Freunde zum Ausleihen: 50 Jahre artothek Köln
Bücher sind Freunde, sagt Cicero. Bilder aber auch, ergänzt die imagophile KunstArztPraxis! In der Kölner artothek kann man sie ausleihen. Sich von ihnen trennen. Sie wieder zurückgewinnen. Oder einfach neue Freunde finden. Seit nunmehr 50 Jahren. Das wird jetzt mit einer Schau gefeiert.
Freunde sind schon eine tolle Sache. Sie kommen, wenn man sie herbeisehnt, und gehen wieder, wenn sie nerven. Ihr Besuch ist immer eine Bereicherung, die im Gedächtnis bleibt. Freunde geben viel von sich preis, wenn man nur interessiert genug nachfragt. Man kann Ihnen unverwandt in die Augen schauen. Und wenn man Glück hat, schaut man selbst zurück.
Und das Beste: Freunde sind nicht käuflich. Und: Anders als Familie kann man sich Freunde aussuchen – wenn auch nicht im Katalog.
Nicht käuflich? Nicht im Katalog? Von wegen! In artotheken kann man sich Freunde für geringes Geld per Register ordern. Rund 130 dieser Bibliotheken für Bilder gibt es in Deutschland, darunter auch die in Köln. Sie war zwar nicht die erste – die eröffnete 1968 in Berlin –, aber ein halbes Jahrhundert ist sie auch schon alt.
Wenn man einen Fünfer im Jahr an Grundgebühr zu zahlen bereit ist, dann kann man sich für weitere sieben Euro einen neuen Freund mit nach Hause nehmen, der dann sogar noch versichert ist. 1.500 gerahmte Zeichnungen, Drucke und Fotografien sowie Kleinskulpturen stehen zur Auswahl.
Wenn die Chemie stimmt: verlängern!
Zehn Wochen hat man dann Zeit, um dem Bild in die Augen zu schauen und ihm interessierte Fragen zu stellen. Wenn die Chemie stimmt, kann man nochmal verlängern. 2.200 Nutzer*innen im Jahr machen derzeit von dem sehr demokratischen, sympathischen Angebot Gebrauch.
Das sind die harten Fakten, die wir entgegen unserer sonstigen Gewohnheit hier mal deutlich nennen. Weil wir finden, dass es bei dieser geringen Hemmschwelle durchaus noch viel mehr Nutzer*innen für einen derartigen Freundschaftsdienst der Stadt geben sollte.
In der Kölner artothek im spätgotischen Bürgerhaus Saaleck unweit des Doms gibt es auch immer wieder Ausstellungen zeitgenössischer Künstler, die wir Kunstfreunden hiermit ebenfalls wärmstens ans Herz legen. Zum Jubiläum allerdings sind hier rund 60 Porträts internationaler Künstler*innen wie Elvira Bach, Rosemarie Trockel, Joseph Beuys, C.O. Paefgen oder David Shrigley aus Ankäufen und Schenkungen der letzten 50 Jahre versammelt.
Es ist eine Ahnengalerie auch der Kölner Kunstgeschichte. Und natürlich eine Hängung gewordene Geburtstagsparty im Freundeskreis.
Diesen Gesichtern kann man unverwandt in die skeptischen, geometrischen, lachenden, weinenden oder gleich ganz pfützenhaften Augen blicken – und sich seine liebsten Bekanntschaften zwecks Beziehungsvertiefung zumindest schon einmal für nach der Feier reservieren lassen. Ist bei einigen allerdings schon geschehen – da müsste man sich länger gedulden.
Blaue Augen, heiße Ohren
Noch etwas haben Bilder mit Freunden gemeinsam: Sie können ein Geheimnis für sich behalten! Dabei würde man so gerne wissen, was all diese Wesen so gehört und gesehen haben in den vielen Kölner Wohnstuben, in denen sie schon hingen.
Sicher viel. Und sicher auch Geheimnisvolles.
Vielleicht sind deshalb die Ohren des namenlosen Helden auf Heike Kati Baraths mit Lackspray verfeinertem, „Ohne Titel“ betitelten Aquarell auch so rot glühend.
Aber: Rinnt Baraths schief grinsendem Männlein mit seinen blauen Knopfaugen da nicht feines Blut aus dem Mund? Und warum entzieht sich die „Magdalena“ (1995) von Marlene Dumas so konsequent unseren kontaktsuchenden Blicken?
Ach: Wer sagt denn, dass Freunde nicht auch ein bisschen unheimlich oder beizeiten unbequem sein dürfen – oder sonstwie aus dem Rahmen fallen können? Und warum sollte sich aus einer Freundschaft nicht auch mal Bis(s) in etwas mehr als neuneinhalb Wochen eine Amour fou entwickeln? Eben. (06.02.2023)
„Face to Face“ ist noch bis zum 4. März 2023 in der artothek Köln zu sehen.
Homepage der artothek Köln
Ausleihe der artothek Köln
Appendix: Serviervorschlag zur Gesichtserkennung
Wir Drei von der KunstArztPraxis sind ja eher schlichte Gemüter. Und gefallen die einfachen Lösungen, auch in der Kunst. Deshalb sind wir froh, dass artothek-Leiterin Astrid Bardenheuer extra für uns mitten im Gespräch noch ein Kunstwerk aus der Schublade gezogen hat, das es (warum auch immer) nicht in die Endauswahl der besten Freunde von „Face to Face“ geschafft hat.
Das Kunstwerk stammt vim süddeutschen Bildhauer und Objektkünstler Alf Schuler, der uns bis dato komplett unbekannt gewesen ist. Dabei war er auf zwei documenten vertreten und hat auch schon in Düsseldorf, Aachen und Köln ausgestellt. Asche hiermit auf unsere Häupter.
Wir sprechen vom Wandstück „Rohrschnur“ (1979), und genau das ist es zunächst auch: ein Rohr und eine Schnur. Aber wenn noch ein Nagel und die Schwerkraft dazukommen, dann formt sich daraus nicht zuletzt auch wegen der unterschiedlichen Dickigkeiten und Elastizitäten der Materialien etwas, was wir sofort als Umriss eines Gesichts – ja sogar als Konterfei und Antlitz – erkannt zu haben glauben. Ebenso grandi- wie schnörkellos.
„Rohrschnur“ ist also eine Art Rorschachtest für unsere Gesichtserkennung, ein Porträt ohne Eigenschaften, ein offenes Kunstwerk, ein Serviervorschlag zum Denken, an dem Umberto Eco seine Freude gehabt hätte und Robert Musil auch. Der Umriss markiert die Leerstelle, an der unsere Phantasie sich abarbeiten soll: ein simples, allgemein verständliches Bild für all die Bilder, die wir uns vom Menschen nunmal machen. Toll.
Den geneigten Leser*innen unserer Kolumnen würden wir ohnehin sehr raten, irgendwo in der Wohnung an exponierter Stelle einen Nagel in die Wand zu hauen, der ausschließlich mit ausgeliehenen Bildern aus einer artothek behangen werden darf. Und um einem Kölner artotheken-Nagel ein Einweihungs-Gesicht zu geben, empfehlen wir hiermit mit Nachdruck Schulers „Rohrschnur“.
So, nachdem ich Twitter doch weitestgehend den Rücken gekehrt habe, gibt ’s nun endlich Kommentare da, wo sie hingehören. (Und eine Empfehlung beim Rüsseltier, drüben bei Mastodon.)
Artothek. So eine gute Einrichtung. Kunst für alle. Ich wollte mich schon immer damit befassen, wie das eigentlich funktioniert. Nun habe ich einen Anlass, mal vorbeizugehen.