Staeck & Beuys: “Ziel war maximale Öffentlichkeit”
Beuys wollte sichtbar sein und senden: so breitgestreut wie möglich. Klaus Staeck half ihm mit Editionen und Postkarten dabei. Ein Gespräch über Idealismus und Realismus, den ökonomischen Einfluss der DDR, gemeinsames Scheitern – und wie Kunst Freundschaft retten kann.
KunstArztPraxis: Herr Staeck, Sie haben zahlreiche Editionen mit Joseph Beuys gemacht. Wie kam es dazu?
Klaus Staeck: Alles fing damit an, dass ich 1968 verschiedene Künstler bitten wollte, Postkarten von Städten zu entwerfen. Ich wohne ja in Heidelberg, da gibt es zahllose Kitschpostkarten von Schloss und Alter Brücke. Ich wollte Gegenbilder. Auch von Beuys, der gerade auf der documenta 4 vertreten war.
Also bin ich nach Kassel gefahren. Beuys hat sofort zugesagt. Die Chemie stimmte zwischen uns von Anfang an. Damals hat er mir an der Pforte der Düsseldorfer Akademie eine großartige Zeichnung hinterlegen lassen. Die hängt bis heute in meinem Schlafraum.
So hat über die erste Edition eine langjährige Freundschaft begonnen.
Ein Wort zwischendurch: Wir haben viele Fotos von Beuys-Editionen, und die hätten wir auch gern gezeigt. Es wäre wohl auch im Sinn von Beuys gewesen. Aber die Unsichtbarkeits-Maschine verhindert das. Deshalb anbei nochmal Bastelzutaten.
KunstArztPraxis: Was waren Ihre Ziele?
Klaus Staeck: Wir wollten beide maximale Öffentlichkeit. Die Multiples von Beuys waren eine Möglichkeit, Postkarten und Plakate – mein Metier – eine andere. Und so trafen wir uns immer wieder in der Absicht, in der Hoffnung, möglichst viele Menschen mit unserer Kunst zu erreichen.
Ich habe ja über 80 Postkarten von Beuys verlegt. Es sind ganz wenige dabei, die nur Abbildungen anderer Arbeiten sind. Die Postkarten waren Beuys sehr wichtig.
Postkarte = Environment – 0
KunstArztPraxis: Und welchen Rang hatten diese Karten?
Klaus Staeck: Beuys hat einmal gesagt, er nähme die Postkarten ebenso ernst wie ein Environment. Auch deshalb, weil sie im Zweifel eine viel größere Verbreitung hätten und immer nachgedruckt werden könnten.
KunstArztPraxis: Wie war das, mit Beuys, eine Edition zu machen?
Klaus Staeck: Es war eine fruchtbare Zusammenarbeit. Einmal habe ich ein Thema vorgeschlagen, einmal er. Die meisten Vorschläge kamen von ihm. Einige Entwürfe haben wir dann zusammen weiterentwickelt.
Care-Pakete mit Tempo-Erbesen
Was die Wirtschaftswerte anbelangt, war das eine Art Familienunternehmen. Mein Bruder Rolf lebte damals noch in der DDR, bevor er quasi ausgewiesen wurde. Er schickte immer die Rohmaterialien, zum Beispiel Pakete mit Tempo-Erbsen, Bullrichsalz oder Speisekuchen.
Diese Produkte hat Beuys jeweils mit seiner Signatur und dem Schriftzug “1 Wirtschaftswert” versehen.
KunstArztPraxis: Und warum?
Klaus Staeck: Das waren nicht zuletzt alles Versuche, den Kunstmarkt durch die Endlosproduktion ein Stück weit zu unterlaufen. Wenn der Kunstfreund fragte: “Wieviel gibt es denn davon? Ist da eine Wertsteigerung zu erwarten?”, dann haben wir gesagt: “Können wir nicht versprechen. Wird möglicherweise nachgedruckt, wenn es vergriffen ist.”
Den Kunstmarkt endlos unterwandern
Diese Unterwanderung des Kunstmarkts mit seiner kapitalistischen Ökonomie hat uns ebenso verbunden wie unser politischer Anspruch in Sachen Umwelt. Ich habe ja 1969 mein erstes Umweltplakat gemacht. Da war von den Grünen noch nicht die Rede.
Einige der Gründer, die aus Heidelberg kamen, schickten damals noch eine Grußbotschaft an Pol Pot nach Kambodscha. Ich dagegen wurde ausgelacht für meine “seltsamen Themen”.
KunstArztPraxis: Aber Geld sollten die Editionen schon noch kosten – obwohl es um Verbreitung von Ideen und Anschauungen ging?
StKlaus Staeck: Natürlich. Wir mussten ja auch von etwas leben. Und vor allem den Druck finanzieren. Alles sollte zunächst preiswert – nicht billig! – sein. Aber auch der Interessent, der Schüler, der Sammler, musste bereit sein, ein minimales Risiko einzugehen.
