Endlich im Licht! Hapke & Henschel in Kevelaer
Das Falt-Haus Erwin Hapkes gibt es ja leider nicht mehr. Aber jetzt gibt es eine Doppelausstellung: Hapke und Heinz Henschel, im Niederrheinischen Museum Kevelaer! Endlich kann sich Jeder nun Hapkes famose Faltungen persönlich anschauen. Und Henschels selten gezeigte Radierungen auch.
Vielleicht hätte Erwin Hapke diese Ausstellung nicht gefallen. Schließlich hatte er verfügt, dass seine Faltfiguren komplett in seinem Elternhaus in Fröndenberg bei Unna verbleiben sollten. „Für Ausstellungen anderswo müssen sie alle verdoppelt werden“, stand auf im Haus verteilten Zetteln. Wir haben sie gelesen.
Das Haus, das Hapke gern posthum als Museum eröffnet gesehen hätte, ist inzwischen leergeräumt. Das Gesamtkunstwerk, diese Haut aus Zehntausenden Faltfiguren, gibt es nicht mehr. Alle Versuche, es zu erhalten, es Besuchern zugänglich zu machen, sind gescheitert. Die filigranen Werke aus Papier und Blech lagern inzwischen mit ungewisser Zukunft irgendwo im Bergischen.
Was wir beim letzten Gang durchs Haus empfunden haben, haben wir an anderer Stelle versucht festzuhalten.
Wir sind noch immer glücklich über das Privileg, mehrmals im Museum Erwin Hapkes gewesen zu sein. Und wir sind froh, dass Hapkes Faltfiguren aus Papier und Blech gegen den letzten Willen des Künstlers gerade in einem anderen Museum in Kevelaer einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Zumindest temporär.
Auch wenn wir es bei der Ausstellungseröffnung offen gestanden eine Zeitlang befremdlich fanden, das Werk nun mit so vielen Menschen teilen zu müssen (es war proppenvoll!). Dieses Unintime war für uns eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung.
Wir haben uns aber schnell daran gewöhnt.
Die Schönheit des einzelnen Objekts
In der Ausstellung „Verschwiegenes Schaffen“ ist es teils fast so schummrig, wie es im Haus von Erwin Hapke in manchen Zimmern wirklich war. Allerdings hat man in Kevelaer nicht den Fehler gemacht, das Gesamtkunstwerk in irgendeiner Weise – und sei es nur in Teilen – eins zu eins nachzubauen, Ordnung und Strukturen zu verdoppeln. Wegen der immensen Fülle der Objekte wäre das ja ohnehin unmöglich gewesen.
Aber auch der kuratorische Ansatz des Teams um Museumsdirektorin Veronika Kaenders ist ein anderer: Statt auf die erschlagende Masse der Faltungen Hapkes zu setzen, baut man in Kevelaer im Großen und Ganzen eher auf die Schönheit des einzelnen Objekts.
Auch für uns gab es Neues zu entdecken
Sogar für uns von der KunstArztPraxis gab es auf diese Weise nach all den Wochen im Hapke-Haus noch viel Neues zu entdecken. Und: So zauberhaft, wie in Kevelaer die Schatten der Figuren über den Boden und über die Wände tanzen, ist es in Fröndenberg nie gewesen.
Was in einst im Schatten entstand, darf nun, ans Licht gebracht, Schatten werfen.
Erwin Hapkes Nachlass war schon in Zürich (2017) und in Nürnberg (2022) zu Gast. Nun ist er also endlich in NRW angekommen, 140 Kilometer von Hapkes Heimathaus entfernt. Dem gegenüber hat das Werk Heinz Henschels – der zweite, nach seiner Flucht aus der DDR 1954 bis zu seinem Tod 2016 in Dülken bei Viersen lebende Künstler der Ausstellung – in Kevelaer fast ein Heimspiel.
Beide Flucht, beide Schlosser
Henschels Schicksal ist mit dem Hapkes vergleichbar: nicht nur wegen ähnlicher Fixkpunkte – beide Flucht, beide Lehre als Schlosser! – in der Biografie. Zu Lebzeiten selbst Vertrauten unbekannt und vollkommen im Verborgenen schaffend, wird ihr Werk nun von zwei umtriebigen und von der Qualität der Arbeiten zum Glück überzeugten Erben als Nachlass sichtbar gemacht.
Ansonsten könnten die Arbeiten von Hapke und Henschel unterschiedlicher nicht sein:
Hier eine konzeptionelle Idee, kreative Klarheit gepaart mit der wissenschaftliche Akribie des Biologen; dort die sehr dekorative, aber auch ein Trauma melancholisch verarbeitende, farbig überbordende – und teils nur mit der Lupe zu entschlüsselnde – phantastische Illustration. Geheimschrift inklusive.
Bei Henschel die prägende Haft in der Jugend in der DDR, bei Hapke die kreativ-befreiende, bis zum Tod 2016 währende Selbstinhaftierung im eigenen Kosmos des Elternhauses. Vielleicht auch das ein wichtiger Unterschied.
Das hätte Hapke gnädig gestimmt!
Ja, die Idee zur Ausstellung hätte Erwin Hapke vielleicht zunächst tatsächlich nicht gefallen. Vielleicht wäre er auch zornig geworden, er konnte ja sehr aufbrausend sein. Aber er war ja auch ein kluger, reflexiver, von seiner Kunst überzeugter Kopf.
Die Anerkennung, die ihm jetzt in Kevelaer durch die vielen Besucher offenkundig zuteil wird, hätte ihm wohl auch geschmeichelt, überzeugt, 35 Jahre lang das Richtige getan zu haben. Und spätestens die spannungsreiche Nähe zu Heinz Henschel hätte ihn sicher gnädig gestimmt. (20.03.2023)
„Verschwiegenes Schaffen – Werk im Schatten. Die Künstler Hapke und Henschel“ ist noch bis zum 23. Juli 2023 im Niederrheinischen Museum Kevelaer zu sehen. Fotos von uns werden übrigens auch gezeigt! ????
Ach ja: Wir haben ein Buch über das Falt-Haus Erwin Hapkes gemacht – um es zumindest in unseren fotografischen Faltungen zu erhalten. Kostenpunkt: 38 Euro. Wer uns bei der Re-Finazierung des Buchprojekts unterstützen will, der erwerbe es gerne
- entweder per Online-Bestellung über diesen Link (dort gibt es auch ein druckfrisches, wunderschönes Henschel-Buch!)
- oder im Museumsshop des Niederrheinischen Museums Kevelaer während der Laufzeit der Ausstellung „Verschwiegenes Schaffen. Werk im Schatten“ über Hapke & Henschel.
Ansonsten im gut sortierten Buchhandel.
Thomas Köster: Erwin Hapke. Welten-Falter. Mit einem Geleitwort von Matthias Burchardt. Verlag Kettler 2023, 144 Seiten, 38,00 Euro. ISBN 978-3-98741-039-0.
Erwin Hapke in der KunstArztPraxis:
Exklusiv: Erwin Hapke, Welten-Falter – ungefaltet!
Erwin Hapke: Das Ende eines Gesamtkunstwerks
Erwin Hapke: Welten falten
Betriebsausflüge (2): “Geordnete Verhältnisse”
Unsere Multimedia-Reportage zu Erwin Hapke bei WDR.de
Der Weltenfalter-Podcast zu Erwin Hapke bei WDR.de (da waren wir auch dabei!)
Kommentare
Endlich im Licht! Hapke & Henschel in Kevelaer — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>