In Wunderkammern 2: Eduard Roijen, Düsseldorf
Wir haben mal wieder ein Foto-Buch gemacht, denn wir waren vor seiner Räumung im wunderbaren Wohn-Atelier von Eduard Roijen (1936-2024). Das Nachwort gibt’s hier in der KunstArztPraxis exklusiv als Vorabdruck. Und ein paar exklusive Fotos, die nicht im Buch sind, noch dazu.
Wir tippen diesen Satz am Holztisch in Eduard Roijens Wohnung – wie die kommenden Sätze auch. Vermutlich hat der Tisch Zeit seines Lebens noch keinen Laptop gesehen, er wird sich wundern: Dies hier ist ja das Reich analoger Gespenster.
Wir durften Eduard Roijen nicht kennenlernen – als wir seine Wohnung zum ersten Mal betraten, war er schon seit Monaten tot. Aber dieser Holztisch kann erzählen, was er zu Lebzeiten seines Besitzers gesehen hat, es gibt ja Spuren.
Das vom Boden Aufgelesene
Scheren und Skalpelle sind es gewesen, Feilen und Sägen, Hämmer, Zangen, Schnüre, Nadeln, Farben, Stifte und Pinsel, Klebstoff und Schrauben. Puppen und Knochen und Pflanzen und Käfer und Bienen und Bücher und Stoffe, die es chirurgisch zu zerschneiden oder wie Wild zu zerlegen galt, um daraus neue, wilde, elegante Wesen und fremde, aber anatomisch evidente Welten zu zimmern, eine kuriose Textur zu weben.
Um das von Anderen schmählich Missachtete, abseits der Hauptwege Gefundene, förmlich vom Boden der Natur und der Kultur Aufgelesene in diesen Kästen und Skulpturen zu verwandeln. Und zwar: in beseelte Poesie.
Das gilt auch für Eduard Roijens Kupferstich-Collagen, für die, wie beim Vorbild Max Ernst, die illustrierten Magazine des 19. Jahrhunderts als Vorlage dienten.
Wohnen in einer Collage
Wobei: Wenn ich mich im Raum so umschaue, dann ist eigentlich jede dieser kostbar geschmückten Knochenwesen, und jeder dieser wundervoll befüllten Kästen in der Wohnung eine Collage.
Genauso wie diese mit eigener und fremder Kunst bestückte Wohnung, diese mit nigerianischen Yoruba-Perlen-Schärpen, Kuba-Tüchern aus der Republik Kongo, Stabpuppen und Schattenspielfiguren aus Mitteljava, Totems und Masken ausstaffierte Wunderkammer als voluminöse Collage atmet.
Momentan ruht auf dem Holztisch vor unserem Laptop ein Bildband über Jean Debuffet unter einem Wayang-Golek-Kopf aus Indonesien, der ihm entsprungen sein könnte.
Daneben lehnt eine schwarze, einzig mit einem Paar roter Schuhe bekleidete Kinderpuppe an zwei Büchern über Joseph Pujol, dem vom grausamen Leopold II. wie vom Menschenfreund Sigmund Freud gleichermaßen geschätzten Kunstfurzer des Moulin Rouge („Le Petomane or: Gone with the Wind“).
Rechts von uns gruppieren sich drei Figuren aus Südamerika im Sitzkreis um ein Teelicht.
Und auf einem Thron aus Drucksachen wartet der geöffnete Körper eines Buchumschlag-Kastens, der mit fremden Seiten-Innereien ausgeschlagen ist, wohl immer noch darauf, von Eduard Roijen präpariert zu werden.
Wir sind Eindringlinge!
Derweil schielt sein tausendundeinstes Buchstabenauge auf die vereinsamten, zum Großteil aus dem „Magasin pittoresque“ gerissenen Kupferstiche und Holzdrucke zu unserer Linken, die die Hoffnung in ihrem Stehsammler ebenfalls noch nicht ganz haben fahren lassen.
Als wir darin blätteren, stoßen wir auf ein typographisch hübsch gesetztes Bonmot des Nachkriegs-Kabarettisten Wolfgang Neuss („Und wer nicht wie die CDU denkt, fliegt glatt aus der SPD“).