Feilschen für die Demokratie
Ich war einmal Zeuge eines Gesprächs, das Beuys 1972 während der documenta 5 führte. In seinem Büro signierte er Plastiktaschen mit einer schematischen Darstellung der direkten Demokratie, die er für zwei D-Mark anbot. Da kam jemand – kein armer Schüler – dem waren offenbar schon die zwei Mark zu viel.
Beuys fragte: “Ja, was würden Sie denn geben?”. Antwort: “Eigentlich gar nichts.” Darauf sagte Beuys: “Na, dann interessiert es Sie offenbar auch nicht.”
KunstArztPraxis: Achtung, Journalistenfrage! Haben Sie eine Lieblingsedition?
Klaus Staeck: Meine “Lieblingseditionen” sind die mit der größten Auflage. Dazu gehören die Filzpostkarten und vor allem die Holzpostkarten. Beide drucken wir bis heute nach. Zu der Holzpostkarte gab es auch interessante Geschichten.
KunstArztPraxis: Welche denn?
Klaus Staeck: Zum Beispiel die von einem japanischen Kunden. Der wollte über 100 davon einzeln mit Luftpost geschickt bekommen. Und während einer documenta habe ich Beuys einmal gebeten, er möge mir doch, falls möglich, jeden Tag eine Holzpostkarte nach Heidelberg schicken.
Das hat er auch getan. Jeweils mit einer Tagesbotschaft wie “Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an”. Oder, einen Tag später: “Erkenntnistheoretische Sachen heute nicht durchgeführt”. Die habe ich alle noch.
Und dann war da noch der Ärger mit der Post. Es gab einen intensiven Briefwechsel. Die Post bemängelte, dass auf den Holzstücken “Postkarte” draufstand, obwohl es sich in Wahrheit nicht um Postkarten handelte. Nach der Postordnung sei es jedenfalls keine zulässige Etikettierung.
Postkarte mit Päckchenporto
Natürlich ist die Holzpostkarte keine Postkarte im klassischen Sinn. Deshalb haben wir sie auch immer mit Päckchenporto frankiert.
KunstArztPraxis: Die Schwefelpostkarte kann man ja unterschrieben noch bei ihnen kaufen. Und im Kunsthandel. Für relativ teuer Geld…
Klaus Staeck: Es ist schon richtig, dass alles ein wenig teurer geworden ist. Den Kunstmarkt zu unterlaufen, wie wir es vorhatten, ist uns nicht gelungen. So ist die “Intuitionskiste” von Beuys, die der Vice-Versand 1968 für acht D-Mark angeboten hat, heute auf Auktionen schon für 800 Euro und mehr zugeschlagen worden.
KunstArztPraxis: Für Beuys waren ja Editionen auch immer eine Möglichkeit, Aktionen querzufinanzieren, oder?
Klaus Staeck: Richtig. Zum Beispiel bei der 7.000 Eichen-Aktion in Kassel. Ich war ja der Präsident von dem für die Finanzierung zuständigen Verein. Eine Möglichkeit zu Geld zu kommen war das Angebot einer Zinkplatten-Edition, auf der eine Stele abgebildet war. Beuys war sich sicher, dass viele Liebhaber seiner Kunst für 500 Mark einen Baum spenden würden. Als Gegenleistung bekam man ein von ihm signiertes Zertifikat.
Ich sagte damals schon: “Du wirst dich wundern.” Und so kam es dann auch. Leider machten zu wenige von seinem Angebot Gebrauch. Das wurde für mich als Verantwortlichem für die Abrechnung ein Riesenproblem.
Die “Mühen der Ebene”
KunstArztPraxis: Also Beuys der Idealist, und Staeck der Realist?
Klaus Staeck: In gewisser Weise schon. Ich erinnere mich noch an ein gemeinsames TV-Interview mit dem Hessischen Rundfunk in Kassel. Wir liefen zusammen vom Fridericianum in die Aue, wo das Fernsehteam wartete. Auf dem Weg dorthin sagte Beuys: “Ich weiß schon, was die wieder wollen: mich als den Spinner und dich als den Realisten!”.
Er war der Spirituelle mit dem Charisma und den wegweisenden Gedanken. Jedenfalls machte er Angebote für eine bessere Zukunft. Ich war mehr der skeptische Realist, zuständig für die “Mühen der Ebene”. Insofern waren wir, glaube ich, ein ganz gutes Team.
KunstArztPraxis: Vor allen Dingen ja auch bei den Editionen! Wobei: Freundschaft und Geschäftssinn kamen sich da nie in die Quere?
Klaus Staeck: Im Gegenteil. Einmal haben uns die Editionen sogar die Freundschaft gerettet! Im Bundestagswahlkampf 1980 gegen Franz Josef Strauß hat Beuys wie ein Löwe für die Grünen gekämpft, die ja gegen Ende seines Lebens zu seiner großen politischen Enttäuschung geworden sind. Ich dagegen war und bin ein überzeugter Sozialdemokrat. Deshalb haben wir während des Wahlkampfes den Kontakt gemieden.
