Wir machen mit! „August Macke & Friends“ in Bonn
Im August Macke Haus in Bonn stellt eine Ausstellung momentan Gemälden, Zeichnungen, Drucken & Scherenschnitten von August Macke & seinen Freunden die Interpretationen Bonner Bürger gegenüber. Wir als Kölner durften natürlich nicht mitmachen. Das holen wir jetzt aber hiermit in der KunstArztPraxis nach! Ätsch.
Unter den Interpretierenden sind übrigens so illustre Berufende wie Hebamme, Bäckermeister, Richterin, Pfarrer, Olympia-Kanute, Komiker, Psychiaterin und Schlagzeuger einer Mundart-Band. Aber eben kein Buchwissenschaftler, kein Fotograf – und auch kein Dichter!
Von daher passt der Nachklapp von uns Dreien aus der KunstArztPraxis wie die Faust aufs Auge. Die Reihenfolge ist erwürfelt.
KunstArzt3: Die Buch der Frau. August Macke, „Lesende“ (1910),
Als Dozent der Buchwissenschaft in Mainz war ich allein unter Frauen: In meine Seminare verirrte sich neben rund 50 Exemplaren jedes Semester höchstens mal ein Quoten-Mann.
Seitdem ist das Buch für mich als Gegenstand weitgehend weiblich.
Eines meiner Seminare war der Geschichte des Lesens gewidmet, und es war mir wichtig, den Studentinnen zu vermitteln, dass jahrhundertelang laut gelesen werden musste: Jeder sollte hören können, ob jemand Tugendsames oder Verbotenes in sich aufnahm.
Das stille Lesen wurde erst sehr spät, im 17. oder 18. Jahrhundert nämlich, da streitet sich die Wissenschaft, erfunden.

August Mackes „Lesende“ liest nicht nur still: Sie ist ins Buch versunken. Ihre Herzseiten-Hand ist mit dem Einband verschmolzen, so deute ich Mackes Strich. Die Außenwelt rundum ist ausgelöscht. Selbst ihr Mann findet gerade nicht mehr statt. Den Kaffee einzuschütten hat sie vergessen.
Die „Lesende“ darf sogar in der guten Stube lesen! Der Maler pinselt lieber stumm vor sich hin, als sich mit einer klappernden Tasse zu ihr zu setzen! Schon wieder eine neue Zeit. Noch im 19. Jahrhundert galten Romane als frivoler Frauenschund und mussten, verborgen vor männlichen Blicken, im Boudoir verkostet werden.
Natürlich könnten im Buch auch Rilkes Gedichte stehen. Ich glaube trotzdem, dass die Lesende einen Roman in Händen hält: der epischen Geborgenheit wegen, die sie, nach innen träumend, ausstrahlt. Ich stelle mir vor, dass es „Niehls Lyhne“ (1880) ist, mein Lieblingsbuch aus dieser Epoche*, in dem die ins Buch versunkene Leserin eine zentrale Rolle spielt. Dann sähe Mackes Heldin in den Spiegel. Empirisch belegen kann ich das natürlich nicht.
*und das von Rilke! Immerhin.
Wenn ich heute in der S-Bahn sitze, dann habe ich den Eindruck, dass nur noch Frauen lesen. Männer streamen. Schon wieder eine neue Zeit.
KunstArzt3
KunstArzt1: Die Kraft des Witzes. Ernst Moritz Engert, „Athlet“ (1970er Jahre)
Einmal lernte ich in München Leni Riefenstahl kennen. Da war sie schon Hundert und ihr eigener Geist.

