+++ Eil +++ Eil +++ Eil +++ Piraten entern Marta!
Hunderttausend Höllenhunde: Die RaumZeitPiraten haben das Marta in Herford geentert! Und wollen von außen nach innen dringen. Ist jetzt die Kunst bedroht? Nö. Im Gegenteil – denn das Entern IST ja die Kunst! Also alle Mann an Bord. Und Fertigmachen zum Mit-Entern.
Unter den Museen NRWs ist das Marta in Herford eine der Schatzinseln. Architektonisch selbst wellend und wogend wie die aufgepeitschte See, kann man hier getrost vor Anker gehen, um in der Flora und Fauna der Innenräume überraschende Entdeckungen zu machen.
Drinnen gibt’s seit 2020 sogar eine veritable und variable „Insel“, die momentan zur Ausstellung „Trügerische Bilder“ vom Künstler Adrien Tirtiaux gestaltet worden ist. Und im angrenzenden Marta-Garten ein vom atelier le balto landschaftsarchitektonisch gestaltetes „Floß“.
Sind die RaumZeitPiraten vielleicht damit über die Aa gekommen? Eine verwegene These, fürwahr. Aber wir müssen ja nach Erklärungen suchen. Schließlich waren die RaumZeitPiraten nachweislich da.
Dioden-Monster und Kratz-Roboter
Wie für echte Freibeuter üblich, starten die RaumZeitPiraten ihre Eroberungszüge im Kollektiv, als Wir: „um den Spiralen egozentrischer Selbstsimulation zu entgehen“, wie es in einer – uns als KunstArztPraxis natürlich höchst sympathischen! – Stellungnahme heißt. Und sie kommen natürlich nicht durchs Hauptportal, sondern durch die Hintertür.
An der rückseitigen Fensterfront der Marta-Lobby hin zur Aa also hat das Künstlerkollektiv in einer hübsch kleinteiligen Installation mit Saugnäpfen jene geheimnisvollen Instrumente und noch nie zuvor gesehene Apparaturen befestigt, die in unserer High-Tech-Epoche die rechten Enterhaken sind:
Opto-akustische Dioden-Monster, die leise surrend selbst die Natur zum Zittern bringen. Weiße Kreise, die plötzlich hinter der Marta-Scheibe wild zu tanzen beginnen. Sensorische Parasiten, die Luftfeuchtigkeit und Lichteinfall saugen. Und Kratzroboter, die milchige Kreise allmählich wieder durchsichtig machen.
Damit man vom Außen ins Innen durchstoßen kann. Zumindest mit den Augen.
Die interessante Membran
„Wir lieben Orte und Un-Orte, die man erstmal nicht als Kunstorte wahrnimmt“, sagen die RaumZeitPiraten. Treppenhäuser, Parks und Höhlen zum Beispiel. In diesem Rahmen sei die Scheibe hinten am Marta gerade mit der Erfahrung von Corona im Rücken „eine interessante Membran für uns“ gewesen.
Ein architektonisch eher uninteressanter Platz, an den man aber jederzeit nah herankommen kann. Und nach dem Konzept der RaumZeitPiraten auch nah herankommen können muss.
„Eigentlich geht es darum, die Besucher*innen in einen spielerischen Moment hineinzubekommen“, erläutern die RaumZeitPiraten. Denn all das funktioniert offensichtlich nur, wenn man vor dem Installations-Schaufenster invasorisch-grenzüberschreitende Gesten vollführt, während man sich in der Scheibe spiegelt.
Mit-Entern ist demnach Pflicht. „Das ist ein interaktives Zusammenspiel und ein Entdecken mit dem ganzen Körper“, sagen die RaumZeitPiraten, „auf das wir uns freuen“.
Wir konnten leider nicht so lange bleiben. Aber wir könnten uns vorstellen, dass derlei Interaktionen mit vollem Körpereinsatz im Schutz der Dunkelheit besonders lohnend sind. Die Installation reagiert ja nicht nur aufs Publikum, sondern auch auf Tageszeiten. Inszenatorisch etwas weniger mutige Mit-Piraten wären nachts also klar im Vorteil.
Weniger mutige Mit-Piraten müssen sich ohnehin keine Sorgen machen. Die ganze Enterei ist für Leib und Leben komplett ungefährlich. Die RaumZeitPiraten haben nämlich einen Kaperbrief von Noch-Direktor Roland Nachtigäller in der Tasche. Und dessen Museumscrew hat mit dem Heuern des Künstlerkollektivs wieder einen guten Griff getan.
Unscheinbarkeit mit feinen Eingriffen in Poesie zu verwandeln ist schließlich eine große Kunst. Und das Entern mit Maschinen sollte man nicht den Hackern überlassen.
Die trügerische Gischt des Augenblicks
Das sei denn auch jener verdammten Schar skrupelloser Flibustiere und Bukanier ins Logbuch geschrieben, die ihre Raubzüge im Auftrag des Finanz- und Geschmackskapitals auf den provinziellen Weltmeeren der Kunst- und Kulturfeindlichkeit immer wieder einmal dreist durch die Haupteingänge der Museen vollziehen wollen:
Das Marta bleibt eine Schatzinsel mit internationaler Strahlkraft, an der auch die Belange des schnöden Mammons und des öden Trendgeists letztendlich abprallen werden wie die trügerische Gischt des Augenblicks am ewigen Felsen von Raum und Zeit.
In diesem Sinne: Ahoi, Roland Nachtigäller! Viel Glück. Und jetzt schon einmal, aus gegebenem Anlass: gute Fahrt. (11.07.2021)
Appendix: „Marta Open Air“
Der „DazwischenRaum“ der RaumZeitPiraten ist Teil der (Corona zu verdankenden) Idee zur Freiluftausstellung „Marta Open Air“, die bis zum Herbst 2021 wechselnde Installationen auf dem Außengelände des Museums selbst bei geschlossenen Türen kostenlos Tag und Nacht sichtbar macht.
Dazu gehört momentan ein unbespielbarer Basketball-Korb von Robert Barta ebenso wie ein funktionsverweigernder Überwachungsanhänger samt einer zum Kurzschluss neigenden Videokamera von Andreas Fischer oder drei Interaktions-Stationen von Nezaket Ekici, die Mitmachende via QR-Code unter anderem in apfelpflückende Flamencotänzer*innen oder Küchenmaschinen verwandeln.
Gute Kunst hat halt immer auch etwas vom anarchischen Charme der Piraterie.
Anmerkung: An dieser Stelle befand sich bis zum 04.10.2021 eine Fotostrecke mit Bildern von „Marta Open Air“. Sie wurde ein Opfer der gefräßigen Unsichtbarkeits-Maschine. Betroffen sind unsere Fotos der Werke von Robert Barta, Andreas Fischer, Andreas Schmid, Nick Hullegie und Nezaket Ekici.
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