Fettleibige Sportwagen, alkoholische Skulpturen – und ein Strickpulli von 90 Metern Länge: In Duisburg zeigt der österreichische Kunst-Star Erwin Wurm, wie philosophisch sein komisches Werk sein kann. Wenn man sich darauf einlässt.

Erwin Wurm, MKM Museum Küppersmühle, Duisburg 2017
Erwin Wurm im MKM Museum Küppersmühle, Duisburg 2017

Hinweis: Dieser Beitrag enthielt viele schöne Fotos von der Schau. Sie alle wurden leider Opfer der gefräßigen Unsichtbarkeits-Maschine. Tut uns leid.

“Es geht um die Schwierigkeit, das Leben zu meistern”, sagt Erwin Wurm über seine Kunst. “Egal ob mit einer Diät oder mit einer Philosophie.” Er selbst geht mit räumlicher Ausdehnung im MKM Museum Küppersmühle und im Lehmbruck-Museum einen dritten Weg, der selbst die Fläche mit einbezieht. Im Hintergrund: Strickpulloverbild “Mentales Rot” (2007).

Rund 250 Skulpturen, Fotografien, Tapeten, Strickobjekte und Videos haben die beiden Museen in Duisburg versammelt. Werke, die mitunter überaus raumgreifend sind. Im MKM zum Beispiel hat Wurm 90 Meter Wand mit leuchtend grünem Strickstoff überspannt. 400 Quadratmeter Pullover, gestrickt in Bangkok auf riesigen Maschinen: “Man muss sich ja etwas einfallen lassen, um den Raum zu meistern.”

Die soziale Qualität eines Pullovers

Bei den Strickskulpturen offenbart sich Wurms bildhauerisches Interesse an Oberflächen, aber auch an sozialen Aspekten: “Der Pullover hüllt uns ein, wärmt und schützt uns. Er hat soziale Qualität.” Bei Wurm schlägt dieses Rettende aber immer auch ins Bedrohliche, Lächerliche um. Wie bei seinen “Kastenmännern” (2008/2009), bei denen das Textile den Schrank verkleidet.

Deshalb stimmt es auch nicht wirklich, wenn die Macher der Schau unisono verkünden, Wurm erschaffe eine “fantastische Welt, eine mögliche, andere Welt”. Der Künstler hält uns vielmehr den Spiegel vor und zeigt uns in der Reflexion die ganze aufgeblähte Absurdität unserer Existenz (und seiner eigenen).

Bildhauer oder Fotokünstler?

Bei Wurm geht es nicht um Fantastik, sondern um die Abgründe unserer Realität. Dafür krempelt der Künstler auch schon mal das Innere nach Außen und lässt uns in die Abgründe von T-Shirt-Ärmeln oder Unterhosenbeinen blicken. Diese umgestülpte Hose ist in einer Art Mülltrennungscontainer montiert.

Überhaupt kann man lange Unterhosen ja auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen tragen – diese Fotoreihe macht es vor. Heute will Wurm auf solche Arbeiten eher verzichten. “Da wird man dann gleich als Fotokünstler abgestempelt und von einem Kunstmarkt falsch vereinnahmt. Ich bin aber Bildhauer.”

Gähnende Leere drinnen

Im Grunde bläht Wurm die wärmende und schützende Hülle unserer Körper und der uns vertrauten Gegenstände auf und zeigt sie – ganz bildhauerisch – als Torsi. Aber eben nicht nackt und schön, wie noch in der Antike, sondern albern mit den Massenprodukten eines globalisierten Weltmarkts angezogen. Das hat durchaus auch eine ökonomisch-kritische Komponente.

Wie bei Samuel Beckett herrscht drinnen gähnende Leere. Oder die Wiederkehr des – leicht variierten – immer Gleichen. Es ist wie bei Walter Benjamins berühmtem Gleichnis von der eingerollten Socke, die das Ineinandergreifen von Form und Inhalt illustrieren soll: Auch bei Wurms Skulpturen lässt sich das nicht trennen. Wenn man versucht, ihren Kern und ihre Botschaft zu entschlüsseln stößt man – auf nichts.

Für eine Minute Skulptur sein

Der Vergleich mit den Literaten und Philosophen ist so abwegig nicht. Auch wenn Wurm bei seinen Vorbildern auf Beuys und Warhol verweist, geht es ihm doch selbst im Profansten auch um Ästhetik und Erkenntnis. Von daher wird es Wurm gefallen, seine Werke am ehemaligen Standort der Duisburger Uni – das MKM Küppersmühle liegt auf dem Philosophenweg – auszustellen.

Dem entsprechend liegen im MKM auch kluge Bücher aus, mit denen man sich zu einer von Wurms berühmten “One-Minute-Sculptures” machen kann: Einfach die Bücher zwischen Rumpf, Arme und Beine klemmen – fertig. Seit 20 Jahren feilt Wurm an dem Konzept, bei dem Besucher Bestandteil einer seiner Skulpturen werden können.

Es bleiben Wurms Skulpturen

Wie die Duisburger “One-Minute-Sculptures” zu funktionieren haben, hat Wurm noch kurz vor Ausstellungseröffnung nach Vorlagenfotos vom Smartphone beinahe tänzelnd aufgezeichnet (hier für “Leibesübung für Sigmund Freud”, 2005). Das hat bei allem Humor überhaupt nichts mit Klamauk zu tun. Die “One-Minute-Sculptures” sind als Umsetzung einer künstlerischen Idee für Wurm eine ernste Angelegenheit.