Danach bedrohen uns Stan Laurel und Oliver Hardy in einer niederländischen Kino-Anzeige zu „Fra Diavolo“ aus den Dreißigerjahren mit ihren Musketen.
Man kann die Witzbolde verstehen: Irgendjemand muss diese preziösen Hinterlassenschaften doch bewachen! Wir sind keine Freunde, keine Verwandten: Wir sind Eindringlinge in Eduard Roijens Reich, das (nach zwei erfolgreichen Ausstellungen) jenseits des Kunstbetriebs fast ausschließlich für Freunde und Verwandte im Verborgenen weiterblühte. Die Tochter hat uns einen Schlüssel gegeben, das Vertrauen in uns ist anrührend groß.
Und auch die Wesen, die hier immer noch hausen: jene Gespenster, die Eduard Roijen „Knekelkinder“ genannt hat und die uns gerade beim Schreiben neugierig – und auch ein wenig furchteinflößend – über die Schulter schauen, haben uns überaus freundlich, ohne Argwohn empfangen.
Da ist es gut, dass zumindest Laurel & Hardy weiterhin misstrauisch bleiben.
Wenn die Vernunft sich träumen legt
Als wir Anfang November 2023 die Wunderkammer Eduard Roijens zum ersten Mal entdeckten, schlummerten die meisten Knekelkinder noch hinten im Schlafzimmer: Vielleicht wollte der Künstler sie immer um sich haben, wenn seine Vernunft sich träumen legte?
Der Sturz in den Kaninchenbau
Damals sind wir in die Wohnung hineingegangen wie Alice ins Haus hinter dem Spiegel, und wie Alice trafen wir die toten Dinge mit einer merkwürdigen Selbstverständlichkeit lebendig an.
Es war ein Sturz in den Kaninchenbau, und der objektive Zufall spielte uns doch tatsächlich – und zwar auf einem Schrank voller Kinderpuppen, Silberminiaturen, Jugendstil-Vasen, Perlenarbeiten, Teetassen, Glanzbilder und Madonnen-Figuren – als Erstes einen Collage-Kasten Roijens in die Hände, der dem Verfasser von „Alice im Wunderland“ gewidmet ist („Hommage à Charles Lodwige Dodgson“, 2012).
Neben der klassischen Fensterfront haben viele von Roijens Kästen ein Oberlicht wie seine Wohnung: ein Oberlicht, durch das eine echte oder eine künstliche Sonne die neubelebten Dinge sanft bescheinen kann.
Das Theater der vierten Wand
Dieses Oberlicht fehlt beim Dodgson-Kasten, aber drinnen wohnt Alice in der überlieferten Holzschnittgestalt des Buchillustrators Sir John Tenniel ganz licht und zauberhaft wie auf der Bühne eines Theaters der vierten Wand:
zusammen mit einer verformten französischen Gummipuppe, einem geweihten – und von befugter Hand „berührten“ – Kindskopf-Reliquiar aus dem Heiligen Haus des italienischen Wallfahrtsorts Loretto, einer Schneckenmuschel, dem Christkind und dem Weihnachtsmann.
Ein Taubenei (vielleicht Humpty Dumpty?) und eine Kunstblume (vielleicht aus Alices Garten der sprechenden Blumen?) haben im Kasten ebenfalls ihren Auftritt, ein Skarabäus, vulgo: Mistkäfer (vielleicht aus Ägypten?) krabbelt der Puppe übers vergilbte Gummikleid.
Das Fragment einer australischen Singzikade hat sich auf Alices Passepartout niedergesetzt, und irgendwo versteckt sich eine Eidechsen-Mumie aus dem Burgund. Wir haben den Dodgson-Kasten umgedreht: Material, Herkunft und etwaige Fremdfinder hat Eduard Roijen minutiös auf der Rückwand verzeichnet. Jedes noch so unscheinbare Ding verdiente für ihn ja würdigende Beachtung.