Das Multiple als Brücke
Als wir uns nach der Wahl wiedertrafen, hat er mir vor einer versammelten Vernissage-Gesellschaft in Köln mit den Worten “Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!” die Freundschaft aufgekündigt. Das war, nach den vielen Jahren der Freundschaft und den vielen gemeinsamen Reisen und der erfolgreichen Zusammenarbeit bisher, für mich natürlich ein Riesenschock.
In meiner Not habe ich ihn gefragt: “Aber wir haben doch noch einige Multiples in Arbeit. Was wird denn dann aus denen?” Da hat er geantwortet: “Na, die machen wir noch fertig”. Das war die Brücke. Danach haben wir noch intensiver zusammengearbeitet als zuvor. (13.09.2021)
Appendix: Wie uns Staeck vorm Bankschalter rettete – und Beuys leider nicht
Beuys kam nie bis zu uns ins Sauerland. Klaus Staeck schaffte es sogar in unsere Jugendzimmer.
Während in der Nachbarschaft ein halbnackter Marc Spitz mit goldmedaillenbehangenen Brusthaar als lebensgroßer “Bravo-Starschnitt” an der Korktapete prangte, hing bei uns ein Mann im Anzug mit leerer Sardinenbüchse als Kopfersatz. Darüber stand, in giftgelben Buchstaben: “Die Gedanken sind frei.”
Damals fanden wir Staecks Plakat dufte, zehn Jahre später astrein. Heute nennen es zumindest zwei Drittel von uns immer noch ziemlich geil.
Von Beuys erfuhren wir wohl eher zufällig durch seinen Zwist mit Johannes Rau 1972 beim täglichen Fernsehabend mit unseren jeweiligen Eltern in der “Tagesschau”. Aber Staecks Plakate und Postkarten, die wir direkt bei ihm telefonisch oder per Postbestellung in Heidelberg bezogen, waren unser Protest gegen alles, was wir der Elterngeneration miefig und piefig fanden.
Fest steht, dass unser Leben ohne Erzieher wie Klaus Staeck vermutlich anders verlaufen wäre. Dann säßen wir jetzt garantiert nicht in der urbanen KunstArztPraxis, sondern im Anzug hinter einem Bankschalter oder einem Amtsschreibtisch im Sauerland. Und vielleicht hätten wir statt eines Kopfs sogar eine leere Sardinenbüchse voller nie gedachter Gedanken.
Deshalb sind wir sehr glücklich über Klaus Staecks Bereitschaft zu diesem Interview. Und Beuys haben wir ja ohnehin schon früher 100 Fragen gestellt. Auch wenn wir leider zu fragen vergaßen, warum er es nie bis zu uns ins Sauerland geschafft hat.
Joseph Beuys in der KunstArztPraxis:
100 Fragen an Joseph Beuys
Joseph Beuys. Krise & Heilung
Joseph Beuys und die Unsichtbarkeits-Maschine
Joseph Beuys reloaded (I): Der Mensch
Joseph Beuys reloaded (II): Jeder Mensch ein Künstler?
Joseph Beuys reloaded (III): Der Lehrer
Joseph Beuys reloaded (IV): Der Zeichner
Joseph Beuys reloaded (V): Beuys für Sammler
Joseph Beuys reloaded (VI): Warum Beuys heute noch?
Intuition statt Kochbuch. Ein Editions-Gedicht
Homepage der Jubiläums-Kampagne Beuys2021
Vielen DANK für dieses interessante, auch geschichtlich zur Recherche anregende Interview, das nicht nur klar macht, wem die vielen inspirierenden Postkarten und erschwinglichen Poster von Beuys mit zu verdanken sind, sondern mir auch einen ersten Schüssel für die 15 Zinnplatten mit Basaltstele gibt, die im Museum Morsbroich in den letzten Monaten (bis August’21) zu sehen waren.
Falls Klaus Staeck darüber Auskunft geben mag und kann, freu ich mich, wenn Sie ihn bei Gelegenheit fragen, warum wohl im Rahmen der Halbzeit-Austellung zu 7000 Eichen (von 1984) 3×5 unterschiedlich bearbeitete Zinkplatten gehören? 5 haben eine gekringelte “Antenne”(?), die Basaltstele hat die Kreisbohrung/Auge, wie sie in “Das Ende des 20.Jahrhunderts” vorkommen. Nach dem Interview vermute ich zur Dokumentation der Querfinanzierung. Wurde von diesen Zinkplatten je Abdrucke gemacht, um 7000 Eichen zu finanzieren? Liebe Grüße aus Aachen (was die Löwen wohl im Depot mit dem schief hängenden Bild machen?)
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Antwort KunstArztPraxis: 1000 Dank, wir freuen uns. Und fragen ihn.
P.S.: Tolle Ausstellung, die Halbzeit-Ausstellung!