Der Tod & Iron Man. Eva Aeppli & Jean Tinguely
Im Lehmbruck Museum in Duisburg läuft gerade eine Ausstellung, die grandiose Gemeinschaftsarbeiten des einstigen Ehepaares Eva Aeppli & Jean Tinguely ins Zentrum stellt. Jean Tinguelys Sinnlosigkeits-Mechanik macht wie immer Spaß. Aber die Stoff-Figuren von Eva Aeppli sind eine echte Entdeckung.
Unter den Superhelden des Marvel-Universums ist uns Iron Man der liebste. Das mag daran liegen, dass Iron Man gar kein Superheld ist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Ein Mensch allerdings, der im Innern ein bitzeli Maschine ist: Ein Palladium-Kraftwerk in der Brust hindert Kriegsgranaten-Splitter daran, in sein Herz zu stechen. Im ständigen Bewusstsein seiner Sterblichkeit, hält dieses Kraftwerk Iron Man ein paar Filme lang am Leben.
Und da Iron Man High-Tech-Exo-Skelette sein eigen nennt, kann er sogar ins Universum fliegen.


Im besten Sinne sinnlos
Vom Technik-Kult Iron Mans oder jedes Diktatoren dieser Erde ist Jean Tinguely natürlich so weit entfernt wie Krypton von der Erde.
Der Künstler hat ja Maschinen erfunden, die sich bisweilen selbst zerstören, nicht Schulen oder Krankenhäuser oder Menschen. Es sind Maschinen, die keine anderen Maschinen zusammenbauen wie Panzer noch Drohnen, sonders im besten Sinne sinnlos sind. Sie sind halt gute Kunst.
Und den gespenstischen Wesen Eva Aepplis? Denen hat dieser künstlerische Iron Man Exo-Skelette verpasst, damit sie trotz ihrer ganzen Erdenschwere fliegen können.
Foto oben: Eva Aeppli und Jean Tinguely, „Samurai an der Öllampe. Komm mit mir
in den siebten Himmel der Liebe“ (1985/91, Detail), Lehmbruck Museum, Duisburg 2025
Der Tod als Begleiter
Man kann das sicher auch anders sehen, aber für uns ist Eva Aepplis Thema der Tod, der uns zur Erde zieht. Aber nicht der Tod in weiter Ferne. Nicht der Schnitter.
Eva Aepplis Tod ist jener Tod, der in uns wohnt seit der Geburt: der uns von Anfang an eingeschrieben ist. Der mit uns wächst, uns mit der Zeit verfallen und immer bleicher werden lässt, ein Leben lang schicksalhaft zeichnet: im besten Fall mit physischen Falten, im schlimmsten Fall – wie bei Eva Aeppli – mit seelischen Narben.
Eva Aepplis Tod ist der Tod als ständiger Begleiter.

Den Physiognomien von Eva Aepplis Figuren sieht man in unseren Augen an, dass sie die Granatsplitter des Zweiten Weltkrieges und die Metzeleien Hitler-Deutschlands nahe beim Herzen tragen.
Sie kämpfen nicht gegen fiktive Terroristen oder Superschurken, sondern gegen reale Trauer und Verzweiflung an: die seelischen Bösewichte.
Und da, wo ihnen Tinguelys Exo-Skelette fehlen, die ihnen per Knopfdruck eine wirbelnde, ungelenke, mit Humor als Gegengift versehene Leichtigkeit verleihen wie Gerippen einer humanen Geisterbahn: da sinken sie derart körperspannungslos in sich zusammen, dass man spürt: ihnen fehlt auch die innere Stütze.

Foto oben: In ständigem Bewusstsein ihrer Sterblichkeit. Eva Aeppli und Jean-Pierre Raynaud,
„Dame oder Bella“ (1967, Detail), Lehmbruck Museum, Duisburg 2025


Es geht ums Unaussprechliche
Und noch etwas ist uns aufgefallen, nämlich, dass Eva Aepplis Figuren stumm sind. Selbst da, wo sie aus Verzweiflung oder Leid mit weit aufgerissenen Mündern schreien, als wären sie in diesem Augenblick dabei, ihr Leben auszuhauchen, sind ihre Lippen wie vernäht.
Es geht ja bei Eva Aeppli um etwas, für das es eigentlich keine Worte gibt.
Aber Aepplis Körper reden. Es gibt eben auch eine im besten Sinne sinnhafte Kunst, deren Botschaft unaussprechlich ist, aber bildlich sichtbar gemacht werden kann.
Foto oben: Eva Aeppli und Jean-Pierre Raynaud, „Das Kreuz“ (1968)
Lehmbruck Museum, Duisburg 2025
Es geht ja um Not & Hunger & Leiden. Eben um den Tod als ständigen Begleiter. Aber es geht auch um Würde. Um Menschlichkeit.
Der Titel der Duisburger Ausstellung, „Mechanik und Menschlichkeit“, ist deshalb klug gewählt. Weil in dieser Form der Menschlichkeit auch Aepplis unseres Erachtens wichtigstes Thema: der Tod als biografischer Begleiter, mitschwingt.
Dann doch: der Tod als Schnitter
Beim letzten Abendmahl sitzt der Tod dann endlich doch noch als Schnitter freundlich grinsend mitten unter uns am Tisch und breitet wie Jesus segnend seine Arme aus. Und da zeigt sich schließlich: Der Tod ist nicht so böse wie das Leben! Er hält uns auch nicht – wie Jesus – mit Heilsversprechen davon ab.
Der Tod weiß ja, dass es keine Seele gibt, die er uns abschwatzen könnte. Das Kreuz markiert das Ende. Auf die Passion folgt keine Himmelfahrt. Auch nicht für den, der fliegen kann.

