Lynette Yiadom-Boakye im K20: Malend dichten
Vordergründig malt Lynette Yiadom-Boakye nichts als schwarze Menschen in entspannter Pose – und hat damit einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Im K20 der Kunstsammlung NRW sind ihre Werke jetzt zu sehen. Oder zu lesen? Genug hintergründiger Subtext jedenfalls ist vorhanden.
Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Das zumindest meinte einst Ludwig Wittgenstein. Lynette Yiadom-Boakye sieht das etwas anders. Worüber man nicht sprechen kann, so lautet ihr Credo, darüber sollte man malen. Zumindest dann, wenn man es kann.
Die 1977 als Tochter ghanaischer Einwanderer geborene und 2013 für den Turner-Preis nominierte Lynette Yiadom-Boakye kann malen. Sie malt figürlich. Und ausschließlich schwarze Menschen. Aber sie kann auch schreiben. Sie ist nämlich Malerin und Literatin in Personalunion. Das gefällt uns von der KunstArztPraxis natürlich besonders gut.
“Die Dinge, die ich nicht malen kann, schreibe ich”, heißt das in Yiadom-Boakyes Worten. “Und die Dinge, die ich nicht schreiben kann, male ich.” Auch das gefällt uns vom Ansatz her deutlich besser als bei Wittgenstein.
Wer im Katalog zur grandiosen Ausstellung “Fliegen im Verbund mit der Nacht” blättert, kann die Malerin und die Literatin zusammen entdecken. Dort sind neben den Abbildungen einige Texte Yiadom-Boakyes abgedruckt: Fabeln und Exzerpte aus einem geheimnisvollen Kriminalroman.
Wer aber die Malerin richtig lesen will, der muss noch schnell ins K20 der Kunstsammlung NRW, bevor es zu spät ist. Denn die immense Kraft der Bilder zeigt sich nur vor Ort. Die Schau, die aus der Londoner Tate nach Düsseldorf gekommen ist, ist die erste Retrospektive der Malerin. In rund 70 Gemälden dokumentiert sie Yiadom-Boakyes Entwicklung seit ihrem Studienabschluss an der Royal Academy 2003.
Blicke trennen nach Geschlechtern
In den Texten spielt die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen noch eine Rolle: ein “Narrativ”, dass Yiadom-Boakye nach eigener Aussage in ihren Bildern “nicht interessiert”. Tatsächlich trennt sie auf ihren Bildern die Geschlechter: Da, wo sie nicht direkt zum Betrachter schauen, blicken Männer vorbei an Männern, Frauen an Frauen. Aber nie blickt eine Frau vorbei an einem Mann.
Und selbst da, wo sich im direkten Anblick des Betrachters in den Augen so etwas wie ersehnte Nähe spiegelt, ist das Offene der Figuren erfunden. Denn das Gegenüber, das uns anschaut, gibt es nicht. Niemand bei Yiadom-Boakye hat ein Vorbild in der Wirklichkeit.
Die immer bei Menschenbildern unterstellte Porträtähnlichkeit, jedes Gesicht, jede Geste ist – teils aus der Kunstgeschichte, teils den Medien oder der eigenen Familienerinnerung entlehnte – Fiktion.
Yiadom-Boakyes Protagonisten sind wahrhaftige Phantasiegebilde. Gemalte Dichtung in einer von der Literatur grundsätzlich verschiedenen, ganz anders gearteten, dunklen Sprache der Malerei.
Beredtes Schweigen
Der Blick taugt also nicht mehr viel, um von Verhältnissen zwischen den Figuren oder zum Betrachter zu erzählen. Überhaupt sind die meisten Attribute, die für gewöhnlich Raum und Zeit definieren oder in althergebrachten Sinn als Symbole Reichtum, Macht oder sozialen Rang demonstrieren, aus den Bildern getilgt.
Der Rest ist rätselhaftes, sehr beredtes Schweigen.
