Romantik in cold blood. Hausbesuch bei Axel Hütte
Unter den Künstlern der Düsseldorfer Fotoschule ist Axel Hütte der Poet. Heute (09.02.2025) eröffnet seine Schau „Stille Weiten“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen, die dies einmal mehr bezeugt. Wir durften vorher schon in sein Düsseldorfer Atelier. Und zu den Rennrädern in den Keller.
Wer Axel Hütte hausbesucht, muss damit rechnen, dass Andreas Gursky auf der Straße mit einem riesigen Rundkarton unterm Arm an ihm vorüberrauscht. Vielleicht führt auch Thomas Ruff den Pudel Gassi. Oder Laurenz Berges öffnet ihm zufällig die gemeinsame Haustür.
Einige Absolventen der berühmten Becher-Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie wohnen auf ziemlich engem Raum zusammen. Was nicht bedeutet, dass ihre Ateliers – siehe Thomas Ruff, siehe Andreas Gursky – winzig wären! Das Atelier von Axel Hütte ist da eher noch ein kleines.

Unter jenen Fotokünstlern, die die Düsseldorfer Fotoschule international zu einer Marke haben werden lassen, ist Axel Hütte der Poet. Er ist ein Verdichter von Stimmungen, Augenblicken, Einsamkeiten in einer Landschaft, die er fahrend oder wandernd auf sich zukommen lässt.
Und zwar so lange, bis sich ihm ein Ausschnitt zeigt, aus dem er einen Eindruck konstruieren kann: einen Eindruck, das dann eben nicht mehr „Natur“ ist, sondern visuelle Stille.
Nicht mehr „Landschaft“, sondern Bild.

Malen geht anders!
Man hat Axel Hütte den „Maler unter den Fotografen“ genannt: weil man das Unbestimmte, das man auf den Fotos als „malerisch“ zu identifizieren glaubt, ja irgendwie zähmen muss. Eigentlich kommt kein Text über Hütte aus ohne den Vergleich.
In unseren Augen führt er aber in die Irre: Malen, glauben wir, geht anders. Zielt auch auf anderes ab.
Ein Maler denkt addierend & synthetisch, Hütte substrahierend & analytisch. Er bringt ja auch keine Farbe plein air auf die Leinwand. Er schleppt eine 25 Kilo schwere Plattenkamera tagelang durch die Wälder und Berge und Gletscher dieser Welt, bis etwas ihn anpackt.
„Ja, das stimmt. Reduktion ist meine Spezialität.“
Axel Hütte

Dann entsteht ein Foto, das unser von den „Sehenswürdigkeiten“ der Hochglanz-Magazine verblendetes Touristenauge zu neuem Sehen zwingt.
Das etwas „Wirkliches“ abbildet, mit der Apparatur der US-Pioniere der Landschaftsfotografie des 19. Jahrhunderts zudem, das es so doch gar nicht geben KANN?
Das „Malerische“ ist nicht malerisch!
Für uns ist DAS die irritierende Spannung an der Grenze zum Unsichtbaren, die der Imagination beim Betrachten viel Raum lässt: eine Irritation, die nur mit der (analogen) Kamera funktioniert. Im fotografisch künstlerischen Bild.
Das „Malerische“ ist nicht malerisch. DAS eben ist, für uns, der Reiz.
„Ich entleere meine Bilder bewusst, damit der Betrachter sich darin verlieren kann. Das, was man nicht sieht, ist genauso wichtig wie das, was man sieht.“
Axel Hütte

Am besten lässt sich das, was wir damit meinen, vielleicht in „Stille Weiten“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck bestaunen. Bilder sagen ja ohnehin mehr als tausend Worte.
Die Dame vom Arp Museum
Wir sagen „vielleicht“, denn bei unserem Hausbesuch bekommen wir die nun in Remagen gezeigten Werke nicht mehr zu Gesicht: Sie warten gut verpackt im Keller und in Hüttes zweitem Lager auf einem Bauernhof auf den Versand.
Trotzdem ist die Schau allgegenwärtig. Gerade sind die Druckfahnen zum Katalog gekommen, auf einem alten schönen Holztisch steht das von Hütte selbst gemachte Modell der dortigen Räume mit der angedachten Hängung.
Und während wir sprechen, liegt das Buch zu Axel Hüttes Ausstellung „Night and Day“ 2017 im Kunstpalast zwischen unseren Tassen: Das hat der Künstler „der Dame vom Arp Museum“, die wenige Minuten vor uns da war, gezeigt.