Eine Kunstblume ist eine Kunstblume ist eine Kunstblume
Die Kunstblume hat Roijen offenbar selbst von einem Besuch bei der toten Gertrude Stein auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise mitgebracht: Sie ist also ein mit eigener Erinnerung aufgeladenes Objet trouvé. Auch das steht auf der Rückwand von Alices Guckkastenbühne, aber sprachlich mehrfach verspiegelt und hermetisch verrätselt, wie sich das für gute Poesie – auch für die von Gertrude Stein – gehört:
„Gefunden in der Nähe des Grabes von ‚A rose is a rose is a rose'“. Darüber kleben zwei Fotos der sechs- bzw. achtjährigen Alice Liddell, die Charles Lodwige Dodgson als vorweggenommenes Spiegelbild von Alice im Wunderland knipste, bevor er seinerseits ins Kaninchenloch fiel und sich dabei in Lewis Caroll verwandelt hat.
Alices Doppelgängerin?
Vorne, durch die vierte Wand betrachtet, reicht ein Junge einem schaukelnden Mädchen im Hintergrund ebenfalls eine – diesmal gedruckte – Blume.
Das Mädchen auf der Kulissenmalerei könnte Alice selber sein, ist aber tatsächlich eine Ätzung aus der „Illustrierten Zeitung für kleine Leute“ von 1875: Auch das kann man auf der Rückwand lesen.
Trotzdem schwingt das schöne Kind als imaginäre Doppelgängerin über dem mit einem Flamingo-Schläger und einem Igel-Ball Croquet versuchende Original.
Tapeziert ist die Fassade von Roijens Haus hinter dem Spiegel übrigens mit Seiten aus einer 1559 von Johannes Oporinus in Basel gedruckten Ausgabe der „Metamorphosen“ Ovids, in denen sich ja auch permanent alles verwandelt und in veränderter Gestalt – sehr oft als Vogel! – neu belebt. So reimt sich das alles bei Eduard Roijen zusammen.
Die Bibliothek, der eigene Kosmos
Wie die „Hommage à Charles Lodwige Dodgson“, so ist Vieles hier in der Wohnung klug und zugleich magisch in Bild transformierte Belesenheit. Da nimmt es nicht Wunder, dass oft Illustrationen aus Büchern Grundlage für Eduard Roijens Werke geworden sind. Umgekehrt hält die ungeheure Bibliothek in diesem Raum dem künstlerischen Schaffen den Spiegel vor.
Die Bibliothek ist wieder so ein ganz eigener, bunter Kosmos, eine autonome Wunderkammer, aus der sich auch das Wesen ihres Lesers, wie wir uns denken, ein Stück weit wieder zusammensetzen, vielleicht sogar entschlüsseln lassen könnte. Noch jetzt, da wir uns vom Holztisch aus umblicke, ist die Fülle an Büchern erschlagend. Dabei hat der Antiquar schon so viel abgeholt.
Ein Fachbuch über Anomalien und medizinische Kuriositäten springt uns aus dem Regal gegenüber direkt ins Auge, ein Band mit dem hübschen Titel „Traumwelt der Puppen“ auch. Es gibt Bücher zur modernen Physik, zum Argot und zur Typografie, zur Völker-, Volks- und Bücherkunde, zur Ornamentik in den Kirchen. Oper und Jazz, die Commedia dell’Arte, der indonesische Tanz, Maria Callas, Mystik im Islam, die Magie der Düfte.
Die Tibeter, die Ägypter, das Mittelalter, Paris. Siamesische Zwillinge, Tattoo und Graffiti; „Die große Kunst der kleinen Menschen“, Toulouse-Lautrec. Adolf Wölfli, „Die Welt der Zigeuner“ – und Flamenco; „Fabeltiere und Dämonen“, das Stabpuppen-Spiel auf Java und das Theater der Moderne; „American Circus“, „Vorgeschichte und Naturvölker“.
Ein ganzer Stuhl Filmgeschichte, das Bewusstsein der Tiere, die moderne Schulmedizin und das Sterben; Herbarien und Bestiarien. Martin Löpelmanns „Himmel und Hölle der Fahrenden“, Lafitaus „Sitten der amerikanischen Wilden“. Die Simpsons, Clever & Smart, Robert Crumb und Tomi Ungerer: Im Stapel dieser Wörter schlummert wohl eine schillernde Persönlichkeit.
