Was war am Anfang? „Wort Schrift Zeichen“ im Kolumba
Unser Kölner Lieblingsmuseum Kolumba zeigt eine Jahresausstellung, die uns wesentlich besser als die letzte gefällt. Im Grunde geht es um das, was Worte, Kunst (und die Religion) in uns erzeugen können: Vorstellungs-Magie. Dafür gibt’s sogar einen Zauberstab. Und einen Rührfix. Uns fehlt nur Donald Duck.
Seit Kirchenvater Hieronymus im vierten Jahrhundert auf die unerhörte Idee verfiel, den komplexen griechischen Begriff des „Lógos“ im Johannes-Evangelium vulgär mit dem simplen lateinischen Wörtchen „verbum“ zu übersetzen, war am Anfang das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.
Bei uns war das anders. Bei uns war am Anfang das Wort UND das Bild. Und das Wort UND das Bild war im Comic und der Comic war das Bild UND das Wort. Und das Wort UND das Bild war vor allem Donald Duck von Carl Barks in der grandiosen Übersetzung von Erika Fuchs.
Die Zunge des Erpels im Rührfix
Anders als Hieronymus versimpelte Fuchs die vorgegebenen Texte nicht, sondern setzte mit ihren Translationen mehr Magie frei als Gundel Gaukeley auf der Jagd nach Dagoberts erstem selbstverdienten Kreuzer.
Zumindest in unseren Köpfen: So erinnern wir uns noch lebhaft an eine Sprechblase, in der Donald, mit seinem Schicksal als Pechvogel hadernd, behauptet, dass ihm die Zunge am Morgen in den „Rührfix“ gekommen sei.
Sofort entstand in uns das Bild einer mechanischen Maschine, in der zwei Schneebesen in wildem Galopp gegeneinander rotierten, um Eiweiß oder Sahne zu schlagen. Wir kannten ja den Rührfix nicht. Unsere Mütter hatten den „Zauberstab“ von AEG. Der Geruch seines heißgelaufenen Elektromotors steckt uns noch heute in den Nasen.
Die Zunge des Erpels im Rührfix?
Inzwischen haben wir den von August Heinzerling 1936 designten „Rührfix“ gesehen. Er liegt – gemeinsam mit dem 1960 von Sigward Bernadotte designten „Zauberstab“ – in einer Vitrine zu Anfang des Parcours der aktuellen Jahresausstellung im Kölner Diözesanmuseum Kolumba.
Seitdem wissen wir, dass einem die Zunge, anders als beim „Zauberstab“, so ziemlich unmöglich in einen „Rührfix“ kommen kann. Denn die beiden von uns korrekt herbeiimaginierten Schneebesen ummantelt ein Glas-Becher mitsamt einem Deckel aus Bakelit.
Erika Fuchs hatte einfach das kopfbildermachende Wort so gut gefallen.
Am Anfang war das – verbal belebte – Ding
Der „Rührfix“ ist eine Schenkung des Kölner Hinterglas-Malers Werner Schriefers, ebenso wie die anderen form- und namensvollendeten Dinge der Eröffnungs-Vitrine: Produkte der Vergangenheit, die ihr Name mit Verheißung vorstellungsmagisch belebt.
Der Staubsauger „Präsident“ zum Beispiel, das Reisebügeleisen „Stewardess“, die Espresso-Maschine „Vesuviana“ – oder die „Spitzbubenfalle“: eine Sicherheitskasse aus den Zwanzigern, an der sich die Panzerknacker die Zähne ausgebissen hätten.
Aber auch die geldspeicherkompatible Rechenmaschine „Logos 45“ der Firma Olivetti. Sie weist dezent zumindest darauf hin, dass der vom Kirchenvater im Johannes-Evangelium lateinisch versimpelte griechische Begriff noch andere Facetten hat.
Die kopfbildermachenden Warennamen, die Erika Fuchs sicher gefallen hätten, mussten wir allerdings im „Kolumba-Taschenbuch“ erst nachschlagen.
Anders als im klassischen Comic sind im Kölner Diözesanmuseum nämlich Wort und Bild eigentlich streng getrennt.
Neben den Werken hängen nur Zahlen, die auf erläuternde Texte in dieser den Besucher*innen mit auf den Weg durch den Parcours mitgegebenen gelben Broschüre verweisen.
