Momentan reden alle von Corona. Und niemand mehr vom Wetter. Dabei gibt es den Klimawandel immer noch. Deshalb wäre die Ausstellung von Andrea Bowers im Museum Abteiberg jetzt wichtiger denn je. Aber die ist geschlossen. Wir zeigen trotzdem Bilder. Und reden drüber.
Seit der Jahrtausendwende bezeichnet “Umwelttrauer” (“environmental grief”) die psychologische Reaktion auf das Bewusstsein, dass durch Naturzerstörung und Klimawandel Tiere, Pflanzen, Ökosysteme und Landschaften unwiederbringlich verloren gehen.
“Grief and Hope” hat die US-Künstlerin Andrea Bowers ihre Schau in Mönchengladbach überschrieben. Und damit den Schwebezustand zwischen Hilflosigkeit und Aktivismus benannt, der ja auch Bewegungen wie “Fridays for Future” prägt.
Zwanzig Jahre lang war Bowers den Umweltaktivisten und Widerständlern so nahe wie vielleicht keine andere Künstlerin und kein anderer Künstler. 2011 wurde sie in den USA beim Versuch, die Abholzung von 250 Bäumen zu verhindern, aus den Baumkronen geholt und verhaftet.
Männerspielzeug der Umweltbewegung
Von den sogenannten Tree-Sitting-Aktionen zeugen im Museum Abteiberg die Plattformen, auf denen Aktivistinnen und Aktivisten über Jahre in den Wipfeln leben und die sich bei Bowers in Kunst verwandeln.
Bei der “Radical Feminist Pirate Ship Tree Sitting Platform” hat Bowers zudem die Männerphantasie eines Aktivisten für die ideale Baumsitzplattform in Form gebracht: “All meine Frustration und Unsicherheit über die Ungleichheit in einer patriarchalischen Welt überfluteten mich mit seinem einen Wort: Piratenschiff”, wird die Künstlerin später notieren. Schließlich spielt der Gender-Aspekt auch in der Umweltszene eine Rolle.
Das Quantum Hoffnung
Wenn er zwischen Trauer und dem Nichts wählen könnte, würde er die Trauer wählen, schrieb einst Bowers’ Landsmann William Faulkner. Denn selbst der Trauer wohnt von ein kleines Quantum Hoffnung inne. Und vielleicht auch ein wenig Macht.
Auch das ist eine Botschaft von “Grief and Hope”. Getreu dem Motto einer der jüngsten Neonarbeit von Bowers aus dem Jahr 2020, bei der sich beide Begriffe überlagern. Dass ausgerechnet die Hoffnung in jener alten Frakturschrift der Bibel gesetzt ist, die sich inzwischen die Neonazis zu eigen gemacht haben, ist dabei eine provokante Pointe, die – wie alle anderen Skulpturen – zum Nachdenken anregen soll.
“Wasser ist Leben”
Zwischen Trauer und Hoffnung pendeln auch die zahlreichen Videoarbeiten, die in der Schau in Mönchengladbach zu sehen sind. “My Name Means Future” gehört dazu. Sie erzählt von einer Frau vom Stamm der Sioux, die an den Protesten gegen den Bau der Dakota Access Pipeline teilgenommen hat – eine der größten Umweltbewegungen der 2000er-Jahre in den USA. 2017 befahl Donald Trump am zweiten Tag seiner Präsidentschaft per Dekret den teils vom Militär gesicherten Weiterbau.
Das Motto der Umweltbewegung “Mni wiconi” (“Wasser ist Leben”) taucht in der Ausstellung in mehreren Sprachen öfters auf und ist, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt, zumindest in der typografischen Außenhaut aus Wellpappe nachhaltig umgesetzt.
Beuys und Kelly vereinen
Das alles ist im Großen und Ganzen stark global gedacht. Und, wie schon angedeutet, feministisch. Deshalb scheut sich Bowers auch nicht, “typisch weibliche” Materialien einzusetzen. Zum Beispiel diese Barrikade aus Textilien. Aber einen spezifisch regionalen Bezug gibt es dann doch: Neben das zur Sammlung gehörende Rosenklavier von Joseph Beuys hat Bowers das Klavier der Friedensaktivistin und Politikerin Petra Kelly gestellt, von deren ungeheurer intellektueller Brillanz Originalfilme zeugen.
So sind zwei Objekte von zwei Gründungsmitgliedern der “Grünen” im Dialog vereint.
Spruchbänder zum Mitnehmen
Bleibt also nur zu hoffen, dass man diese tolle Ausstellung bald wieder besuchen kann. Denn jene Virtuosität, die zum Beispiel in den wie Fotografien erscheinenden Zeichnungen von Bowers steckt, kann man auf Fotos lediglich erahnen.
Und dann kann man auch eins der aufwändig produzierten Spruchbänder mitnehmen, die Bowers speziell für die Ausstellung im Museum Abteiberg hat anfertigen lassen. Momentan liegen sie noch – wie ja auch die “Fridays for Future”-Bewegung – im Dornröschenschlaf.
Als Ausstellungsende für “Andrea Bowers. Grief and Hope” ist momentan noch der 30. August 2020 vorgesehen. (06.04.2020)
Zuerst auf wdr3.de.
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