„Einen Augenblick des Nacherlebens“
Als wir eben zum Bett im Schlafzimmer gingen, stand da sehr viel Picasso, alles Geschriebene von Monty Python, der „Circus Maximus“ des Kabarettisten Gerhard Polt; die Kunst der Südsee und eine Geschichte des Striptease.
Und zahlreiche Bildbände des Zeichners Horst Janssen, an den Eduard Roijen offenbar hat denken müssen, als er eine mit Draht umwickelte Frosch-Mumie und einen Kupferstich mit zwei Kindern am Mund der Wahrheit in Rom vor einer arkadischen Landschaft mit Dudelsackspieler in einen Collage-Kastens steckte.
(„Einen Augenblick des Nacherlebens. Gedanklich bei Horst Janssen“, 2011).
Und dann die Bücher von Literaten – alles Männer! –, die zu unserem großen Erstaunen auch eine Spiegelung unserer eigenen Lektüren sind: Ganz viel Franz Kafka, von Borges allerdings nur „Einhorn, Sphinx und Salamander“; das Wichtigste von Joyce, auch sein unlesbarer Roman „Finnegans Wake“ – diese Sprach-Collage, natürlich!
Helmut Kraussers grandioses Tagebuch-Journal „Substanz“, Gerhard Roths etwas makabre „Reise ins Innere von Wien“, Flauberts „Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit“; Wilhelm Busch und Daniil Charms, die großen Kaffeehausliteraten (Peter Altenberg, Alfred Polgar); viel H.C. Artmann und Cendrars, eine Anthologie expressionistischer Texte namens „Wahnsinn“.
Die experimentelle „Gargantua“-Übersetzung von Johann Fischart, dem auch die magische Welt hier im atmenden Raum das zauberhafte, heute falsch gebrauchte Kompositum der „Geschichtsklitterung“ verdankt.
Und „Gargantua und Pantagruel“, klar: das Original von Rabelais! Von dessen phantastischen Buchstabenfahrten hat sich Eduard Roijen in meinen Augen vielleicht am meisten abgeschaut.
Überhaupt: die sinistren Franzosen
Überhaupt: die dunklen, sinnlich-phantastischen, Wortungeheuer schaffenden Franzosen: Rabelais, Rimbaud, Apollinaire, Villon.
Diese sinistre Poesie, der ganze schwarze Humor des Surrealismus – André Bretons berühmte „Anthologie des Schwarzen Humors“ liegt auf dem Holztisch! – steckt nicht nur den Knekelkindern in den Knochen.
Und dann gibt es noch, gleich in mehrfachen Ausgaben, das Gesamtwerk von Georg Christoph Lichtenberg! Sein berühmter Sudelbücher-Aphorismus „Schlankheit gefällt wegen des besseren Anschlusses im Beischlaf und der Mannigfaltigkeit der Bewegung“ gab einem Collage-Kasten Roijens von 2014 den Titel – wobei die Schlankheit der beiden in ihrer Behausung etwas hämisch grinsenden Gerippe sicher kaum mehr unterboten werden kann.
Trotzdem straft der riesige Phallus des Männchens, der, obendrein mit einem rätselhaften Tierskelett beschwert, mit dem Becken des Weibchens in keinster Weise kompatibel sein kann, den Universalgelehrten aus dem 18. Jahrhundert offensichtlich Lügen.
Vor dem Becken prangt ohnehin ein Schmuckstein als Keuschheitsgürtel. Das – vermutlich ausgerissene, gebrochene? – Herz pocht der grinsenden Frau, zuckend wie das von Davy Jones in Stuart Beatties „Fluch der Karibik“, in der rechten Hand, während ein Schlumpf den Takt dazu trommelt.
In der beseelten Poesie Roijens wird sogar die Ironie Lichtenbergs noch überspitzt.