Axel Hütte ist diskret. Das merken wir nicht nur in diesem Fall.

Im Gespräch sind wir sofort beim Fahren. Wir reden über die Hydraulik des Citroën DS, den Axel Hütte einmal aus Italien heimgebracht hat, von einem alten Mercedes, den er kurz besaß: der Grund seiner Abkehr vom Oldtimer.
Vor allem aber reden wir über Hüttes andauernder Leidenschaft fürs Vintage-Rennrad, von denen sechs Exemplare im Keller stehen. Und ein modernes aus Carbon – der Übersetzung wegen.
Die braucht man, wenn man wie Hütte Pass-Straßen in den Alpen fahren will: 100 Kilometer und tausend Höhenmeter täglich schafft er noch.

Die Landschaft auf sich zukommen lassen: auch hier. Wenn auch rasanter, mit gesenkterem Blick. Und: „um Spaß zu haben“. Es hängt ja kein Bild davon ab.

Dann kommt Axel Hütte aufs Cover-Motiv von „Night and Day“ zu sprechen. Der Katalog liegt ja vor uns.
Das eine Foto, das Bestand hat.
Es sei am Rio Negro im brasilianischen Dschungel entstanden, zu dem er 1998 das erste Mal gereist ist: der Spiegelungen wegen, wie er sagt.
Drei Tage sei er mit seinen Begleitern in einem kleinen Boot über den Schwarzwasserfluss mit seinen Piranhas und giftigen Schlangen geschippert, dann erst habe die Landschaft ihn gepackt. „Dann erst habe ich den Blick gehabt und gesagt: Das nehme ich.“
Das Katalog-Cover, sagt Hütte, sei dieses erste Bild gewesen.
„Wir fuhren im Dschungel vor und zurück, bis ich den richtigen Ausschnitt hatte. Und dann hieß es für alle anderen Passagiere: Luft anhalten, damit die Aufnahme gelingen kann.“
Axel Hütte
Oftmals sei ja das erste Foto das beste, sagt Hütte. Danach habe man eine vorgestanzte Vorstellung im Kopf, die hinderlich sei.
„Dann geht’s erstmal daneben. Und nach vielen Fehlversuchen kommt man dahinter, warum es beim ersten Mal funktioniert hat. Und dann kommt man wieder und hat die Sicherheit, dass das Bild zum Bild wird.“
Oft bringt Hütte ohnehin nicht viel mehr mit von seinen Reisen als ein erstes Bild. Manchmal ist es sogar keines, das er für brauchbar hält. Das zeigt sich ja erst, ein Fluch des Analogen, zuhause im Print.
Dann muss Axel Hütte nochmal hin. Am Rio Negro ist er für seine Serie insgesamt fünf Mal gewesen.

Im Original auch im Arp Museum: „Danum Valley 1, Borneo“ (2008)

Klar durchgeplante Abenteuer
„Meine Reisen sind Abenteuer, aber mit kalkuliertem Risiko“, sagt Hütte. Wer eine schwere Plattenkamera im Gepäck hat, muss sich im Vorfeld halt alles, was planbar ist, minutiös überlegen. Abenteuer bleibt auch dann noch genug.
Und: „Auch in der Antarktis wusste ich nicht, was mich erwarten würde!“ Aus dieser 2017 entstandenen Serie, die ebenso wie die vom Rio Negro zum Teil in Remagen gezeigt wird, steht bei unserem Besuch noch eine Variante im Atelier.
Die Varianten in „Stille Weiten“ sind noch reduzierter. So jedenfalls kam es uns auf Hüttes Druckfahnen vor. Und im Modell.



