Mehr Licht (4): Adela Andea im ZFIL in Unna
Für die Jubiläumsausstellung zum 20-jährigen Bestehen des Zentrums für Internationale Lichtkunst (ZFIL) in Unna hat die US-amerikanische Licht- und Installationskünstlerin Adela Andea ein illuminiertes Tiefseereich geschaffen. Wir empfehlen, unbedingt einzutauchen.
Wäre der Mensch bei seiner evolutionären Entwicklung eines Tages nicht nur vom Baum auf die Erde gestiegen, sondern gleich hinab in den feuchten Keller der Tiefsee, dann würde er seine Beute heute vielleicht nicht mit Netzen und Gewehren fangen, sondern mit Ködern aus Licht. In etwa so wie der Anglerfisch, nur eben viel pompöser. Und vielleicht nicht ganz so grimmig schauend.
Vermutlich wäre dann die ganze Tiefsee ein buntes Strahlen und Leuchten, und die narzisstischen Affen auf dem Boden würden sich wundern, was es da unter ihrem oberflächlichen Spiegelbild denn so unglaublich Helles, Fröhliches, Fluides zu sehen gäbe.
Die texanische Künstlerin Adela Andea vergleicht sich nicht mit dem Anglerfisch, sondern mit der Spinne. Das hat aber eher mit der Bauweise ihres Kunstwerks „Chaos Incarnate“ (2022) zu tun, das momentan im Rahmen von „Faszination Licht“ zum 20-jährigen Bestehen des ZFIL in Unna zu sehen ist.
„Ich muss überlegen, wo ich meine Ankerpunkte setze“, sagt die 1976 in Rumänien geborene und 1999 in die USA ausgewanderte Künstlerin. „Denn an viele Dinge komme ich ab einem gewissen Moment nicht mehr heran.“ Und niemand soll die Trafos und Kabel sehen, die dem Fleisch gewordenen Chaos seine Energie verschaffen.
Das ändert aber nichts daran, dass Andea in den – tatsächlich hin und wieder feuchten – Kellerräumen einer ehemaligen Brauerei eine illuminierte Tiefseehöhle erschaffen hat.
Es ist ein von innen heraus leuchtendes, riesiges Korallenriff aus Schaumstoff-Inseln, LEDs, Lichtstäben, recyceltem Plastik und Computerhardware, das Boden, Wände und Decke überwuchert – und in jenem Moment zum Stillstand gekommen zu sein scheint, der die spröde Schönheit des Gewölbes noch hinlänglich bewahrt.
Der Fisch im Wasser
Sechs Wochen lang hat Andea hierfür auf Leitern und Hebebühnen gestanden – wobei allein das Umschiffen der Unebenheiten des Bodens fast nautische Manöver erforderlich machte. Jetzt ist das aus den USA nach Unna verfrachtete Material verbaut, der Kellerraum sind neu ausgelotet.
„Chaos Incarnate“ ist fertig und lockt mit Licht das Publikum, in einem Meer fröhlicher Farben zu versinken.
Und das ist auch Andeas Absicht: „Der Besucher muss nicht wie anderswo durch eine Ausstellung laufen“, sagt die Künstlerin. „Er wird Teil der Ausstellung sein.“ Ein Fisch im Wasser sozusagen.
Wir selbst durften kurz nach Fertigstellung schon im letzten Jahr mehrere Stunden allein im Korallenriff verbringen. Und wir müssen gestehen, tatsächlich zeitweise komplett von der Atmosphäre dort aufgesogen worden zu sein.
Der Verstand war da eher ausgeschaltet – Folge einer berauschenden Taucherkrankheit, die uns beim Anblick von psychodelischer Lichtkunst bisweilen befällt.
Botschaft? Welche Botschaft?
Deshalb haben wir in Unna leider auch von dem, was „Chaos Incarnate“ als Botschaft irgendwie auch „soll“, nicht allzu viel mitbekommen. In Bezug auf diesen Aspekt fischten wir vor Ort im Trüben.
Offenbar hat Andea Kunst durchaus einen gesellschaftskritischen Charakter, lasen wir später in einem Interview. Zudem gehe es darum, „Möglichkeiten zur Erforschung der visuellen Bedeutung zeitgenössischer Technologien anzubieten“ oder um „die Präsentation von Ideen zu Fortschritt und Wissenschaft“.
Beim Aspekt der „Erforschung“ von etwas durch Kunst schalten wir sowieso meistens ab.
Aber es geht Andea offenbar auch darum, mit künstlichen Materialien und Licht eine den natürlichen Landschaften adäquate Schönheit – und über technologische Effekte mit Optimismus und einer positiven Grundeinstellung Fröhlichkeit und Spaß – zu produzieren.
Es geht um eine „plasmatische Eruption von Farben“. Und da sind wir wieder ganz dabei. Das haben wir gesehen und gefühlt.
Herzliche Empfehlung: Eintauchen!
Wir sprechen hiermit also die herzliche Empfehlung aus, nicht wie die narzisstischen Affen verwundert von oben herab in die Tiefe zu schauen, sondern eher wie lustige Lemminge in den tosenden Strudel von „Chaos Incarnate“ hinabzutauchen – und sich als willenlose Beute unbefangen diesem maritimen Lichtkunstwerk in den Rachen zu werfen.
Es tut nicht weh. Im Gegenteil. Und der kluge Anglerfisch ist eh schon fort. (28.02.2022)
Adela Andea und die Ausstellung „Faszination Licht. (De)Konstruktion Licht & Raum“ ist noch bis zum 24. April 2022 im Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna zu sehen
Anmerkung: Nur der Vollständigkeit halber: Auch der Schwarze Drachenfisch lockt seine Beute in der Tiefsee mit Licht ins Verderben. Niemand soll sich in der KunstArztPraxis übergangen fühlen.
Apropos „Niemand soll sich in der KunstArztPraxis übergangen fühlen“: Es gibt noch zwei weitere Kunstwerke in der Ausstellung „Faszination Licht“. Und zwar „Spectrum“ von Oliver Ratsi (Foto) und „Plan Scape“ eines internationalen Künstlerkollektivs.
Aber ersteres ist zwar schön, in unseren Augen aber nicht ganz so verlockend wie der Tiefseekeller von Adela Andea. Und letzteres wurde schon Beute der Unsichtbarkeits-Maschine. Da können wir nichts fürs Übergehen.
Licht in der KunstArztPraxis:
Mehr Licht (1): 20 Jahre James Turrell in Unna
Mehr Licht (2): 450 Jahre Caravaggio (*1571)
Mehr Licht (3): Mischa Kuball in Leverkusen (leider gefressen von der Unsichtbarkeits-Maschine)
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