Quasi Not-OP: Andreas Schmitten in Wuppertal
Bekannt wurde Andreas Schmitten durch Modellbau-Kunst, die vor Jahren auch schon mal im Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen war. Momentan stehen dort neue Arbeiten des Bildhauers, die wegen Corona ganz anders sind. Und je nach Raum verschiedene Wesenszüge offenbaren.
Bei der Ausstellung von Andreas Schmitten in Tony Craggs Skulpturenpark in Wuppertal sind wir etwas auf den letzten Drücker, Entschuldigung! Aber das hängt in erster Linie mit der Berliner König Galerie zusammen, die den Künstler vertritt.
Von der wollten wir unbedingt ein Foto von Schmittens Ausstellung „Sesshaft“ (2021) in der wundervoll brutalistischen Kirche St. Agnes haben, die die Galerie bespielt. Da waren nämlich jene Skulpturen des Bildhauers schon mal ausgestellt, die nun in der Oberen Ausstellungshalle des Skulpturenparks Waldfrieden zu sehen sind. Beziehungsweise (in einem Fall) davor.
Wir wollten zeigen, wie imponierend unterschiedlich diese Werke in verschiedenen Umgebungen – und mit unterschiedlichen Sockeln – wirken können. Auch das ist in unseren Augen beizeiten ein Kriterium für gute Kunst.
Auf den Tag genau ein halbes Jahr sind wir diesem Foto hinterhergejagt, wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben. Jetzt ist es da, und das war allerhöchste Zeit. Schließlich geht Schmittens Wuppertaler Ausstellung, die wir hiermit unumwunden empfehlen wollen, nur noch bis Neujahr.
Uns bleibt deshalb nur noch eine schnelle Analyse, diagnostisch quasi Not-OP. Und die führt mitten hinein ins helle Herz der Pandemie
Hygiene und Distanz
Schmittens neue, im Vergleich zu früheren Arbeiten aalglatte Werke entstanden nämlich zwischen 2019 und 2021, also in Zeiten des Lockdowns, der Corona-Regeln und der ebenso depressionsfördernden wie demokratiegefährdenen sozialen Zerrüttung.
Die mit Schalen verwachsenen Hände, die in Beine mündenden Wannen und die wie Mundduschen-Brunnen aus der Zahnarztpraxis geweiteten Münder: All diese hybriden Torsi kommen aus einer Zeit, in der die permanente Reinigung des abgeschotteten Individuums zum kollektiven Ritual mutierte und wärmende Nähe aus menschlichem Miteinander herausgesaugt wurde wie strudelndes Waschwasser durchs Ablaufloch aus einer Badewanne.
Auf all das spielen Schmittens neue Skulpturen an. Und das Ablaufloch ist sogar tatsächlich vorhanden: bezeichnenderweise bei einer Arbeit mit dem Titel „Geburt“ (2021).
Das alles wirkt auf merkwürdig hippe Weise clean und bis hin zum Sakralen überhöht durchgestylt. Es ist auf eine sehr fremde Art antiseptisch, steril und kalt – und doch wieder unheimlich vertraut. Wir kennen keinen Fall, in dem Kunst jenen emotionalen Zustand sozialer Isolierung und körperlich übersteigerter Hygiene, in den das Virus uns gebracht hat, besser bespiegelt.
Der erdenschwere Bronzekern
Der Assoziationsraum, den Schmitten in Wuppertal eröffnet, ist jedenfalls groß. Dazu passt, dass sich das Material dieser Werkgruppe nicht wirklich fassen lässt.
Denn das, was hohl und leicht daherkommt wie Keramik, trägt in Wirklichkeit einen erdenschweren Bronzekern. Und die aalige Glätte, diese seltsame Leere, die die hybriden Körper ausstrahlen, verdankt sich einer speziellen, weiß glänzenden Lackbeschichtung.
Zwei Hälften einer Sache
In den schlanken, hohen, fast fensterlosen Räumen von Königs Berliner Kirche strahlten Schmittens Aliens letztes Jahr eher etwas Unnahbar-Sakrales aus, korrespondierten in ihrer Fremdheit ideal mit dem Brutalismus und der Hermetik dieser (natürlich entweihten) heiligen Hallen. Aber sie waren durch ihre Sockel-Sandwich-Installationen – Duschköpfe? Sonnenbänke? Baldachine? Heiligenscheine? – auch humorvoller drapiert.
In Tony Craggs lichtem, gefühlt wandlosem Glashaus im Skulpturenpark Waldfrieden demonstrieren die hybriden Wesen auf ihren nunmehr schnörkellos eleganten Stahlsockeln hingegen ihre strahlend-distanzierte Schönheit, ihre vom Betrachter auszudeutende Offenheit – und ihre Nähe zur mit banalen Alltagsdingen aus dem Sanitärfachgeschäft verknüpften Pandemie. Das betont eine andere, ebenso wichtige Eigenschaft.
Wir sind sehr froh, dies auf den letzten Drücker doch noch zeigen zu können. Und zwar nicht nur mit einem Foto, sondern – tataaaa! – sogar mit zweien. Danke, König Galerie! Und voilà:
(12.12.2022)
„Andreas Schmitten – Skulpturen“ ist nur noch bis zum 1. Januar 2023 im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal zu sehen. Also husch husch! Schnell noch hingehen!
Der Skulpturenpark Waldfrieden in der KunstArztPraxis:
Leunora Salihu: Empathie für Keramik
Reine Bildgebung (1): Joseph Beuys in Wuppertal (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Homepage des Skulpturenparks Waldfrieden
Homepage der König Galerie
Kommentare
Quasi Not-OP: Andreas Schmitten in Wuppertal — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>