Damit sind sie auch grundsätzlich von Beuys’ Idee einer “sozialen Skulptur” verschieden. Bei Wurm ist nicht jeder Mensch ein Künstler, sondern ausführendes Organ, profane Realisierung der platonischen Idee eines imaginären Werks. “Man hat bei mir nicht die Freiheit, etwas eigenes zu machen”, sagt Wurm. “Das kann man, aber dann ist es nicht mehr meine Skulptur.”

Zunehmen – abnehmen – zunehmen

Auch in den “One-Minute-Sculptures” offenbart sich das, was Wurm als Verfahren einer Entgrenzung in Form von Miniaturisierung, Abstrahierung oder Ausdehnung seit seinen künstlerischen Anfängen perfektioniert hat. “Volumen wegnehmen oder Volumen zufügen”, wie er es nennt: “Nichts anderes macht der Bildhauer bei der Verfertigung seiner Werke.” Hier kann man Volumen hinzufügen, indem man sich die Stühle zwischen die Beine klemmt.

“Wir selbst sind lebende Skulpturen, weil wir abnehmen und zunehmen”, sagt Wurm. Oder anschwellen und abschwellen, möchte man mit Blick auf diese eindeutig nicht mit dem Kopf denkende Plastik ergänzen. Die obszöne Assoziation zum Strickbild im MKM Küppersmühle vis-a-vis liegt natürlich einzig im Auge des Betrachters.

An der Welt verschluckt?

Wer mit dieser Idee der “Volumensänderung” als Grundidee des Bildhauers ins Lehmbruck-Museum weiterwandert, wird von Wurms “Fat Car” (2005) empfangen, der beide Aspekte des Werks – Ästhetik und Erkenntnis – wundervoll umsetzt. Wie im Schaufenster-Showroom eines Autohauses ausgestellt, hat das kapitalistische Statussymbol jeglichen auf Speed basierenden Kaufanreiz verloren. Und ist reine Skulptur.

Gleiches gilt für den wundervoll ironischen “Artist Who Swallowed the World” von 2006, der die assoziative Schwebe Wurms nicht zuletzt auch zwischen Humor und Ernst illustriert. Hat sich der Künstler an der verschluckten Welt überfressen? Oder hebt er gar, mit der Erde als Ballon im Bauch, gleich ab?

Global ausstellen

Momentan ist die Skulptur irgendwie auch Sinnbild für Wurm selbst. Mit Ausstellungen auf der Biennale in Venedig, in Graz, New York und Wien hat er sich irgendwie auch global ausgedehnt. “Für mich ist das eine einzige große Ausstellung, die nach verschiedenen Aspekten gegliedert ist”, sagt Wurm. Was für das MKM als ein Aspekt die “One-Minute-Sculptures” sind, sind für das Lehmbruck-Museum die “Drinking Sculptures”. Hier sitzt Wurm in einer.

Mit den “Drinking Sculptures” fordert Wurm den Besucher ganz unmuseal durch exzessiven Alkoholkonsum zur – auch rauschhaften – Selbstentgrenzung auf. Wie bei den von Nietzsche beschriebenen dionysischen Räuschen der alten Griechen soll er – sich bewusstseinserweiternd – Teil des künstlerischen Ganzen werden und mit der Museumsmöblierung verschmelzen.

Österreich ist ein Steinbruch

Auf andere Weise hintergründig ist der Werkkomplex “Land der Berge” (2017), der im Lehmbruck-Museum zum ersten Mal zu sehen ist. Auf einer Fläche von 400 Quadratmetern ruhen hier 55 kleine, dunkel patinierte Bronzeskulpturen, mit denen dich Wurm mit seiner Heimat auseinandersetzt. “Österreich ist für mich immer noch ein guter Steinbruch”, sagt der Bildhauer.

Die zuvor grob in Ton vorgekneteten Skulpturen von “Land der Berge” hat Wurm mit Müll erweitert, den er zuhause gefunden hat. Und mit dem er auch Österreich kritisch reflektiert. Nicht von ungefähr verweist Wurm auf die “Piefke-Saga” (1990-1993) des Dramatikers Felix Mitterer, in deren Verlauf sich die Berglandschaft der Alpen als riesige, von idyllischer Natur überdeckte Mülldeponie entpuppt.

Kaffeesatz und Doppelbödigkeit

Die ganze Doppelbödigkeit dieser Auseinandersetzung wird auch in der neukonzipierten Grafikserie “Vaterland” (2017) deutlich, die Wurm mit Kaffee auf Büttenpapier geschaffen hat. Ein Hinweis auf die integrative österreichische Kaffeehauskultur? Oder auf den braunen Sumpf des Nationalsozialismus? Alles wieder gekleidet in höchst sinnliche Formen.

Wo der Skulpturbegriff bei “Vaterland” völlig verwischt, löst er sich auch bei den “Word Sculptures” (2013) im Lehmbruck-Museum völlig auf. Hier entsteht das Skulpturale vielleicht noch dadurch, dass sich die Stimmen von drei im Raum verteilten Akteuren im Museum ausbreiten, um es mit gesprochenen Banalitäten in Besitz zu nehmen. Nach allem, was man über Wurms Kunst in beiden Ausstellungen gelernt hat, passt das gut ins Bild.

“Erwin Wurm” ist bis zum 3. September 2017 im MKM Museum Küppersmühle und bis zum 29. Oktober 2017 im Lehmbruck-Museum Duisburg zu sehen. (06.07.2017)


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