Katz & Penck: „Mit Ralf war es ein Wechselspiel“
Vor 15 Jahren haben wir das Angebot, Benjamin Katz bei seiner Autobiografie zu unterstützen, ausgeschlagen. Blöd. Jetzt machen wir den Fehler etwas gut und bringen mögliche Passagen. Hier zur Zeit mit A. R. Penck, der heute (02.05.2022) vor 5 Jahren starb. Mit teils unbekannten Fotos aus Katz‘ Archiv.
Im August 1980 wurde Penck aus der DDR ausgebürgert und kam zunächst auf Schloss Lörsfeld in Kerpen bei Köln, dem damaligen Wohnsitz seines Galeristen Michael Werner, unter.
Das habe ich sehr schnell erfahren und fand es selbstverständlich, ihn zu treffen: Ich kannte ja seine Bilder schon länger, da wollte ich ihn unbedingt persönlich kennenlernen. So habe ich mich mit Penck auf Schloss Lörsfeld verabredet.
Erstes Foto: Penck mit Apfel
Die erste Begegnung fand in der Küche statt. Nach meiner Erinnerung war der Raum nicht besonders hell, wir saßen uns an einem großen Holztisch gegenüber. Vor Penck stand eine Tüte voller Äpfel, von denen er einen in die Hand nahm. Dabei entstanden die ersten von vielen tausend Fotos.
Penck führte mich in seinen Arbeitsraum, begann an einem großen Arbeitstisch zu zeichnen und zeigte mir seine private Unterkunft. Anschließend holte er aus einem Lagerraum eine riesige Rolle Packpapier, von der er einige meterlange Stücke abriss, und wir gingen auf den Hof, wo er die Bahnen auf dem sandigen Boden verteilte.
Penck nutzte das Malen wie eine Art künstlerisches Tagebuch, und so hielt er mit Pinsel und schwarzer Farbe auch jene Situation fest, in der wir uns befanden: also mich als Fotografen, der den Künstler bei der Arbeit ablichtet. Danach holte er eine Holzskulptur, die er ebenfalls bemalte.
Später nahm er ein Fahrrad und fuhr sehr vergnügt im Kreis herum, spielte Gitarre und trommelte voller Leidenschaft. Das alles dokumentierte ich, und er fotografierte mich im Gegenzug ebenfalls beim Gitarrespiel.
Es war ein herrliches Wechselspiel. Wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass in kürzester Zeit neun Filme belichtet waren.
Über Wochen täglich zusammen
Diese Begegnungen auf Schloss Lörsfeld waren der Beginn einer jahrzehntelangen intensiven Freundschaft und eines nicht minder intensiven Austauschs: regelmäßige Atelierbesuche und viele Projekte, die ich von der Entstehungsphase bis zur Vollendung begleiten konnte, waren selbstverständlich.
Dabei waren wir oft über Wochen täglich zusammen. Das hat natürlich eine Nähe erzeugt, ohne die diese authentischen Fotos nicht möglich gewesen wären.
Pencks große Einzelausstellung 1981 in der Kunsthalle Köln zum Beispiel habe ich Wand für Wand auf über 100 Bildern komplett dokumentiert. Ich wollte die Werke im Gesamtzusammenhang festhalten, bevor sie in alle Welt zerstreut sein würden.
Auch Pencks Beitrag zur wegweisenden Ausstellung „von hier aus“ 1984 in Düsseldorf habe ich begleitet, ebenso wie die Entstehung der neun Meter großen Skulptur für die Deutsche Bank in Luxemburg 1992/1993 oder die Arbeit an den großen Wandgemälden für die Bonner Telekom-Zentrale 1995.
Es sind so viele Begegnungen gewesen, dass ich nur einige beschreiben kann. Mir fallen Besuche in meiner Wohnung ein, bei der er auf meinen Bongos gespielt hat, Konzerte im Alten Wartesaal in Köln.
Oder einem Besuch im Kölner Jazzlokal „Subway“, wo eine Musikgruppe aus New York auftrat, die er von einem früheren Aufenthalt dort kannte – und Auftritte mit seiner Band „TTT“.
Penck war auch öfter bei mir zu Besuch, beinahe wöchentlich. Bei einem dieser Besuche hat er 2001 spontan aus Aluminium eine Maske seines Gesichts und seiner Faust gemacht. Maske und Faust hängen immer noch bei mir in der Wohnung.
„Krater und Wolke“
Vor allem erinnere ich mich an unsere Zusammenarbeit im Rahmen der Kunstzeitschrift „Krater und Wolke“, die Penck zwischen 1982 und 1990 herausgegeben hat. Jede Ausgabe war einem Künstler gewidmet und ich lieferte für die zweite Nummer Fotos von Jörg Immendorff.