Inzwischen arbeitet Axel Hütte nicht mehr in der Dunkelkammer im Keller. Neben ein paar Handschuhen oder Trichtern zeugt nur noch ein imposanter Schwarz-Weiß-Vergrößerer von ihrer einstigen Präsenz.
„Aus irgendeinem Grund kann ich mich von dem nicht trennen.“
Seine Negative lässt Hütte inzwischen aushäusig digitalisieren und optimieren. „Dieses Master-Negativ lässt sich dann bestmöglich mit der Bildbearbeitung bearbeiten.“
Diese Perfektion steht im Blick auf das Ergebnis bei Axel Hütte an oberster Stelle.
Romantik in cold blood.
Schwarz-Weiß-Vergrößerer in Axel Hüttes Keller, Düsseldorf 2025
Und dann: die tollen, tollen Blumen-Bilder
Überhaupt hat Hütte das Digitale für sich entdeckt. Die neueste Serie von Blumenbildern zum Beispiel ist mit einer Digitalkamera entstanden, die 16 Bilder übereinanderlegt.
„So erreiche ich eine Punktschärfe, die wirklich hypersuperrealistisch ist“, sagt er. Die Schärfe ist bei Hütte überall ein Teil des Zaubers: auch bei den Landschaftsbildern mit der Plattenkamera.

Von den Blumenbildern, die die für Hütte typische Leere in der Bildmitte diesmal füllen, zieren einige einen Paravent, der einen Raum im Atelier in eine Küchen- und eine Ruhezeile trennt. Ein größeres Exemplar steht hinter einem weiterem Rennrad – „einem schlechteren!“ – im Hauptraum.
Von jenen „Flowers“, die jetzt im Arp Museum zu sehen sind und momentan mit den anderen Bildern noch verpackt in den beiden Lagern stehen, zeugen nur die kleinen Fotokopien am weißen Modell.
Und die Schönheit?
Welche Rolle die Schönheit bei den „Flowers“ spiele, wollen wir zum Abschied wissen. Und Axel Hütte sagt: „Eine sehr, sehr große.“


