Mehr Licht (1): 20 Jahre James Turrell in Unna
Für die neue Homepage des Zentrums für Internationale Lichtkunst in Unna haben wir kürzlich Fotos gemacht. Dabei waren wir endlich auch wieder einmal alleine im umwerfenden „Floater 99“ (2001) von James Turrell. Hier der Versuch, sich der unfassbar flashenden Begegnung anzunähern.
Als das Licht in den Sechzigerjahren zum ersten Mal mit James Turrell zusammenstieß, muss es mit einem Schlag strahlend glücklich geworden sein, denn James Turrell war vielleicht der Erste, der es sah, wie es ist. Turell nahm das Licht vorsichtig in beide Hände und trug es zunächst über die Schwelle seines Mendota Hotels in Santa Monica. Und von da aus später in die Welt.
Für Turrell war der Körper des Lichts von Anfang an eine Kostbarkeit, deshalb ließ sich das Licht auch gern von ihm zähmen. Im Gegenzug baute Turrell dem Licht in Kratern, Stollen, Schächten und Zimmern Observatorien und Tempel. In fast 25 Ländern.
Seitdem gehen die Menschen aller Kulturen in Ehrfurcht oder Orientierungslosigkeit vor dem Licht in die Knie und finden bisweilen nur noch taumelnd und tastend die Tür. Wobei Ehrfurcht und Taumel in diesem Fall dasselbe sind.
Einer dieser Tempel ist „Floater 99“. Er steht unter der Erde, umgeben von den Kühlräumen und Gärbecken einer ehemaligen Braustätte, im Zentrum für Internationale Lichtkunst (ZFIL) in Unna. So richtig kann niemand ermessen, wie groß er ist, denn das Licht frisst ununterbrochen die Wände und öffnet den Raum hin zu einer Art farbflüchtiger Unendlichkeit.
Dieser Tempel hat keine Ecken, damit sich das kostbare Licht nirgends den Kopf oder die Füße stoßen kann. Und er ist selbst so empfindlich, dass man die Schuhe ausziehen muss, um einzutreten.
Das Blau der Sonne, das Rot der Sterne
In „Floater 99“ kann das Licht sorglos durch die Luft fliegen und in kaum wahrnehmbarer Langsamkeit blitzschnell seine Farbe wechseln: vom Eisblau der Sonne in den glühendvioletten Ton der von uns wegsprenkelnden Sterne.
So gewinnt das Licht Masse, Gewicht und Rhythmus, ist Form und Inhalt, Welle und Teilchen, Geist und Materie. Also ganz Aura, Atmosphäre und Substanz.
Dieses Licht füllt den Raum nicht, es ist der Raum. Es scheint nichts an, sondern ist selbst ganz schattenloser Anschein. Im Grunde stammt das Licht aus jenem Sekundenbruchteil biblischer Vorzeit, in dem im Kosmos schon flutendes Hell war, aber noch kein begrenzendes Dunkel.
Im Bild aus Licht
Für uns war der Besuch im „Floater 99“ wieder einmal geräusch- und schwerelos wie ein Segelflug. Im Wachtraum durchwanderten wir sanft wogende Felder, die nicht von dieser Erde waren, sondern aus anderen, nebulöseren Sphären.
Uns war es, als stünden wir im Kopf des Lichts und sähen dem Leuchten beim Denken zu. Wir selbst waren für den Moment nur noch Sehen, tastende Emotion. Wieder einmal eine im Grunde unbeschreibliche, abermals einmalige Begegnung. Eine hypnotische Blendung unserer berauschten Ichs.
In seiner Gänze erschien uns „Floater 99“ wie ein elektromagnetisch gemaltes Bild, dessen ephemerster Teil wir selber waren. Mit einem Orientierungsrahmen, der vielleicht vor Schnee- oder Nachtblindheit schützen soll, vor allem aber suggeriert, das hinter der Unendlichkeit eine weitere lauert.
Im Streichholzschein verschwinden
Auf dem Dach des Zentrums in Unna hat Turrell übrigens noch eine Camera Obscura aufgebaut, die den Himmel auf den Boden holt. Bei „Third Breath“ (2009) aber braucht das Licht die natürliche Dämmerung, um richtig gesehen zu werden. In „Floater 99“ ist das künstliche Licht die Dämmerung selbst.
Wenn wir in einem Raum wie „Floater 99“ ein Streichholz entzünden würden, hat James Turrell einmal gesagt, dann würde das ganze Werk verschwinden. Und damit das Glück, das dem gezähmten Licht innewohnt. Auch deshalb ist uns „Floater 99“ auf jeden Fall noch lieber. (27.09.2021)
Anmerkung: Vielleicht ist die Liebe zum Licht ja der Grund, warum James Turrell nichts dagegen hat, dass wir „Floater 99“ hier sichtbar machen. Fast alle anderen Werke im ZFIL unterliegen den Gesetzen der Unsichtbarkeits-Maschine, der wir im Folgenden aus diesem gegebenem Anlass noch eine Licht-Parabel widmen.
Appendix: Parabel vom Preis des Beleuchtens
Lange Zeit waren die Beleuchter im Naturtheater von Oklahoma glücklich über jeden Künstler, der auf die Bühne kam. Die Beleuchter liebten ihre Arbeit, denn sie bewunderten die Künstler. Und sie verlangten kein Geld für ihr Tun. Der Anblick der Werke der Künstler waren ihnen Lohn genug.
Irgendwann kamen Fremde ins Naturtheater. Sie stellten sich den Beleuchtern als Freunde der Künstler vor und schwangen große Reden. Es sei eine Ehre, die Künstler auszuleuchten, sagten die Fremden, und die Beleuchter sollten Geld für ihre Arbeit zahlen. Je mehr Geld solle fließen, je länger die Beleuchtung gedauert habe. Auch wiesen die Fremden darauf hin, dass manche Beleuchtungart illegal gewesen sei.
Anschließend zückten die Fremden ihre Rechnungen. In ihrer Verblüffung bezahlten die Beleuchter die geforderten Summen, und die Fremden steckten das Geld in ihre Tasche.
Inzwischen ist das Naturtheater von Oklahoma fast immer dunkel. Die meisten Beleuchter sind weitergezogen, es gibt nur noch wenige, die warten. Und tatsächlich kommt hin und wieder noch ein Künstler ins Naturtheater, der keine falschen Freunde hat. Dann freuen sich die übrig gebliebenen Beleuchter und rücken ihn kostenlos ins rechte Licht.
Die anderen Künstler aber klopfen vergebens an den Tür.
Anmerkung: Der Unsichtbarkeits-Maschine zum Opfer gefallen sind an dieser Stelle unsere ZFIL-Fotos der Werke von Christian Boltanski, Rebecca Horn, Joseph Kosuth, Mischa Kuball, Christiane Kubisch, François Morellet, Stephan Reusse, Vera Röhm, Keith Sonnier, Jan van Munster und Jörg Dahlem.
Homepage des Zentrums für Internationale Lichtkunst (bald mit unseren Bildern!)
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