Die nächste Nummer war eine Hommage an Markus Lüpertz. Hier beauftragte mich Penck, Aufnahmen von Affen, Bären und anderen Tieren im Kölner Zoo zu machen. Zudem hatte er ein Aktmodell organisiert, das ich im Schlafzimmer von Michael Buthe fotografiert habe; davon kam neben Bildern von Kraftwerken und leerstehenden Fabriken auch ein Foto hinein – und natürlich viele meiner Porträts von Lüpertz.
Besonders erwähnenswert erscheint mir die Zusammenarbeit für Heft 6. Um gemeinsame Arbeiten hierfür zu schaffen, sperrten sich Immendorff, Lüpertz, Baselitz, Kirkeby und Penck gemeinsam mit mir Mitte September 1987 einen ganzen Tag lang in die Bibliothek der Galerie Werner ein. Es waren nur Unterbrechungen von den Mitarbeitern der Galerie gestattet, um uns kulinarisch zu versorgen.
Stundenlanges kreatives Miteinander
In der Mitte des Tisches lag ein Stapel mit 50 x 60 Zentimeter großem Büttenpapier. Jeder bekam eine Palette und Farbe. Es war ein stundenlanges kreatives Miteinander, und auf die Frage, wie es sein könne, dass sich alle so gut verstünden, antwortete Kirkeby, das läge wohl daran, dass sie sich so selten begegnen würden.
Lüpertz nahm sämtliche Gespräche auf Tonband auf, und ich fotografierte alle erdenklichen Situationen, auch die Fünfergruppe von der Bibliotheksleiter von oben aus. Auf diese Weise belichtete ich insgesamt 16 Filme, während unzählige gemeinsame Arbeiten der fünf Künstler entstanden.
Zum Abschluss durfte ich mir eine Arbeit aussuchen, die alle fünf signierten und Immendorff mir widmete. An diesem Tag entstand eine großartige und einmalige Dokumentation dieser wundervollen Zusammenarbeit.
Nackt im See
Gern erinnere ich mich auch an eine Aktion im Jahr 1981, bei der Penck nach und nach ein weißes Kaffeegeschirr auf den schwarzen Fußboden der Galerie Werner fallen ließ und die Scherben anschließend mit einem großen Besen zu den für ihn typischen Formen zusammenkehrte.
1985 trafen wir uns in Kopenhagen, dort gab es eine Ausstellung von Per Kirkeby. Wir waren im Gästehaus des Museums Louisiana eingeladen und Penck nahm spontan splitternackt ein Bad im See vor dem Haus. Dabei sind einige wunderbare Aufnahmen entstanden, aber besonders gelungen ist die, in der nur sein Kopf aus der Mitte des Sees herausragt.
Großzügig und wortgewandt
Penck war ein wirklich sehr großzügiger Mensch. Mal beschenkte er Obdachlose, dann wieder mietete er von seinem Professorengehalt an der Kunstakademie Düsseldorf ein ganzes Haus, um seinen Studenten Atelierräume zur Verfügung zu stellen. Des Öfteren hat er bei Besprechungen der Arbeiten von Studenten eigene Zeichnungen beigesteuert und ihnen überlassen.
Später gab es nicht nur optisch eine Wandlung bei Penck. Er zeigte sich plötzlich mit Anzug und Krawatte, frisch rasiert und frisiert. Nach und nach zog er sich von Freunden und engen Weggefährten zurück. Keiner hat wirklich verstanden, was da passiert war.
Für mich bleibt Penck einer der großartigsten Künstler, dem ich je begegnet bin. Ein wundervoller Wortjongleur und feiner Geist.
Fotos als Beweismaterial
In den Katalog zu meiner ersten Ausstellung bei Tanja Grunert in Köln 1985 hat er geschrieben: „Lieber Benjamin, Unermüdlichkeit und Hartnäckigkeit werden eines Tages entweder bestraft oder belohnt, die Dokumente bleiben für die Zukunft.“
Dass meine Fotos Beweismaterial für sein großartiges Schaffen sind, hatte Penck von Anfang an verstanden. (02.05.2022)
Benjamin Katz in der KunstArztPraxis:
Katz & Richter: „Die Chemie mit Gerhard stimmte eben“
Katz & Baselitz: „Mit Pinsel ist Georg nicht mehr da“
Katz im Marta: „Sie werden überrascht sein!“
Pingback:A.R. Penck: Plot claim
Hach, was für ein toller Beitrag. Das mit Schloss Lörsfeld wusste ich gar nicht. Da war ich vor ein paar Jahren lecker essen!!!
Antwort KunstArztPraxis: Wundervoll. Wir freuen uns!