An den Papierarbeiten von Tim Ossege kann man schnell vorbeilaufen. Denn sie hängen, zum Teil versteckt, im ganzen Stadtraum. Nicht nur in Köln, sondern auch in Hamburg, London oder Lissabon. Ein Porträt des Street-Art-Künstlers.
Seit Kurzem sorgt im Kölner Stadtraum ein maskiertes Mädchen für Furore, das mit dem Kleisterpinsel ein Corona-Plakat einer eine Rolle Klopapier umarmenden Frau an die Wand geklebt hat: Ein doppelbödiges Spiel mit der illegalen Kunstform, das die Corona-Maske auch als Vermummung deutet. Und eine Auseinandersetzung mit unserer sozialen Befindlichkeit.
Das Mädchen stammt vom 36-jährigen Kölner Street-Art-Künstler Tim Ossege, der seine Papierarbeiten unter dem Label “seiLeise” im öffentlichen Raum platziert. Das Plakat hat sein Düsseldorfer Kollege Roberto Faoro beigesteuert. Die beiden arbeiten häufiger zusammen. Hier blickt Ossege durch die Schablone eines seiner Werke, die zuhauf an Wäscheleinen in seinem Atelier auf einem Gewerbegelände im Kölner Stadtteil Niehl hängen..
Natur als Bonsai-Bäumchen
Gern verwendet Ossege eine Kombination aus besprühtem Papier und “Reverse Graffiti”: jene Teile der Motive, die durch Reinigung der Wände entstehen. Und oft sind Kinder auf den Arbeiten Osseges zu sehen. “Weil sie unschuldig sind”, wie der Künstler sagt. Ihm geht es nämlich um die politische Botschaft. Wie bei “Hambi” (2020), das auf die Entwicklung im Hambacher Forst anspielt. Von der “echten” Natur ist auf dem Bild nur ein mickriges Bonsai-Bäumchen übrig geblieben.
Das sieht manchmal für den durch die Brille des Kunstmarkts fokussierten Blick des Betrachters ein wenig nach Banksy aus – ein Vergleich, den Ossege nicht so gerne hört. “Banksy hat viel für die Etablierung der Street Art getan”, sagt der Künstler. “Ansonsten interessiert er mich aber nicht”.
Besonders lange hängen die Arbeiten Osseges allerdings nicht. “Reverse Graffiti” zum Beispiel verschmutzt schnell wieder. Oft versuchen Passanten aber auch, das Papier abzukratzen. Oder Wind und Wetter tun ihren Teil. Selten überlebt ein Motiv mehrere Jahre wie dieser “Sad Hero” von 2017. Dass er über dem Graffiti-Wörtchen “Crime” angebracht ist, ist übrigens ein Zufall.
London ist übersättigt
Macht aber auch nichts. Immerhin hat Ossege rund 150 bis 200 Exemplare seiner Kunst im Stadtraum verteilt. Und unsere schnelllebige Gegenwart ist es wert, überall und immer wieder neu kommentiert zu werden. Selbst dann, wenn sich, wie bei diesem Motiv, wegen eines rosafarbenen Kleides ein Gender-Shitstorm über einen ergießt.
Zu sehen sind Osseges Werke nicht nur in Köln, sondern auch in Düsseldorf, Hamburg, Lissabon oder London. Dort hing auch eine Brexit-Kritik des Künstlers. “Aber das hat keinen sonderlich interessiert”, sagt Ossege. “Die Londoner sind in Sachen Street Art leider schon übersättigt.”
Manchmal wird Osseges Kunst ohnehin von der gesellschaftlichen Entwicklung überollt: Als er seinen “Kuss” auf die Fassade dieser Kneipe in Köln-Ehrenfeld sprühte, war das Lokal wegen des Corona-Shutdowns noch geschlossen. Seit den Lockerungen wird das von einer berühmten Fotografie des Fotoreporters Alfred Eisenstaedt inspirierte Bild von Tischen und Stühlen verstellt. Und von selbstgezimmerten Corona-Schutzwänden umrahmt.
“Zu alt für Nacht- und Nebelaktionen“
Seine Street-Art fertigt Ossege in seinem Atelier an. Farbschicht für Farbschicht sprüht er durch die Schablone, die mit Kreuzen fixiert und mit Gewichten beschwert werden, auf das Papier. Genug Sprühdosen gibt es in seinem Atelier auf jeden Fall. Dann zieht er auf der Suche nach geeigneten Flächen durch die Stadt. Mit dem Fahrrad oder als Passant. Seinen Rucksack mit mehreren eingerollten Motiven, Pinsel und Kleister hat er bei seinen Expeditionen durch die Straßen fast immer dabei.
Ist eine geeignete Wand gefunden, bringt Ossege seine Sprühkunst an. Am helllichten Tag, in aller Öffentlichkeit – und nicht wie früher, als er noch Graffiti machte, im Dunkeln: “Für Nacht- und Nebelaktionen bin ich inzwischen zu alt.” So ist auch das Label “seiLeise” zu verstehen: Auch tagsüber muss er sich ja unsichtbar machen.
Die Vorbereitung im Atelier hat einen strafrechtlich guten Grund: Direkt auf die Wand angebrachte Farbe gilt als Sachbeschädigung, geklebte Papierarbeit nur als “wildes Plakatieren”. Und das wird milder geahndet. Ohnehin müsste man ihn in flagranti vor Ort beim Kleben erwischen, um ihn zu behelligen. Selbst ein Beweisfoto reicht laut seiner Auskunft nicht aus. Und außerdem kommt man mit Papier und Kleister selbst an die unzugänglichsten Stellen.
Kann man von Street-Art leben?
Viele der Motive, die man in der Stadt sieht, kann man übrigens auch kaufen. In Osseges Hamburger Galerie mit dem schönen Namen “Urban Shit” beziehungsweise, stilecht, “RBNSHT”. “Die Straße ist mir wichtig. Aber es ist auch schön, wenn man von seiner Kunst leben kann.” Von seiner Kunst kann er, im Verbund mit anderen Aufträgen als Grafiker und dank seines Jobs beim Privatfernsehen, inzwischen leben. Gut so. Denn auf diese Weise wird man seine Kunst auch in Zukunft weiterhin im Stadtraum finden können. Man muss halt mit offenen Augen durch die Straßen – und über die Plätze – gehen. (29.05.20)
Zuerst auf wdr3.de.
Ihre Streetart begeistert mich immer wieder und natürlich habe ich Ihre Werke auch in meinem kleinen fotografischen Spaziergang durch einige Kölner Veedel (Video bei Youtube) berücksichtigt. Meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ART der Stadtverschönerung.
https://www.youtube.com/watch?v=DCulRgd1i0w
Antwort KunstArztPraxis: Haben wir weitergegeben. Danke fürs Feedbacken.
Ich liebe seine Bilder an den versteckten, manchmal verborgenen Stellen in Köln Mülheim. Ich freue mich sehr auf seine nächsten Aktionen. Das Rheinufer ist immer ein Spaziergang wert. Danke dafür.
Helene Buchenau