Kunst: Möglich, aber sinnlos! Loriot zum 100. Geburtstag
Zum 100. Geburtstag von Vicco von Bülow alias Loriot (12.11.2013) wird gerade viel über seinen Humor geschrieben. Deshalb schreiben wir lieber über seine Kunst – und wie sich der Humorist zu Kunst & Kunstmarkt verhielt. Anlass ist ein Kölner Auktionshaus-Chef, über den wir uns neulich künstlich aufgeregt haben.
Neulich haben wir Drei von der KunstArztPraxis uns genauso künstlich aufgeregt wie Herr Müller-Lüdenscheidt und Herr Dr. Klöbner in Personalunion.
Nur steckte unsere Ente nicht in einer Badewanne, sondern im Briefkasten, genauer: in der Depesche eines Kölner Auktionshauses. Und sie hatte die Form eines Satzes, den der Auktionshaus-Besitzer sich selber zugeschrieben hatte.
Und der lautet doch tatsächlich: „Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos.“
Der Satz ist eine ausgemachte Frechheit, weil: eine richtig schlecht gemachte, richtig plumpe Fälschung.
Um das mit der Plumpheit einmal in die elegante Sprache der Kunst zu übersetzen: Das wäre, als würde Jemand der weltberühmten Mona Lisa ein D’Artagnan-Bärtchen anmalen und behaupten, das Ganze sei sein Werk – nur eben umgekehrt, also mit abrasiertem Bärtchen!
Denn die Kopie stiehlt dem Original ja nicht nur die Eleganz, sondern auch noch den funkelnden Humor.
Warum?
Warum? Ganz einfach: Der Depeschen-Satz des Auktionshaus-Besitzers ist EINDEUTIG auf ein Publikum gemünzt, das ihn Eins zu Eins unterschreiben soll. Der Witz des Originals besteht aber zwingend in der Möglichkeit zur Verweigerung einer Unterschrift.
Denn in der unikatären Welt wahren Witzes gehört zu einem sinnlosen Leben eben nicht keine Kunst, sondern zweifelsfrei kein Mops.
Wir haben uns in 1.345 Zeichnungen gründlich umgeschaut
Das Original der plumpen Fälschung stammt natürlich vom großen Loriot. Wir hegen keinen Zweifel, dass die Depeschen-Leser das erkennen, deshalb nehmen wir dem Auktionshaus-Besitzer die in seinen Kreisen eigentlich üblichen Zuschreibungen „nach Vicco von Bülow“ oder „Loriot-Werkstatt“ nicht übel.
Alles andere aber, wie gesagt, eben schon.
Wir sind uns auch ziemlich sicher, dass Loriot die Auktionshaus-Fälschung nicht unterschrieben hätte: Er war ja nicht Dalì, der bekanntlich jede Fälschung signiert hat.
Im Übrigen haben wir uns in den 1.345 Zeichnungen seiner gesammelten Werke einmal gründlich umgeschaut. Und da sticht Kunst – und dezidiert ihre Vermarktung! – gerade durch ihre markerschütternde Absurdität hervor.
Ein Leben MIT der Kunst ist sinnlos und manchmal nicht mal möglich
Im schlimmsten Fall bringt die Kunst das Leben ihrer Erzeuger sogar komplett zum Stillstand. Sie degradiert ihre Sammler*innen zu schnöden Deko-Objekten. Oder sie verhindert den Vollzug der Ehe. Und die echte Mona Lisa taugt im Grunde auch nur als handzerschnittenes „Luxus-Puzzle“ für Gutbetuchte, das die existentielle Leere ihres spießigen Daseins überdeckt.
All das hätten wir hier gern auch visuell ausgebreitet. Aber selbst im Königreich des Humors wütet beizeiten – leider, leider – die Unsichtbarkeits-Maschine. Weshalb wir uns bei der Bebilderung dieses Beitrags zum Gutteil mit Symbolbildern behelfen müssen.
Aber die eleganten Texte können wir hier drucken:
„Das ansprechendste Objekt seiner Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Heilbronn, der Künstler selbst (Pfeil), war leider unverkäuflich“, steht da unter der Zeichnung einer Vernissage in Anwesenheit des am Leuchter erhängten Künstlers (Pfeil) zu lesen.
