In Wunderkammern 1: Helmut Kunkel, Aschaffenburg
Es gibt viele Künstler*innen, deren Werk nach ihrem Tod in Vergessenheit zu geraten droht. Bei einigen hatten wir das Glück, ihre Wohnateliers vor der Räumung noch einmal betreten zu dürfen. In loser Folge wollen wir diese Wunderkammern präsentieren. Heute: Helmut Kunkel aus Aschaffenburg.
Wie Jede*r weiß, haben wir Drei von der KunstArztPraxis einen Sinn für die oft tragische Komik des Makabren, vor allem im Zusammenhang mit religiösen Ritualen. Vielleicht liegt das daran, dass wir als Kinder zwischen Särgen und Totenhemden Verstecken spielten: Einer unserer Onkel war Bestatter.
Er hieß Heinrich Langemann, und im südöstlichen Sauerland kursierte folgender eher flache Witz: „Na Fritzchen“, fragt der Religionslehrer, „was kommt nach dem Tod?“ Darauf Fritzchen wie aus der Pistole geschossen: „Heinrich Langemann“.
Bitte Jemand die Spatzen weiter füttern!
Inzwischen kommen auch wir bisweilen nach dem Tod, so oft sind wir in den letzten Jahren schon in den Wohnateliers verstorbener Künstler*innen gewesen. Und immer gab es etwas, was uns als erstes ins Auge sprang – nicht selten etwas Komisches, manchmal auch Makabres. Danke, Heinrich Langemann.
So war es auch im Wohnatelier von Helmut Kunkel in der Friedhofstraße (!), das wir mit einem Kölner Freund von uns – und vor allem: von Helmut Kunkel – 2023 besuchten; und dieses Makabre war bei aller Komik ziemlich traurig.
Es war ein Post-it-Zettel, der über einer in einem Holzrahmen an die Toilettentür geschraubten Pfauenfrau-Postkarte des witzig-brillanten Hyperrealisten Michael Sowa hing. Darauf standen zwei Sätze, die Helmut Kunkel unmittelbar vor seinem Freitod noch geschrieben haben muss:
Der Post-it-Zettel hat uns imponiert. Zum einen wegen des Klebe-Orts über Sowas etwas arrogant-vergrämtem „Pfau mit Perlen“, der Humor im Meer der Seelennot verrät. Zum anderen aber auch wegen seines Inhalts, der die leibhaftigen Spatzen über das ja offenbar verehrte Pfauenfrauen-Porträt mitsamt seinem Geschmeide stellt.
Ein lebensmüder Künstler, der sich im Angesicht des Todes noch Sorgen ums Überleben jener Vögel macht, die in der Efeuhecke seiner Terrasse ihre Nester hatten und die er nach seinem Ende natürlich nicht mehr füttern kann: Der kann als Mensch nichts anderes sein als gut.
Helmut Kunkel war ein guter Künstler
Ob Helmut Kunkel tatsächlich ein guter Mensch gewesen ist, können wir natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen: Wir kannten ihn ja nicht, wir haben nur den Kölner Freund begleitet, der seinen Nachlass verwaltet. Dass Helmut Kunkel ein guter Künstler war hingegen schon.
Das liegt weniger an den in unseren Augen eher konventionellen Brunnen und Denkmälern aus Bronze, für die Kunkel zu Lebzeiten eine gewisse lokale Berühmtheit erlangte. Das liegt eher an den verborgenen Werken in der Wohnung, die wir nach seinem Freitod sahen. Für uns als Fremde ist dies Helmut Kunkels eigentliches Werk, das er sich mit den öffentlichen Aufträgen lediglich querfinanzierte. Wir finden traurig, dass es jetzt irgendwie verloren ist.
Da gibt es sehr viel Ernstes, viel Trompe-l’œil, viel Figürliches aus Bronze; ein bisschen Makabres ist dabei, vor allem aber, immer wieder, zumeist im Zusammenhang mit Religiösem: Humor.
Da wechselt Maria im Beisein von Josef dem Christuskind die Windeln; über einem fotografierten Kaugummi-Automaten macht der Messias für „frische Hostien“ Reklame, die es dort angeblich zu ziehen gäbe.
Und auf einem gemalten Kaugummi-Automaten sitzt der Tod als lässig grinsendes, allerdings etwas geknicktes Miniatur-Skelett.
Kein Wunder: Der Automat ist leer, die Kaugummi-Automaten-Industrie liegt am Boden. Vielleicht ist der Tod ja beim Warten auf Füllung verblichen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
(Bild: Helmut Kunkel, „Tod ohne Kaugummi“, o.J., Friedhofstraße, Aschaffenburg 2023)
Die kopulierenden Bronze-Frösche
Dürers „Betende Hände“ gibt es als Grobpixel-Variante in Knüpf-Ästhetik, zwei Bronze-Frösche kopulieren neben der Bibel auf einem hohen Bronze-Sockel. An dem Dekorations-Kreis einer Kachel im Delft‘schen Stil ist ein punkiger Jüngling mit Handschellen wohl zum Sado-Maso-Spiel angekettet. Ein Putto klettert mit nacktem Hintern auf ein Weihnachtsschild.
