Betriebsausflüge (3): Nicole Eisenman in München
Als florierende KunstArztPraxis haben wir ja Geld wie Heu, deshalb schließen wir hin und wieder die Patientenpforte und reisen komplett ins befreundete Ausland. Diesmal ging’s nach Bayern, zu Nicole Eisenman, Museum Brandhorst. Hier das Ausflugsprotokoll unserer Schülerpraktikantin Charlie aus Münster.
Bei uns in Münster gibt es einige Brunnen, aber der von Nicole Eisenman an der Promenade gefällt mir am besten. Das ist ein ganz lebensfroher, queerer, humorvoller, nachdenklicher Brunnen! Ich bin da oft mit meiner Freundin. Wir lehnen uns dann einfach mit einem Sixpack an die Figuren, stoßen mit ihnen an und chillen.
Ich mag es, wie das Wasser aus den Beinen und der Bierdose sprudelt. Die Freiheit der Figuren, ihre Einsamkeit. Dass Geschlechter keine Rolle spielen. Das fehlende Pathos. Als vor ein paar Jahren die Neo-Nazis kamen, um eine Gipsfigur zu köpfen und ihre Hakenkreuze auf die Bronzekörper zu schmieren, hatten sie mit allen diesen Dingen, die ich schätze, ihr Problem.
Jedenfalls bin ich froh, dass der Brunnen jetzt für immer an der Promenade bleiben kann, mit Aluminium statt Gips, wegen der Haltbarkeit. Geld dafür gespendet habe ich damals auch.
Der Brunnen kam 2017 zur Skulptur Projekte Münster, und natürlich haben die KunstArztPraxis-Ärzte auch da wieder irgendwie mitgemischt. Erzählt haben sie zum Beispiel von einem Interviewtermin im Krankenhaus mit einem Mann im Bademantel, der hieß Kaspar König und war bei dem Skulpturen-Ding der Chef.
Verstanden habe ich das nicht so richtig: Den Namen habe ich mir eh nur gemerkt, weil ich ihn witzig finde. Aber bei dem Interview hat der Chef im Bademantel angeblich vor allem total begeistert von Nicole Eisenmans Brunnen gesprochen, und das macht ihn mir natürlich grundsympathisch.
Vorm Fischfilet zum Brunnen
Vor kurzem waren die KunstArztPraxis-Ärzte wieder auf Visite in Münster: Ich glaube, die sind da einer ganz großen Sache auf der Spur! Auf jedem Fall sind sie auf ihrem Weg vom Kreuzviertel zu ihrem Lieblings-Fischrestaurant auch am Brunnen von Nicole Eisenman an der Promenade vorbeigekommen.
Und da ist Einem von ihnen eingefallen, dass Nicole Eisenman gerade eine große Ausstellung in München hat.
Und weil die KunstArztPraxis-Ärzte Betriebsausflüge lieben, sind wir einfach alle hingefahren. Na ja, was heißt „einfach“: zwei gecancelte Züge, ein fehlender Lokführer, fünf fehlende Waggons, mehrere ausgefallene Klimaanlagen, gefühltes stundenlanges Warten auf Ersatzzüge in der Hitze. Und das bei der Hin- UND bei der Rückfahrt.
Die Deutsche Bahn ist wirklich sowas von lost. Aber Nicole Eisenman in München war ein Kracher.
Jahrgang 1965 – und doch jung forever!
Ich habe mich im Museum dann die ganze Zeit gefragt, was ich eigentlich so toll finde an Nicole Eisenman. Ich glaube, ich finde toll, dass Nicole Eisenman irgendwie so … jung ist. Trotz ihrer fast schon 60 Jahre! Ich kann das nicht genauer sagen. Ich habe das Gefühl, mit einer Freundin zu sprechen, wenn ich ihre Bilder und Skulpturen sehe. Wie manchmal bei einem guten Buch.
Wenn Nicole Eisenmans Werk ein Buch wäre, dann wäre es für mich vielleicht ein wenig wie „Die gigantischen Dinge des Lebens“ von Susin Nielsen. Das habe ich in München zum zweiten Mal gelesen.
Da geht es um einen Jungen mit Minderwertigkeitskomplexen, der einen schwulen Freund und zwei Mütter als Eltern hat – wie Nicole Eisenmans Sohn ja auch. Und es gibt eine flippige Austauschschülerin aus Frankreich, die witzigerweise genauso heißt wie ich.
Dieses Buch liebe ich gerade sehr. Lebensfroh, queer, nachdenklich und humorvoll. Wie bei Nicole Eisenmann.
Was uns blendet, was uns zerreißt
Nicole Eisenmans Themen, das sind irgendwie auch meine Themen: Diese verfluchte Suche nach dem eigenen Geschlecht und nach der Liebe. Die Klimakatastrophe und das hämische Bremsen rechter Politiker, das mich zur Verzweiflung treibt.