„Auch die Distel hat ja eine Schönheit!“
Axel Hütte
Als wir das Atelier von Axel Hütte verlassen, rauscht auf der Straße Andreas Gursky mit einem riesigen Rundkarton unterm Arm an uns vorüber. Vorm Haus steht Thomas Ruff und führt den Pudel Gassi. Nur Laurenz Berges schließt nicht zufällig die Haustür hinter uns.
Vor allem das magische Leuchten der „Flowers“ haben wir vom Atelier oben mit nach draußen genommen. Auf sie freuen wir uns bei „Stille Weiten“ in Remagen am meisten. (09.02.2025)
Die 36 zwischen 1997 und 2024 entstandenen Werke von „Axel Hütte. Stille Weiten“ sind noch bis zum 15. Juni 2025 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen. Der Katalog ist inzwischen natürlich auch gedruckt.
Appendix: Das ist das Geheimnis der Blumen
„Als Künstler hat man ja am Anfang oft noch nicht mal eine Vision, sondern einfach nur einen Spieltrieb.“ Das sagt Axel Hütte bei unserem Besuch in seinem Atelier. Was das bedeutet, kann man anhand der „Flowers“-Serie ganz gut erzählen. Vielleicht so?:
Axel Hütte hat nicht nur ein Atelier in Düsseldorf, sondern auch eine Wohnung in Berlin. Wenn er nicht auf Reisen ist, ist er im Idealfall eine Woche im Monat dort. Immer, wenn er ankommt, kauft er frische Blumen. Und immer, wenn er abfährt, legt er einen Teil davon zum Trocknen auf den Boden. Nach fünf Monaten sind die Blumen so verholzt, dass ihre Körper weiß und ihre Stängel stabil geworden sind.
Vor rund fünf Jahren verfällt Axel Hütte auf die Idee, mit den getrockneten Blumen etwas anzustellen: Jetzt kommt der Spieltrieb ins Spiel. Hüttes Berliner Wohnung hat frei liegende Heizungsrohre, die in Bodennähe verlaufen. Also steckt Hütte ein paar der Blumen dahinter. Er setzt sich im Schneidersitz auf den Teppich und betrachtet die drapierte Batterie. Fotos wären jetzt eine schöne Sache!
Aber: Welche Blumen passen zusammen? Und: Wie viele Blumen braucht es für das perfekte, schöne Bild? Axel Hütte ist ja kein barocker Maler, kein Gerhard Richter: Er ist ein Meister des Reduzierten, des less is more. Üppigkeit interessiert ihn nicht; ihn interessiert das ideale Minimum. Die Tradition des Blumen-Stilllebens von Barock bis Richter soll gegen den Strich gebürstet werden: auch das denkt Axel Hütte mit.
Er geht zu den Rohren, nimmt vier Blumen heraus, ordnet sie immer wieder neu. Er setzt sich wieder auf den Teppich, schaut. Manches fotografiert er mit der digitalen Kamera, verwirft, was er im Display sieht, fotografiert aufs Neue anders, schließlich mit weniger Blumen. So entstehen im Experiment jene Arrangements aus jeweils zwei gekreuzten Stängeln, die ihm gefallen.
Auf dem Weg zu den „Flowers“ ist das der erste Schritt.
Denn das Ergebnis ist Axel Hütte nicht genug. Da ist schon Schönheit, aber noch zu wenig Zauber. Zurück in Düsseldorf setzt sich Axel Hütte an den Computer seines Ateliers und betrachtet seine Bilder wieder. Wie lässt sich eine Magie erzeugen, die sich mit der Punktschärfe der Fotos optimal koppeln lässt? Axel Hütte spielt mit den Möglichkeiten der Bildbearbeitungs-Programme wild herum. Schon wieder Spieltrieb.
Da kommt Axel Hütte die Idee, die Farben des Fotos einfach umzudrehen. Der aus Neugier geborene Effekt ist schon am Rechner gigantisch. Die weiße Wand der Berliner Wohnung wird tiefschwarz, die Blumen-Körper wirken plötzlich seltsam belebt, wie strahlend: Ihre Schatten werden zu gespenstischen Erscheinungen. Das ist der zweite Schritt.
Aber Axel Hütte will, dass seine Blumen im Print genauso leuchten wie auf dem trügerischen Screen! Vielleicht ist dieser letzte dritte Schritt die leichteste Übung, denn mit dem Leuchten hat Hütte Erfahrung. Schließlich hat er schon auf Metall geprintet. Sogar auf Spiegeln.
So entstehen die kleinen Abzüge auf Metall für seinen Paravent mit ihrem anthrazitfarbenen Hintergrund, die wie im Leuchtkasten wirken. Und eben jene vor tiefem Schwarz erstrahlenden, entrückten „Flowers“ auf ihrem rund zwei Meter hohen Fotopapier, die nun im Arp Museum zu sehen sind.
„Wegen der tiefen Schwärze ist die Farbsteigerung hier noch viel extremer“, sagt Axel Hütte bei unserem Besuch in seinem Atelier. „Das ist das Geheimnis der Blumen.“
Romantik in cold blood.

Finis.
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Homepage des Arp Museums Bahnhof Rolandseck in Remagen

Ich bin begeistert! So wie die KunstArztPraxis schreibt keiner! Und Eure Fotos sind eh ne Wucht.
Urs
Toll. Danke! M. Hoeffges
Was für ein toller Hausbesuch! So schöne Einblicke. Dafür liebe ich die Kunstarztpraxis. Und die Ausstellung im Arp Museum schaue ich mir natürlich an! Vielen Dank.