Und über allem thront als altmeisterlich gemalte Ikone ihr aller Schöpfer Helmut Kunkel und feiert grimmig mit einem Stundenglas sein später persönlich wahrgemachtes Memento Mori.
Zwei Werke haben es uns besonders angetan: Bei einem hat Kunkel einem Jesus aus Gips, offenbar kurz vor Lebensende, ein Smartphone in die Hand gedrückt, auf dessen totes Display der Messias jetzt mit leeren Augen starrt. Was wäre aus der Welt- und Religionsgeschichte wohl geworden, wenn der Heiland sein Dasein tatsächlich auf diese Art & Weise verdaddelt hätte?
Mit wem chattet der Messias?
Aber vielleicht chattet Jesus ja auch mit seinem Vater im Himmel, um ihn zu bitten, sich das mit dem Menschenopfer der Passions-Geschichte noch einmal zu überlegen wie bei Abraham & Isaak im Alten Testament? Diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen?
Wie wir aus der Frohen Botschaft wissen, hätte er sich über eine derartig erlösende WhatsApp-Nachricht mächtig gefreut.
Wir können da nur spekulieren. Aber der simple Eingriff Kunkels ist derart grandios, dass man sich unwillkürlich fragt, was der Gips-Heiland überhaupt Anderes in der Hand gehalten haben könnte als dieses Smartphone.
(Bild: Helmut Kunkel, „Unser Herr“, um 2023, Friedhofstraße, Aschaffenburg 2023)
Nur jeweils 0 und 1
Die andere Arbeit ist ein Diptychon. Es zeigt zwei nahezu identische, eigentlich nur durch die Stellung ihrer Schrauben unterscheidbare Schalter, bei dem der eine in seiner Ruheposition auf „0“ und der andere auf „1“ steht.
Aber es gibt nur jeweils 0 und 1 auf diesen Bildern, also gar nichts zu schalten und zu walten. Der eh bei Gott schon öde binäre Code der Schöpfung – Werden (1), Vergehen (0) – läuft komplett ins Leere: eine durchaus existentiell zu deutende Ausweglosigkeit, die vielleicht auch Helmut Kunkel in den Freitod getrieben hat.
Was nach dem Tod kommt, weiß Helmut Kunkel vermutlich nun. Heinrich Langemann, inzwischen selber längst verstorben, ist es sicher nicht.
Ach ja, eins bleibt noch zu sagen: Die Spatzen schossen in Geschwadern aus der Efeuhecke der Terrasse, als wir durch Helmut Kunkels verlassene, inzwischen längst ausgeräumte Wohnung gingen. Jemand muss sie also weiter gefüttert haben.
Natürlich nur die, die die totenhemdweiße Katze aus der Friedhofstraße, die wir ebenfalls kurz kennen lernten, nicht vorher schon gefressen hat. (24.03.2024)
Anmerkung: Bis auf „Unser Herr“ sind die Titel der Werke unsere Erfindung. Wir hoffen, Helmut Kunkel ist das würdig & recht.
Hallo Ihr großartigen „Erinnerer“… Ich war mit Helmut befreundet, habe mit ihm und zwei anderen Künstlern der Gruppe FISH – über 30 Jahre mit ihm unsere Arbeiten ausgestellt. Es ist mir eine so große Freude diesen Bericht sehen zu können !!! Ein paar Tage vor seinem Freitod (kurz nach seinem Geburtstag) ..war ich bei ihm, um ihm etwas zu Geburtstag zu bringen…am „Morgen danach“… Er schaute sehr zerzaust aus dem Fenster…und einer seiner letzten Sätze an mich war: „endlich lässt du dir die Farbe aus den Haaren wachsen“…damit hatte er mich schon lange aufgezogen… nicht wichtig ? – richtig. Aber für mich..
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank für die Erinnerung, Frau Friedrich! Auf jeden Fall wichtig! Ihre KunstArztPraxis
Unlängst habe ich mit einer Künstlerin über die Frage gesprochen, dass es ein Archiv für künstlerische Nachlässe geben müsse. Und ich würde am liebsten solche Orte erhalten – ja, es geht einfach nicht, solche Kreativkapseln zu konservieren. Aber wie toll, dass ihr das dokumentiert! Es macht uns dieses Leben, diesen Künstler, diesen Kosmos zumindest digital zugänglich. Dafür kann man euch nicht genug danken.
Antwort KunstArztPraxis: Ein Glück, dass wir beim Wunsch der Nachlasserhaltung bei der Nachlassverwaltung nicht alleine stehen. Herzlichen Dank! Bei Erwin Hapke haben wir am längsten gekämpft, und vielleicht wird es in dem ein oder anderen Fall auch noch gelingen. Wäre doch gelacht. Herzliche Grüße von Ihrer digitalen KunstArztPraxis.