Und unter dem Bild eines Mannes, der statt mit seiner Frau mit einem löchrigen, recht platten Metallfräulein im Bett liegt, steht: „Durch seine innige Beziehung mit einer Bronzeplastik bewies der Angestellte Norbert K. aus Remscheid, was echte Kunst vermag.“
Zarte Porträts vom Russlandfeldzug
Wir wagen deshalb hiermit eine steile These: Die hehre Kunst hat Loriot, im Gegensatz zu Musik oder Literatur, den Großteil seines Lebens nicht so richtig interessiert.
Und dies, obwohl er neben Grafik ursprünglich in derselben Klasse wie der phantastische Horst Janssen Malerei studiert und der Nachwelt vier anrührend zarte Porträts hinterlassen hat, die er als Wehrmachtsoffizier des Russlandfeldzugs 1943/1944 – es war beileibe keine rühmliche Zeit! – mit 21 Jahren zeichnete.
Die kann man gerade in einer hübschen Ausstellung zu Loriots 100. Geburtstag im Caricatura Museum Frankfurt erstmals öffentlich sehen.
Spannung zwischen Hoch- und Knollennäsigkeit
1981 hat Loriot den Fragebogen der FAZ ausgefüllt – da war er deutschlandweit schon weltberühmt. Die Fragen müssen ihn sehr gelangweilt haben, so monothematisch eintönig hat er sie beantwortet. Wagner, Wotan und Walküren wabern wortgewellt durchs ganze Statement, und auf die Frage nach seinem Lieblingsmaler gibt Herr von Bülow indirekt die Auskunft, dass er keinen habe. Denn:
Loriot hingegen hat auch nach Russland sehr wohl gemalt, nämlich Wagner: in klassischer Manier, aber eben mit der obligaten Knollennase. Das Gemälde prangt unter anderem auf dem Cover seines „Kleinen Opernführers“ aus Loriots Zürcher Hausverlag Diogenes.
Diese Spannung zwischen Hoch- und Knollennäsigkeit, diese im Bild fixierte Fallhöhe zwischen Genie und Blödsinn, hätte Sowa auch nicht besser hinbekommen.
Das hat schon was vom Bart der Mona Lisa. Aber eben, lieber Herr Auktionshaus-Besitzer, in seiner angemalten, nicht in seiner abrasierten Form.
Und das ist eben dann der zweite Punkt: Hehre Kunst fand Loriot in ihrem Marktgetöse und der ihr angehängten Wirkung eher albern. Aber er hat in unseren Augen mit seinen Zeichnungen, seinen Zeichentrick- und Realbildfilmen – ja: sogar mit legendären, unverwechselbaren Mops-Zitaten – eben selbst Kunst gemacht. Kunst, die das Tragische hinter Komischem verbirgt. Und ganz, ganz viel Sprachwitz hat.
Es gibt auch ein paar blöde Sachen
Zugegeben: Von Loriot gibt es auch ein paar blöde Sachen, die in unseren Augen fast so spießig sind wie die Spießer, die er – zumindest in der Zeichnung – mit Melone und Stresemann eh schon veraltet karikierte.
Vielleicht ist es ein mopsfideler Zufall, aber in Loriots ödesten Sachen kommen immer wieder Hunde vor. Jene Cartoons zum Beispiel, in denen Hunde Menschen spielen müssen und Menschen Hunde, entlocken zumindest uns kein müdes Lächeln.
Oder Wum und Wendelin. Die waren schon damals krasseres Biedermeier als Loriots erst rotes und dann später grünes Sofa.
Aber auch das ist natürlich Geschmackssache: Auch unsere Deutungen sind ja nur Auslegeware.
Die Melone des Spießers, die Melone Magrittes
Aber es gibt eben auch den anarchischen Humor im Liebevollen: ein Humor, der in den von ihm erzeugten Bildern die Spießigkeit immer wieder kunstvoll unterwandert; der moralische Doppelbödigkeiten aufdeckt, teils geschlechtsspezifischen Grausamkeiten des Zusammenlebens.
Und jene Text-Bild-Kombinationen, in denen Loriot die Benimmbücher der Wirtschaftswunderjahre parodiert hat, verströmen heute einen frischen surrealen Zauber, den sie vielleicht für zeitgenössische Betrachter*innen noch gar nicht hatten.
Da wird dann die Melone des Spießers zur Melone Magrittes. Also Cartoon zur hehren Kunst jenseits bloßer Parodie. Diese Text-Bild-Kombinationen sind uns die liebsten.
Loriot selbst hat das offenbar anders gesehen. Für ihn war die Karikatur das Terrain der immergleichen menschlichen Schwächen und die Kunst das Feld des permanenten Bruchs mit Konventionen. Das ist nun wieder uns zu altbacken gedacht.
