherinnen und Besucher frei bewegen und die Bezüge zu ihrer eigenen Person selber schaffen: genau so, wie Charlotte Posenenske sich das gewünscht hat. Und eines der Drehflügel-Objekte darf man sogar betreten und seine Wände verstellen. Doch Achtung: das andere, gegenüberliegende, ein Prototyp, nicht!
Geplant ist auch, dass die Serien D und DW im Zuge der Ausstellungsdauer immer mal wieder umgruppiert werden. Auch so wird deutlich gemacht, dass Posenenske ihre radikale Arbeit als „Work in Progress“ begriff, wie der Ausstellungstitel sie definiert. Und dann kann man vielleicht auch wieder mit einem neuen Blick durch die ständige Sammlung des K20 schlendern.
Denn wer von Posenenskes „Work in Progress“ herkommt, wird so manches gewiss mit anderen Augen sehen.
Im Umfeld von Carl Andre und Sol LeWitt
In der ständigen Sammlung hängen inzwischen ohnehin noch ein paar andere Werke von Charlotte Posenenske. So ist die Künstlerin auch wieder mit Carl Andre, Donald Judd, Sol LeWitt und anderen Vertretern der US-amerikanischen Minimal Art vereint, die ja ein Schwerpunkt der Kunstsammlung NRW sind.
„Charlotte Posenenske: Work in Progress“ ist noch bis zum 2. August 2020 im K20 der Kunstsammlung NRW zu sehen. Zur Ausstellung ist ein reichhaltig bebilderter Katalog erschienen. (05.06.2020)
Zuerst auf wdr3.de.
Kommentare
Nie fertig: Charlotte Posenenske in der Kunstsammlung NRW — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>