Es war im Auktionshaus eines Freundes, und Leni Riefenstahl schneite herein, um Fotos von Nuba-Kriegern, Südsee-Fischen und Athleten einzuliefern, die sie aus einer weißen Mappe zog. Weiße Mappe, weißer Mantel, weiße Haare, weiße Finger, weißes Antlitz: Ein Scherenschnitt von ihr hätte aus Eis sein müssen.
Wir alle kennen die antikisierten Bilder vom heroischen Athleten, die Riefenstahl auf Fotos und in Filmen während der Olympiade 1936 für Adolf Hitler schuf: Man kann sie ihrer Botschaft gemäß getrost scherenschnittartig nennen.
Auch Fotos zeigen die Wirklichkeit ja nicht, wie sie ist – ein segensreicher Irrtum der künstlerischen Moderne –, sondern wie Eine*r sie sah.
Foto oben: Leni Riefenstahl, „Diskus-Werfer (Glenn Morris)“ (1936)
Kleiner Fotografen-Tipp für Dummies: Nie die Füße abschneiden!
Ernst Moritz Engert, der 1913 an der vom Freund August Macke organisierten „Ausstellung Rheinischer Expressionisten“ im Bonner Kunstsalon Cohen teilnahm – und der die Welt einer Augenkrankheit wegen bis zur OP in den späten 1970er Jahren nur Schwarz-Weiß sah – geht in seinen Scherenschnitten einen bunteren, da humorvollen Weg.
Ich frage mich: Was hat der Athlet denn da zwischen seinen Beinen baumeln – ich meine auch das große Weiße? Creolt sich unter seiner rechten Achsel tatsächlich ein Piercing? Und was um Himmels Willen wächst ihm aus dem Kopf?

Es könnte natürlich ein Zopf sein, aber für mich ist es ein Säbelschnäbler-Schnabel Max Ernst’scher Qualität, der in Richtung Mini-Hantel weist. Und das sind ja wohl auch keine Hände an den Flügel-Armen! Das sind Krallen.
Ich bin mir sicher: Engerts schwarzer Athleten-Vogel mit seinen queer-barocken High-Heel-Schuhen wird nur vom Hantelchen auf dem Podest gehalten! Sonst flöge er davon.
Er ist mir ohnehin tausendmal lieber als Leni Riefenstahls ideologisch weiße Scherenschnitte. Sein Witz ist der des freien Geistes. Die heroisierten Diktatoren-Athleten der geisterhaften Riefenstahl können ja noch nicht einmal schmunzeln.
KunstArzt1

KunstArzt2: Ein Gedicht von einem Bild. Marta Worringer, „Stadtpark“ (um 1920)
Im Stadtpark
Im Stadtpark blühen keine Bäume.
Am Rand blühn Häuser. Weiß. Und blau.
Ein Hund verwurstelt sich in Träume
Und auf der Parkbank einsamt eine rote Frau.
Im Stadtpark treppts bergab ins Wasser.
Ein Brunnen strahlt – und ist verschwunden!
Das Firmament war niemals blasser.
Die rote Frau hat einen Mann gefunden.
Im Stadtpark pickt nicht eine Taube.
Der Hund träumt von Pantoffeltieren.
Am Horizont krümmt sich die Laube.
Die rote Frau geht mit dem Mann spazieren.
Im Stadtpark torkelt die Laterne.
Der Brücke tun die Füße weh.
Die Berge schneien in der Ferne.
Die rote Frau starrt wieder einsam in den See.

P.S.: Es gibt auch noch eine rosa Frau auf dem Bild. Dazu vermag ich aber leider nichts zu sagen.
KunstArzt2
Bitteschön Dankeschön. Ihre KunstArztPraxis. (02.11.2025)
„August Macke & Friends. Stimmen zur Sammlung“ ist noch bis 15. März 2026 im August Macke Haus in Bonn zu sehen. Zur Ausstellung wurde Mackes „Lesende“ übrigens von der Leiterin des Bonner Literaturhauses, Engerts „Athlet“ vom Psychotherapeuten der Telekom Baskets und Worringers „Stadtpark“ vom Vorsitzenden der ansässigen Stadtwerke interpretiert. Nachzusehen & nachzulesen in „August Macke & Friends“ vor Ort. Oder im hübschen Katalog.
Das Museum August Macke Haus in der KunstArztPraxis (erschreckend wenig):
Cole, ein Freund. Ulrike Theusner in Bonn
Die lyrische Hausapotheke der KunstArztPraxis:
Harald Naegeli in Köln: Ein Tod verschwindet weiter
Piets Wohnung. Poem für Mondrian
Zum 110. Geburtstag: Ode an Jackson Pollock
Wenn Polke lacht. Eine lyrische Hommage
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht


Du bist ein toller Dichter, Kunstartz2! DANKE: Herzliche Grüße in die Runde,
Britta
Antwort KunstArzt2: Danke, liebe Britta Boehm. Ich fühle mich geschmeichelt. Herzliche Grüße auch von den anderen beiden, Ihr KunstArzt2
Danke!