Der Schnurrbart der Mona Lisa und die Knollennase eines Richard Wagner oder ein Satz von der Sinnlosigkeit mopsfreien Lebens sind ja der beste Beweis dagegen.
Während ein Satz von der möglichen Sinnlosigkeit ohne Kunst seinem Wesen nach eben ziemlich spießig ist.
Die letzten Jahre wieder Maler
Vermutlich hat sich Loriot die Trennungsaufhebung von Hoch und Tief selbst gewünscht. Nicht nur, dass sich der Humorist 2006 ins Häusliche zurückzog, um sich für den Rest seines Lebens wieder der privaten Malerei zu widmen:
Schon 1978 imaginierte er sich eine unvorstellbar lange Menschenschlange, die mit Schlafsäcken und Klappstühlen vor dem Metropolitan Museum in New York ausharrt, um an einer streng bewachten Vitrine aus Panzerglas mit einem angestrahlten Kleinod vorbeizudefilieren.
„Es ist ein stockfleckiges Blatt aus einem Notizblock, 9 x 12 cm, darauf ein Nasenmännchen in Bleistift, nicht signiert, mit Expertise der Kestner-Gesellschaft“, heißt es in der Rede, die Loriot anlässlich einer Ausstellung von Karikaturen in der Kestner-Gesellschaft hielt.
Wir halten diese Phantasie Loriots für komplett angemessen. Ins New Yorker MeMu gehört er nämlich unbedingt hinein.
Bild: Nicht signierte Zeichnung Loriots von 1977. Expertise der Kestner-Gesellschaft auf der Rückseite.
(12.11.2023)
Anmerkung 1: Die oben gezeigten Zeichnungen Loriots dürfen wir nur unter ausdrücklicher Erwähnung oben schon einmal erwähnter Ausstellung zeigen! Deshalb hier nochmal: „Ach was. Loriot zum Hundertsten“ ist noch bis zum 25. Februar 2024 im Caricatura Museum in Frankfurt am Main zu sehen. Wir werden noch hingehen, es sind schöne Sachen da. Aber es gibt keinen Katalog. Vielleicht auch da Unsichtbarkeits-Maschine?
Anmerkung 2: Ach ja: Die Google-Suche nach „Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos“ ergab am 25.10.2023 rund 530 Treffer. Sich dieses Bonmot also selbst zuzuschreiben, ist zwar möglich, lieber Herr Auktionshaus-Besitzer, hat aber hunderttausend Mona-Lisa-Bärte.
Anmerkung 3: Loriot war Wehrmachtsoffizier. Seine Militärakte von damals rühmt seine „klare“, seine „durchdachte“ Art zu befehlen und lobt neben seinem Talent als Unterhalter auch sein „straffes“ Regiment an der Front. Diese Episode, die Loriot klar bereut hat, wird gerade gern verschwiegen, gehört zu seiner Biografie aber unbedingt dazu.
Homepage des Caricatura Museums Frankfurt
Homepage von Loriots Hausverlag Diogenes
Toller Beitrag. Ein Leben ohne die KunstArztPraxis ist möglich, aber sinnlos. Schön, dass es euch gibt. Wann kriegt ihr endlich den Grimme-Preis?
Antwort KunstArztPraxis: Danke, das tut gut. Ein Leben ohne Leser wie Sie usw. usf. etc. pp. PüntchenPünktchenPünktchen. Übrigens: Ein Leben ohne Sinn ist ebenfalls möglich, aber sinnlos! Das wird heutzutage gern vergessen. Nur so als Lebensrat an Alle. Ihre KunstArztPraxis.
Mit diesem humoristischen Meisterstück habt ihr Loriot – und mir! – ein sehr schönes Geschenk gemacht. Danke!
Über diesen Beitrag hab ich wirklich schmunzeln müssen. Herzlichen Dank dafür – im ganzen Biografierunterbeten zu Loriots Geburtstag mal was ganz anderes, selbst sehr Humoristisches. Macht weiter so. Ohne die Kunstarztpraxis wäre die Kunstszene erheblich ärmer! Peter
Antwort KunstArztPraxis: Wenn Sie uns jetzt sehen könnten, Sie sähen uns erröten. Herzlichen Dank.
Ihr seit genial.
Sehr schöner Beitrag, der Loriot einfach mal anders beleuchtet. Und den Kunstmarkt auch. Herzlichen Dank!