Zum 80. Geburtstag: Being Markus Lüpertz
Porträtähnlichkeit ist ein Gedanke, mit dem Markus Lüpertz in seinem Werk bisweilen spielt. Im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden durften wir ihn einmal selbst porträtieren. Sind wir ihm dabei nah genug gekommen für echte Ähnlichkeit? Eine Erinnerung zum 80. Geburtstag.
Wie hat Mozart ausgesehen? Oder Beethoven? Auf keinen Fall so ramponiert, wie Markus Lüpertz sie porträtiert hat! Dem Urteil wird wohl selbst der zustimmen, der in die Schmährufe nach der Enthüllung der Skulpturen in Salzburg (2005) und Bonn (2014) nicht einstimmen will. Und wohl auch Lüpertz selbst: Ihm ging es ja nicht um Wirklichkeitstreue, sondern um Allegorien der Musik und die nach Außen gestülpte Verletztheit des Genies.
So machen Lüpertz‘ Skulpturen en passant auf etwas aufmerksam, was wir gern vergessen: Niemand weiß, wie Mozart und Beethoven wirklich ausgesehen haben. Fotos gab’s ja eher weniger. Die ikonischen Bilder der Komponisten von Barbara Kraft oder Joseph Karl Stieler sind Gemälde, die vielleicht nur annähernd ähnlich sind.
Und vielleicht konnte ja selbst der ältere Lucas Cranach Martin Luther genauso schlecht abmalen wie, sagen wir: Albrecht Dürer aus Erzählungen ein Rhinozeros.
„Dafür bin ich hier“
Inzwischen gibt es mehr Fotos, als uns lieb ist. Und die Illusion echter, dokumentarischer Wahrhaftigkeit. Gemischt vielleicht sogar mit der Phantasie, etwas von der „Seele“ und dem „Wesen“ der Porträtierten aufzusaugen. Wenn die Porträtierten mitspielen.
Am Beispiel unseres Foto-Shootings mit Marina Abramović haben wir das ja schon aufgezeigt. Da dauerte es eine ganze Weile, bis durch die Marke Abramović für uns so etwas wie der Mensch Abramović durchschien.
Bei Markus Lüpertz ist das komplett anders. Im Vorfeld seiner Ausstellung „Der Tod, der bleiche Freier“ ist er im April 2018 noch einmal in den Skulpturenpark Waldfrieden gekommen, um sich von uns über sein Verhältnis zu Gips, Bonze und Marmor oder über sein Selbstverständnis als Bildhauer befragen – und eben, um sich fotografieren zu lassen: „Dafür bin ich hier“.
Nobles Understatement
Schnell ist klar: Lüpertz ist ganz anders „hier“ als damals Abramović. Er erstarrt nicht, blickt nicht hypnotisch in die Linse unserer Kamera. In die Linse unserer Kamera blickt er während der ganzen anderthalb Stunden unseres Zusammentreffens eher nicht. Im Gegenteil: Er ignoriert sie einfach. Toll.
Es ist die Geste eines Mannes, der seine sonst offen zur Schau getragene Eitelkeit hinter noblem Understatement verbergen kann. Der mit jeder Bewegung im Raum signalisiert, es nicht nötig zu haben, sich zu verstellen oder eine Pose einzunehmen.
„Ich habe es aus eigener Kraft nach oben geschafft. Hier bin ich jetzt“, stellt diese Geste klar. „Ich brauche kein neues Image mehr. Ich muss auch kein altes wahren. Ich bin der Meister. Ein Genie, das Schwächen zeigen kann. So wie mein Mozart oder Beethoven.“
Ein allürenfreier Größenwahn. Sehr sympathisch, wie wir finden. Und für uns ein echter Glücksfall. Sowohl für unseren Interviewer als auch für unseren Fotografen.
Eleganz und Krücke
Denn das, was sich uns bietet, ist eine sich selbst bewusste Unbefangenheit, die wir sofort bereit sind als Natürlichkeit zu akzeptieren. Unter dem Klicken der Kamera tritt Lüpertz gegen die Sockel seiner Skulpturen, umarmt sie, um sie zurechtzurücken, wischt über die Gipsgesichter, oder steht einfach verloren in der Halle. Ob der Maßanzug sitzt, ist ihm egal. Er ist ein schöner Mann.
Später wandern wir gemeinsam durch den Skulpturenpark, obwohl Lüpertz der Spaziergang wegen seines Kniebruchs sichtbar schwer fällt: Bei ihm ist der Stock kein pures Inszenierungsacessoir des Dandys, sondern ein notwendiges Symbol des gebrechlichen Genies. Er findet ihn gut. Aber er würde ihn nicht tragen, wenn er ihn nicht bräuchte.
Wir sprechen über Tony Cragg und Hede Bühl, über Michelangelo als Maßstab und darüber, warum er selbst ein Maler-Bildhauer und kein Bildhauer-Bildhauer ist. Und alles, was Lüpertz sagt, klingt klar und scharf und klug.
„Sie sagen mir einfach, wo ich mich positionieren soll“, sagt Lüpertz. „Sie sind der Boss.“ Ein sanft-ironisches Lächeln zeigt an, wie das gemeint ist. Wie Lüpertz dann, auf der Parkbank sitzend, in einer eben selbstgewählten Art sinnierend in die Ferne blickt, das ist ganz groß. Und, wie wir gerne glauben wollen: nicht gekünstelt.
Schönes soll bleiben
Ob wir Markus Lüpertz beim Foto-Shooting wirklich nah gekommen sind, ist zweifelhaft. Das kann nur echte Kunst – wie Lüpertz‘ Skulpturen von Mozart und Beethoven. Aber immerhin hat uns der Meister das Gefühl gegeben, ihm äußerlich einigermaßen gerecht geworden zu sein. Mehr jedenfalls, als er es von seinen eigenen Skulpturen verlangt.
Zur Frage einer Porträtähnlichkeit gehört am Ende natürlich auch das, was im Ergebnis nicht zu sehen ist. Eine Handstudie mit Totenkopf-Gehstockknauf jedenfalls will Lüpertz uns nicht gestatten. Denn: „Sie sollen doch die Schönheit für die Nachwelt festhalten und nicht den Tod und die Vergänglichkeit!“ Allzu viel Realismus darf dann doch nicht sein.
Es geht halt auch um Legendenbildung. Um die Nachwelt, von der man ebenso geliebt – also bewundert und vergöttert– werden will wie von den Zeitgenossen. Das zumindest hat sich seit Cranach oder Kraft und Stieler nicht geändert. Und bei Mozart oder Beethoven, das zeigen die Reaktionen auf Lüpertz‘ Skulpturen, hat es ja auch geklappt.
In diesem Sinne: Alles Gute zum 80. Geburtstag, Markus Lüpertz. (25.04.2021)
Anmerkung: Bei Markus Lüpertz wütet eine ähnliche Unsichtbarkeits-Maschine, wie die, die wir im Fall von Joseph Beuys an anderer Stelle beschrieben haben. Sie sorgt dafür, dass wir einige Porträts, in denen Lüpertz seinen Skulpturen nahe kommt, hier lieber nicht zeigen. Und unsere zahlreichen Ausstellungsfotos von „Der Tod, der bleiche Freier“ im Giftschrank halten.
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