Ja, die beseelte Poesie des Raums, die eine sehr speziell Erlesene ist. Auch die spielt sich bei Roijen auf verschiedenen Ebenen ab, nicht zuletzt in den assoziativen Titeln. „Vogelreliquiar eines Buchdruckers aus Basel, 1559“ (2009) heißt einer der Collage-Kästen: eine Anspielung an den bereits erwähnten Johannes Oporinus und seine Ovid-Ausgabe, deren Blätter auch diesen Kasten rahmen.
„Der Fußkünstler Ambrosium Paraeus zu Paris & seine Schöne“ (2011) nennt sich ein anderer Kasten: Der Titel verweist auf den bedeutenden Chirurgen und Leichenpräparator Ambroise Paré aus dem 16. Jahrhundert, der den Füßen des Fötus bei Beckenendlage eine neue Bedeutung zumaß.
Auch über die Föten hier in der Wohnung – es sind zwei echte und mehrere gezeichnete – ließe sich viel sagen, aber das führte wohl zu weit.
Und die Knekelkinder?
Und die – im Übrigen allesamt undatierten – Knekelkinder? Wir stehen vom Tisch auf und heben sie vorsichtig Richtung Oberlicht: Ihre Namen stehen nämlich unter ihren Sockeln.
Die Gespenster sind stabil, Gott sei Dank: Eduard Roijen hat nicht nur seine Kunst, sondern auch sein Handwerk verstanden.
Nur bei einer eleganten Kastagnetten-Diva namens „Antonia Mercé“ – benannt nach der legendären Tanzvirtuosin mit dem Pseudonym „La Argentina“ – wackelt der Kopf temperamentvoll wie zum spanischen Flamenco.
Also, die beseelte Poesie der Knekelkinder: Das Gespenst mit dem anatomisch evidenten Schädelplattenbauch heißt „Letzte Schwangerschaft“, ein wie Mahatma Ghandi liebevoll „Babu“ genannter Großvater wiegt ein Knochenkind in seinem Knochenarm.
Es gibt eine „Unbekannte Rothaarige“, aber auch eine „Madame Lampekapp“ – und einen in Federhose gesteckten, in schwarze Witwen-Spitze gehüllten, mysteriösen „Max, H. in Travestie“. Eine „Type für Ringelnatz“ führt das Exoskelett eines Krebses wie einen Schoßhund spazieren: oder wie die Flaneure des 19. Jahrhunderts ihre Schildkröten durch die Passagen.
Die Mehrdeutigkeit des Begriffs – Type = Sonderling, Bauart, Druckbuchstabe – ist hier natürlich Programm.
Andere Bewohner der Wunderkammer gehen ordentlichen Berufen nach: Ein filigraner Riese arbeitet – vermutlich nachts – als „Sehnsuchtsspediteur“; die Figur mit den ausgestopften Vögeln am Stecken ist „Luftballonverkäufer“, vermutlich in der Touraine von Rabelais.
Dann gibt es noch einen mehrbuckligen „indischen Fahrkartenkontrolleur“: Nicht alles in Eduard Roijens Wohnung ist politisch korrekt.
Aber die Figur mit dem besonders schön schimmerndem Gefiederkleid ist nichts mehr und nichts weniger als das „Mondlicht“. Und gegen diese Form beseelter Poesie kann man nun wirklich nichts sagen.
Wie können wir es den Geistern begreiflich machen?
Wie können wir Roijens behausten Gespenstern, all diesen in der Wohnung zurückgelassenen Geistern zum Abschied noch begreiflich machen, dass wir zuerst in ihre Wunderkammer gar nicht kommen wollten? Wir können es ja selbst kaum mehr verstehen.
Aber damals kamen uns die Wesen auf den ersten Fotos, die ein Freund uns in die Hände spielte, so furchtbar morbide, fast schon abstoßend vor. Heute wissen wir, dass dies der Obszönität der Smartphone-Linse geschuldet war. Der Freund hatte es sehr gut mit uns gemeint.
Die Gespenster, die Collagen hier sind freundlich, nur eben auf sehr sonderbare Weise. Das muss man ertragen, dann stärkt selbst der Schauder die Phantasie, diesen geistigen Muskel. Das können wir nun, da uns ihr Raum ein paar Tage lang schützend und erschreckend umgeben hat, mit Fug und Recht behaupten.