Dass sich die Menschen vom Lügen und Betrügen der neuen Neo-Nazis aus der Mitte blenden lassen, obwohl die Wahrheit doch so offensichtlich anders ist. Bei Nicole Eisenman hat das zu Donald Trump geführt. Bei uns führt das vielleicht zur AfD.
Dass Frauen immer noch unter Männern leiden. Der Hass. Die Gewalt. Die Dummheit. Der Stumpfsinn der Bombenleger. Und wie uns der Bildschirm des Smartphones zerreißt.
Ach ja: Irgendwie hatte ich beim Betrachten der Bilder und Skulpturen in München den Eindruck, dass sich Nicole Eisenman genauso dazwischen fühlt wie ich. Wie ein Vampir oder ein Werwolf, der zu keiner Seite so richtig dazugehört.
Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum die Künstler*innen auf ihren Bildern diese Krallen und haarige Hände haben? (Haarige Werwolf-Frauen-Hände spielen in „Die gigantischen Dinge des Lebens“ übrigens auch eine Rolle, aber das nur nebenbei.)
Oder einfach süße Katzen suchen
Rund 100 Werke soll ich in München gesehen haben; mir kam das viel weniger vor. Sie stammen angeblich aus 30 Jahren – und sind trotzdem alle jung!
Einen kleinen Brunnen gibt es auch. Und wem das alles nicht gefällt, wem das zu frei & einsam & ungeschlechtlich & unpathetisch ist, der kann auf den Bildern ja die niedlichen Katzen suchen.
Etwas hat mich dann aber doch gewundert: Normalerweise sprudelt es aus den KunstArztPraxis-Ärzten nach Museumsbesuchen nur so heraus wie das Wasser aus den Beinen von Nicole Eisenmans Brunnen. Sie plaudern ja gerne, die KunstArztPraxis-Ärzte! Aber diesmal waren sie auf der Rückfahrt mit der losten Deutschen Bahn nach Köln so stumm wie die Fische aus ihrem Münsteraner Lieblingsrestaurant.
Warum so wortkarg?
Ich kann mir das nur so erklären, dass ihnen die Ausstellung nicht gefallen hat. Vielleicht zu viel an Women-Power, zu viele ölige Frauen-Phantasien? Zu viele gefolterte Männer, abgeschnittene Schwänze, zur Deko degradierte Pimmel – und zu wenig von dem üblichen intellektuellen cis*-Gedöns?
Im Grunde sind die KunstArztPraxis-Ärzte ja auch nur drei alte weiße Männer. Wer kann schon raus aus seiner Haut. (26.06.2023)
„Nicole Eisenman. What Happened“ ist noch bis zum 10. September 2023 im Museum Brandhorst in München zu sehen. „Sketch for a Fountain“ in Münster für immer. Nehmt das, Ihr neuen Neo-Nazis.
Anmerkung 1: Dass wir drei alte weiße Männer sind, ist nicht zu leugnen, aber eines wollen wir dann doch noch klarstellen: Wir finden Nicole Eisenman klasse! Wir finden es großartig, wie sie sich von der Renaissance bis zum Underground durch die Kunstgeschichte arbeitet, wie sie sich aller möglichen Stile und Materialen bedient, wie sie sich alles auf ganz eigene Art und Weise einverleibt – und gleichzeitig ironisch wieder infrage stellt.
Wir hätten also auch zu Nicole Eisenman einiges zu sagen gehabt, liebe Charlie, auch zum Humor oder zur Empathie ihres Werks! Wir waren auf der Rückfahrt einfach nur sprachlos & sauer wegen der inzwischen kaum mehr fassbaren Lostness dieser vom Staat ohne Not kaputtgesparten Deutschen Bahn.
Anmerkung 2: „Die gigantischen Dinge des Lebens“ von Susin Nielsen werden wir sicher auch noch lesen, danke für den Tipp! Vielleicht im Dezember, da sind wir wieder in München. Bei der Skulptur Projekte Münster 2017 war Kaspar König der Künstlerische Leiter, aber man sollte auch die Kuratorinnen Britta Peters und Marianne Wagner nicht vergessen! Und: Ja, wir sind in Münster einer richtig großen Sache auf der Spur. Wir werden berichten. Klar. Schon bald! Versprochen.
Anmerkung 3: Auch auf unseren Fotos sind einige niedliche Katzen versteckt. Findet Ihr sie?
Betriebsausflüge der KunstArztPraxis:
Betriebsausflüge (1): “Kunst für Tiere” in Rüsselsheim
Betriebsausflüge (2): “Geordnete Verhältnisse” in Nürnberg
Homepage des Museum Brandhorst München
Homepage der Fischbrathalle Münster – Das Fischrestaurant seit 1926
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