Der begehbare Comic des Katholizismus
Im Grunde ist es also eher so wie beim begehbaren Comic des Katholizismus, dem Kreuzweg:
Da pilgert man am Karfreitag von Passions-Station zu Passions-Station, und nachdem man sich unterm Gesang der Gemeinde in aller Stille die grausamen, mit römischen Zahlen von I bis XIV durchnummerierten Bilder vom Leiden Christi hat anschauen können, liest einem ein Sprechblasen-Priester genauer vor, was man da durchnummeriertes Grausames gesehen hat.
Zum Beispiel aus dem von Martin Luther volkssprachlich nochmals versimpelten Johannes-Evangelium.
Nun gibt es aber im Bestand des Kolumba auch Werke, die Worte, Schriften oder Zeichen enthalten – oder sogar Worte, Schriften oder Zeichen SIND. Diesen Werken nun ist die aktuelle Jahresausstellung gewidmet, die uns offen gestanden weitaus besser als die letzte gefällt.
In der Ausstellung gibt es viele vorstellungsmagische Werke: angefangen vom Mittelalter, in dem das Bild der analphabetischen Gemeinde ja die Heilige Schrift näherbringen sollte, bis hinein in die Gegenwart.
Manchmal führt die babylonische Polyphonie dieser im Kolumba zur Schau gestellten Vorstellungs-Magie auch (bewusst) in die Irre – wie beim profanen „Zauberstab“.
Bei Hans-Jörg Poschmanns Risografie „Pink“ (2023) zum Beispiel, die sinnigerweise in der Bibliothek des Kolumba ausliegt, können wir das übersetzen:
„ROT IN HELL“ verweist im Grunde nämlich keineswegs auf das in Titel und Farbgrund verführerisch anvisierte Rosa, sondern bis in die Typographie hinein auf eine Schlagzeile der „New York Daily News“, die dem gerade von einer US-Spezialeinheit getöteten Terroristen Osama bin Laden wünscht, in der Hölle zu verrotten.
Und dann gibt es doch tatsächlich, gegenüber von Tabernakel-Kreuzen, eine Serie von Andy Warhol im schönen Raum mit Blick auf den Dom. Da sind ganz viele Kreuze drauf – was das Erlöser-Unikat (Station XII) seiner ikonischen Magie beraubt und das christliche Symbol in unseren Augen zu einem ausgehöhlten Zeichen macht.
DAS an diesem Ort in diesem Kontext zu zeigen ist fast schon mutig – auch wenn man diesen Warhol natürlich auch ganz anders deuten kann.
Wo bleibt am Ende Donald Duck?
Summa summarum ist „Wort Schrift Zeichen“ eine bedeutungsvolle runde Sache geworden. Eigentlich fehlt uns zum Thema nur der ein oder andere Comic-Strip, der Schrift und Zeichnung ja zu EINEM Zeichen verschmilzt: Das hätte wirklich ziemlich gut gepasst.
Für uns wie gesagt am liebsten ein Comic von Carl Barks (Bild) und Erika Fuchs (Wort), aber es kann natürlich auch ein Comic sein, der gemeinhin als künstlerisch wertvoller gilt.
Da wäre dann Robert Crumb unser Favorit: zum Beispiel was vom gottgleichen „Mr. Natural“.
Oder aber aus Crumbs „Genesis“ (Bild). Das ist wirklich eine semantisch sehr vielstimmige, strichlich äußerst nervöse Übersetzung des Alten Testaments-Teils ins Hoch-Comicische.
Nimm das, Hieronymus!
Crumb gibt’s bei David Zwirner in New York. Vielleicht könnte das Kolumba darüber ja mal nachdenken. Wir stellen den Kontakt gerne her.
„Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“, heißt es in der bilderlosen Bleiwüste von Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“. Und, wie im „Kolumba-Taschenbuch“ zitiert: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dieses zeigt sich, es ist das Mystische.“
Auch wenn wir von der KunstArztPraxis seit Jahren krampfhaft versuchen, das Unaussprechliche, Mystisch-Magische in Worte zu fassen, gilt dieser Satz natürlich auch – neben der Religion – für die bildende Kunst.