„Tod, wo ist dein Stachel“?
1. Korinther, 15,55
Eins kann man zum Schluss noch sagen: Das Zusammenspiel von Aeppli & Tinguely hat prima funktioniert.
Eva Aeppli hat seine Kunst geerdet, und Iron Man hat ihre Kunst mit Humor beflügelt. Das kann man momentan noch ein Paar Wochen lang in Duisburg sehen.
Das Mini-Kraftwerk Kunst
Sehen sollte man das auch. Es geht ja auch um die Splitter nahe UNSERER Herzen. Um jene unter uns, die nicht nur Falten haben.
Um den tödlichen Stachel, der sich mit dem Mini-Kraftwerk Kunst ein wenig zurückhalten lässt. Vor allem, wenn seine Narben dabei sichtbar werden.

Foto oben: Todgeweiht, aber in Würde. Eva Aeppli, „Augusta“ (1972),
Lehmbruck Museum, Duisburg 2025
„Vive la vie! Vive la mort!“
Eva Aeppli
Am Ende werden wir, die wir nicht im Marvel-Universum der Superhelden geboren sind, eh alle wieder Sternenstaub. Teil der Planeten-Systeme auf ihren unendlichen Bahnen im kosmischen Raum.
Wenn das mal nicht tröstlich ist. (10.08.2025)
„Mechanik und Menschlichkeit. Eva Aeppli und Jean Tinguely“ ist noch bis zum 24. August 2025 im Lehmbruck Museum in Duisburg zu sehen. Und ja: Man darf Aepplis erdenschwere Figuren in der Ausstellung per Knopfdruck eigenfüßlich zum Fliegen bringen. Und das macht, Jean Tinguely sei Dank, wie immer Spaß.
Anmerkung 1: Dochdoch: Auch Eva Aeppelis Figuren wohnt neben Schmerz & Verzweiflung auch ein ganz eigener Humor inne! Getreu dem Motto der streitbaren, klugen Künstlerin: „Ich war schon immer ein Lausbub“. Das haben wir durchaus bemerkt. Und ja: Wir wissen, dass sich Eva Aeppli wohl eher als Akrobatin zwischen Himmel & Erde verstanden hat. Wir sehen trotzdem eher die Tragik und das Erdenschwere und den Tod als biografischen Begleiter.
Anmerkung 2: Wir haben uns inzwischen auch auch mit dem Leben von Eva Aeppli befasst, vorher hatten wir offen gestanden nur Jean Tinguely auf dem Schirm. Vieles von dem, was wir oben geschrieben haben, könnten wir mit Lebensdaten belegen. Alles andere haben wir im Werk vor Ort erspürt. Hier ist also Wachsamkeit geboten.
Anmerkung 3: Richtig bemerkt! Auf den Fotos oben sind ausschließlich Werke von Eva Aeppeli zu sehen. Das Werk von Jean Tinguely blüht lichtbildnerisch im Verborgenen. Das ist der Unsichtbarkeits-Maschine geschuldet, die uns ansonsten gezwungen hätte, unseren Beitrag sechs Wochen nach Beendigung der Ausstellung wieder vom Netz zu nehmen – genauso wie das Gedicht, das wir neulich zu Tinguelys Mal-Maschine geschrieben haben. Und auf die Zwänge der Unsichtbarkeits-Maschine haben wir einfach keinen Bock.
„Jean hat seine Herzmedizin nicht genommen und er ist gestorben – ich könnte das gleiche machen. Aber ich habe nicht die Zeit zu sterben.“
Eva Aeppli
Das Lehmbruck Museum in der KunstArztPraxis:
Ästhetik des Widerstands: „Courage“ in Duisburg
Wir Seelenblinden. Alijca Kwade in Duisburg
“Ich bin die Landschaft.” Barbara Hepworth
Traum nach innen: Antony Gormley
In der Strafkolonie: Cardiff & Miller
Beuys, der Schüler: “Alles ist Skulptur” in Duisburg (Teilfraß durch die Unsichtbarkeits-Maschine)
Stephan Balkenhol: Hüllen für Geschichten (gefressen von der Unsichtbarkeits-Maschine)
Verfettend und bestrickend: Erwin Wurm (gefressen von der Unsichtbarkeits-Maschine)
Bizarre Biester: Lynn Chadwick
Mal wieder Weltklasse. 🙂 Herzliche Grüße aus Bochum, Eva
Ihr seid unglaublich. Danke. Sven