Die beseelten Gespenster müssen ihrem toten Schöpfer ohnehin ihr Leben lang auf ewig dankbar sein. Denn ihre Knochen wollte außer Eduard Roijen Keiner haben. Ohne ihn wären ihre Gebeine lange begraben, hätten sie nie welche gehabt. Das wird es sein, was sie so freundlich macht.
Wir selbst können nur hoffen, dass auf unseren Fotos, die atmosphärisch zu inszenieren versuchen, die teils selbst eine Art Collage dieses Raumes und seiner Spuren sind, zumindest ein Anhauch von dem zu spüren ist, was wir in den letzten Atemzügen dieser sterbenden Wohnung, dieser dann für immer verlorenen Wunderkammer, sahen. (18.05.2024)
Mehr Fotos (und Texte) gibt’s in unserem nagelneuen Foto-Buch:
„Die Wunderkammer des Eduard Roijen“. Mit Erinnerungen von Sarah Roijen und Künstlerfreunden, 144 Seiten, 219 Abbildungen; ISBN 978-3-9820830-3-2.
Kostenpunkt: 38,00 Euro.
Und wo kann man’s bestellen? Am besten hier.
Ach ja, für Schnellst- und Kurzentschlossene:
An diesem Wochenende (17.05.-19.05.2014) ist Eduard Roijens Kunst im – leider nicht barrierefreien – Haus Te Gesselen in Kevelaer ausgestellt! Es geht aber auch noch an zwei weiteren Wochenenden (25.05./26.05.2024 sowie 08.06./09.06.2024). Eintritt ist frei. Also nichts wie hin. Es lohnt sich.
Wie habt ihr für ein Händchen, zu diesen skurrilen, exzentrischen und besonderen Menschen und Nachlässen zu kommen! Da gibt es doch Parallelen zu Erwin Hapke, oder? Ich bin entzückt und werde im Juni nach Kevelaer fahren!
Antwort KunstArztPraxis: Ja & nein, liebe Frau Vogel. Denn Erwin Hapke hat sein Elternhaus 35 Jahre lang nicht verlassen, und Eduard Roijen war ein sehr kommunikativer, lebensfröhlicher Mensch! Das werden Sie anhand seiner vielen Postkarten sehen, wenn Sie im Juni nach Kevelaer fahren. Darüber freuen wir uns. Mögen Sie berichten? Ihre KunstArztPraxis.
Was für ein spektakuläres Lebenswerk! Bin ich froh, dort gewesen zu sein! Bei den Collagen musste ich sofort an Ruth Marten denken. 😉 Aber auch die Zeichnungen, die Objektkästen und nicht zuletzt die Knekelkinder. Was für ein phantasievoller und kreativer Kosmos. Was ich nicht erwartet hatte aber was mich gefreut hat: Es war total gut besucht. Ich habe die Führung von Roijens Tochter Sarah mitgemacht. Wahrscheinlich weiß niemand mehr über die Arbeiten und zwischendurch versagte ihr auch mal die Stimme. Sehr bewegend. Hinterher habe ich noch ein bisschen mit ihr geschwatzt. Wie dramatisch, dass der Nachlass noch keine Heimat hat und man nicht weiß, wie es da weitergeht. Ich hoffe, dass sich ein Museum, eine Galerie, ein Archiv, eine Stiftung, ein Sammler oder wer auch immer findet. Wenn ich bei irgendwas unterstützen kann, meldet euch.
Antwort KunstArztPraxis: Danke, Liebe Frau Vogerl, dass Sie uns teilhaben lassen an Ihrem Erlebnis. Das hat uns sehr gefreut. Ihren Wünschen schließen wir uns unumwunden an. Nur bei den Collagen denken wir eher an Max Ernst und Ror Wolf. 🙂 Ihre KunstArztPraxis
Auch wenn das viele sicher morbide finden: Ich finde das großartig, was ihr da wieder ausgegraben habt! Ich finde, ihr macht richtig klasse Arbeit. Ihr seit die beste Seite zur Kunst die ich kenne.
Die Ausstellung von Eduard Roijen schaue ich mir auf jeden Fall an. Moni.