Der Rest ist Bild. Und Schweigen
Wir nehmen Wittgensteins Redeverbot hiermit also ausnahmsweise & in aller Demut einmal dankend entgegen. Und zeigen jetzt, am Ende dieses Beitrags, das Mystische nur noch in der Stille unserer 44 Bilder. Alpha=Wort, Omega=Bild.
In der gewonnenen Zwischenzeit wollen wir von Beta bis Psi erkunden, ob es nicht doch irgendwie möglich ist, mit der Zunge in den Rührfix zu kommen. Frau Fuchs KANN ja nicht gelogen haben. Daran glauben wir felsenfest. (17.03.2024)
Wort Schrift Zeichen. Das Alphabet der Kunst, Kolumba, Köln2024
„Wort Schrift Zeichen. Das Alphabet der Kunst“ ist noch bis zum 14. August 2024 im Kölner Kolumba zu sehen.
Anmerkung 1: Wir wissen natürlich, dass wir mit unseren Sätzen dem großen Kirchenvater Hieronymus bitter unrecht tun. Logo! Für uns persönlich war Erika Fuchs Hieronymus trotzdem über. Denn sie bereicherte unseren Wortschatz schon in der Kindheit mit Verben wie „schanghaien“, Adjektiven wie „blümerant“ oder Erikativen wie „Ächz, stöhn, schnauf“. Diesbezüglich war Hieronymus schimmerlos.
Anmerkung 2: In der Zwischenzeit haben wir nochmal im Barks/Fuchs’schen Gesamtwerk geschmökert und in einer Geschichte mit dem (Goethes „Faust II“ entnommenen!) Titel „Selbst ist der Mann“ (1954) eine Stelle gefunden, die Bild- und Wort-Rührfix zu einem Zeichen vereint.
Dabei offenbarte sich, dass Erika Fuchs einfach ein Ding in der NACHFOLGE des „Original Rührfix“ „Rührfix“ getauft hat! Und das ist ja keineswegs gelogen, sondern christlich gedacht.
In FRAU BOLLES Rührfix kann man nämlich zwar nicht Beton mischen, aber sehr wohl beim Naschen vortrefflich mit der Zunge kommen! Donalds Groll war also würdig & recht.
Anmerkung 3: Wir entschuldigen uns ausdrücklich für die fotografisch fehlende Qualität unserer Bilder von „Original Rührfix“ und „Zauberstab“! KunstArzt1 hatte nämlich beide zu fotografieren vergessen, deshalb musste KunstArzt2 später nochmal mit dem Smartphone ran. Es kann halt nicht Jeder mit Allem passable Fotos machen. Seufz.
Das Kolumba in der KunstArztPraxis:
Genügendes Hiersein: Ort & Ich im Kölner Kolumba
Wegen Putin: Kolumba statt Kippenberger
Schönheits-OPs (2): Das Kölner Kolumba
Homepage des Kolumba Köln
Robert Crumb bei David Zwirner in New York (VIP-Link, nur fürs Kolumba!)
Guten Morgen, gerne habe ich die Zeilen über das Kolumba Museum gelesen.
Meine Fotos sind zwar nur mit einem Handy gemacht, dennoch ohne
Plastikhülle. Und so könnte es gehen:
Zu Zeiten mit sehr wenig Spielzeug öffnete man das Glas, für die
Wettbewerbe die Zungenspitze zur Nase zu bringen, um die Zunge zum Zweck
der Verlängerung in die Rührstücke zu bringen!
Wenn das nicht reichte, konnte man versuchen mit dem Schnittfix als
Ausgleich die Nägel zu schneiden.
Alle Anleitungsfotos hier.
Mit herzlichen Grüßen
B. Frintrop
Antwort KunstArztPraxis: Ja, SO könnte es gewesen sein! Herzlichen Dank und bleiben Sie uns gewogen, wir brauchen Leser*innen wie Sie. Ihre KunstArztPraxis
Obwohl ich gerade an einer kleinen Publikation zu den Schablonen in Düren schreibe und da dran bleiben sollte, hab ich einen Blick auf euren Text geworfen und ihn sofort komplett lesen müssen.
Eure Fotos sind wunderbar, aber Euer Text ist wieder ein Hammer. Mir fällt grad keiner ein, der so schreiben kann. Man kann sich nicht wieder lösen und liest das bis zum Ende durch.
Antwort KunstArztPraxis: Hach, wie schön. Danke danke danke. Ihre KunstArztPraxis