Wenn man es poetisch ausdrücken möchte, dann malt Lynette Yiadom-Boakye gleichsam die Leere zwischen den Worten. Es ist eine Leere, in der ihre nach innen gekehrten Figuren in souveränem Stolz und in einer Erhabenheit ruhen, die zumeist entspannt und oft auf eine sehr schöne Art auch glücklich wirkt.
Aber auch das ist schon Erzählung. Denn für die Worte der Erzählung muss bei Yiadom-Boakye Jeder selber sorgen.
Nicht plappern wie ein Papagei
Und auch die Tiere, die in Yiadom-Boakyes Texten sprechen, sind in ihren Bildern auch im übertragenen Sinne stumm. Ihre Beziehung zu ihren Besitzern bleibt im Ungefähren. Ihre im klassischen Gemälde typische – und in den Bildern natürlich mitschwingende – symbolische Funktion als Attribut muss man sich (wieder einmal) selbst erklären.
Wer nicht sprechen kann, der soll auch keine überlieferten Geschichten nachplappern wie ein Papagei.
Letztendlich erzählt aber nicht die Leere bei Lynette Yiadom-Boakye: Die Farbe selbst erzählt. Der wundervolle Strich. Und natürlich die Komposition.
Gesagt hat Yiadom-Boakye das indirekt, als sie zum lebensgroßen Porträt “Dr Pozzi at Home” (1881) mit seinem dominanten Morgenmantelihres Vorbilds John Singer Sargents festhielt, es sei dem Maler ausschließlich darum gegangen, “wie man die Farbe rot zur Wirkung bringt”. Jedes Mal, wenn sie die Farbe Rot verwende, so die Künstlerin weiter, greife sie auf dieses Bild zurück.
Sie wolle das Bild “im physischen Sinne als Gemaltes betrachten und eine Sprache entwickeln, die sich nicht so anfühlt, als würde ich versuchen, etwas aus dem Leben zu nehmen und es in die Malerei zu übersetzen, sondern die es der Sprache erlaubt, das Sprechen zu übernehmen.”
Wer ihre Bilder in Düsseldorf anschaut, der glaubt ihr jedes Wort.
Schwarz als Fiktion
Allerdings ist auch farblich bei Yiadom-Boakye vieles Fiktion. Das bezieht sich vor allem auf das Schwarz, dessen Dunkel die Bildwelt zu dominieren scheint, das aber de facto auf den Bildern gar nicht vorkommt. Vielmehr ist das Schwarz aus zahlreichen, hauchdünn auf eher grobem Leinen übereinandergelegten Lasuren dunkler Farben komponiert.
In der Textur der Malerei ergibt sich der Satz aus den Wörtern der Töne. Braun, Grün, Blau und Ocker gehören zu den Klängen dazu. Hier sind wir dann schon beim von Yiadom-Boakye während des Malens so gern gehörten coolen Jazz.
Das enthält eine ganz andere Botschaft als das Schwarz der Kunstgeschichte, das als gemalte Haut über Jahrhunderte nur von Sklaven, Dienerinnen und Exotischem zu berichten wusste. Yiadom-Boakyes Figuren erzählen eine andere, aktuellere, gemeinsames betonende Geschichte.
Man muss sie nur auch anders lesen.
Worüber man nicht schweigen darf
Man könnte versucht sein, Lynette Yiadom-Boakyes gemalte Helden mit jenen Attributen zu charakterisieren, mit denen sie selbst ihre literarischen beschreibt. Aber das griffe natürlich zu kurz. Dann sind es nicht zuletzt politische Geschichten. Geschichten einer ungerechten Welt. Und Geschichten einer Utopie, die keine Helden mehr nötig hat.
Das Fehlen gängiger Klischees befreit hierzu den Blick. Auch das macht die Bilder zu einem politischen Ausdruck des Protests. Durch dichterisches Malen anders reden über das, worüber man nicht schweigen darf. (17.01.2022)
“Lynette Yiadom-Boakye. Fliegen im Verbund mit der Nacht” ist noch bis zum 13. Februar 2022 in der Kunstsammlung NRW (K20) in Düsseldorf zu sehen
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