33 Malantworten: Rolf Rose in der Villa Zanders
In den vielen Jahren unserer KunstArztPraxis sind uns schon viele Künstler über den Weg gelaufen, aber so unprätentiös wie Rolf Rose war noch keiner. Diese persönliche Erdung gibt dem Rätsel seiner abstrakten Bilder, wie wir glauben, guten Grund. Und die & das in Bergisch Gladbach zu sehen war & ist famos.
Es ist Anfang November. Wir sitzen am Tisch der Pressekonferenz zur Ausstellung „Malen sehen“, die das Kunstmuseum Villa Zanders Rolf Rose zu seinem 90. Geburtstag in Bergisch Gladbach ausgerichtet hat.
Die Journalisten stellen Journalistenfragen – und Rolf Rose gibt erstaunliche, da gänzlich unheroische, pragmatisch-handwerkliche, erst auf den zweiten Blick tief malerische Malerantworten.
Anders wäre es ja schlecht!
Warum er teils auf dem Boden male, will Einer wissen. Damit die Farbe nicht unkontrolliert nach unten fließen kann! Warum er manche Werke aber dann doch an der Wand fertigstelle? Weil das für Striche von oben nach unten – vor allem im Alter – einfacher ist! Warum seine größten Bilder nicht noch größer seien? Na, weil sie doch noch durch die Türen seiner Mühle passen müssen!
Denn: „Anders wäre es ja schlecht.“
Warum dieses eine Bild ausnahmsweise Weiß statt Schwarz sei? „Weil ich auch mal anders als Schwarz malen wollte.“ Und warum er irgendwann von seinen grauen Bildern Abstand genommen habe?
„Weil mir das irgendwann einfach zu langweilig geworden ist.“
Markus Lüppertz tritt als Statement
Immer wieder klopft Rose gegen die Leinwand, reibt an den Oberflächen, als wir später durch die Räume gehen. Einmal kippelt er beim Reden so gedankenverloren mit einer Skulptur auf ihrem Sockel herum, dass wir befürchten, er könne sie fallenlassen.
Und einmal schnappt er sich einen Bleistift, um die Oberfläche eines dunklen Gemäldes auszubessern. Da sind die Journalisten schon gegangen.
Wir haben bei einer privaten Fotosession auch schon Markus Lüpertz gegen die Sockel seiner Skulpturen treten sehen. Aber das war die Geste eines Künstlers, der signalisieren wollte, dass er es nicht mehr nötig hat. Dass der Herr das darf.
Jeder Tritt war eine Botschaft an uns, seine Betrachter, ein betont ruppiges Schrauben am autonomen Genialen.
Bei Rose ist das anders. Dies hier ist ungestellt, ist echt & unbefangen, kein protzendes Understatement. So klopft einer, der seine Bilder prüfen will, weil er ihre Wirkung unentwegt neu auf die Probe stellt.
Einer, der mit seinen Werken lebt, neue Werke aus dem ganzen Bestand an alten schöpft, die ihn gedanklich unentwegt umgeben. Zumindest empfanden wir das so.
Und so antwortet in unseren Augen einer, der davon ausgeht, dass Jeder das Offensichtliche, Unerklärliche im Ergebnis doch erkennen können müsse, nachdem das für ihn Eigentliche – das Malen – schon vollbracht worden sei.
Dass Jeder sähe, dass das da eben kein schwarzes und kein weißes Bild ist, dass es in den verdichteten Schichten funkelt. Dass da im assoziativ Pastosen eine Ordnung herrscht, die die ungestüme Farbe bändigt.
Dass jedes Bild sein Format im Nachhinein mit eingefordert hat. Und nur in dieser Größe funktioniert.
Wer sehen kann gewinnt
Hinter Roses doppelbödigem Pragmatismus steht eine Bescheidenheit, die das abstrakte Bild ins Zentrum stellt – ein Bild, das nichts mehr abbilden will, sondern seine eigene Wirklichkeit da draußen in der Welt behaupten muss. Die eigentlichen, expressiven Malantworten Roses sind seine Gemälde auf Leinwand, Holz und Aluminium, aber auch seine Aquarelle auf Papier.
Und deren Betrachtung macht viele Fragen tatsächlich überflüssig.
Dieser äußerlichen Schlichtheit entsprechend verzeichnet Roses Biografie im Katalog zu „Malen sehen“ nur drei Daten: das Geburtsjahr (1933), den Umzug nach Hamburg (1953) und den Umzug ins benachbarte Krempe (1980). Hier wohnt der Maler, der nie eine Akademie besucht hat, seit nunmehr fast der Hälfte seines Lebens in besagter Mühle.
Diesen Eintrag hätten wir uns noch gewünscht
Der knappe Lebenslauf ist konsequent, er passt zur unprätentiösen Stringenz von Werk und Persönlichkeit. Aber es fehlt doch ein Eintrag, den wir uns gewünscht hätten: nämlich das Jahr, in dem Rose das Graphit entdeckt hat.
Damals sei er in die Drogerie gegangen, um Pigmente zu kaufen, sagt Rose. „Das war so eine altmodische Drogerie, mit Schubfächern. Und in einem war Graphit. Das nutzten die Anstreicher damals, um ihrer Wandfarbe mehr Tiefe zu geben.“
Er habe dann einfach etwas davon aus Neugierde mitgenommen. Und mit einem Plan: „Ich wollte meine Bilder zum Glimmen bringen. Danach habe ich jahrelang mit Graphit gearbeitet. Mein ganzes Atelier war schwarz.“
Malen als Herausforderung
Wir mögen diese unscheinbare Anekdote sehr. In ihr ist so ziemlich alles enthalten, was uns an Rose bei unserer Begegnung und auf den Bildern in Bergisch Gladbach aufgefallen ist: ein Verständnis von Malerei als eine ganz spezielle Form von Handwerk zum Beispiel, der Hang zum Experiment, der Sinn für den beglückenden Zufall als Berater. Das Denken in Farben, nein: von der Farbe her.
Und, formal: ein untrügliches Gespür dafür, dass sich in ihrer Schichtung und Strukturierung tiefer Raum erzeugen lässt.
Und dann das Glimmen!
Und dann das Glimmen. Wenn man das Wort etwas weiter fasst, ist es auf allen Bildern Roses da, je nachdem, ob & wie das Licht in sie hineinfällt. Mal ist es nur ein blitzender Aufschein, mal ein Changieren, mal ein Wogen wie am Meer, oder ein Rascheln wie von Blättern.
Aber es bleibt ein Glimmen – selbst da, wo gar kein Graphit im Spiel gewesen ist. Explodieren tut auf Roses Bildern nichts. Es ist viel Ordnung da. Struktur. Über die Zeit hinweg.
Dass die Bilder in Bergisch Gladbach nicht chronologisch hängen, hilft bei dieser Erkenntnis ungemein.
Vielleicht müssen wir es noch einmal sagen, weil wir so flapsig angefangen haben: Die Malerei Rolf Roses ist eine ernste, existenziell bedeutende Sache! Man spürt, dass Rose mit dem ungezähmten Spiel der Pigmente gekämpft hat wie ein Dompteur.
Oder wie ein Besessener, der seine Gespenster fesseln muss. „Gespenster“, das ist das Wort, dass Rose selbst gern für seine Bilder benutzt.
Auf jeden Fall hat da Jemand mit künstlerischer Klugheit im Chaos der Farben etwas malerisch Wesentliches, und trotzdem Rätselhaftes fixiert. Und wir sind einmal mehr erstaunt, was reine Malerei vermag.
DAFÜR ist Roses Erdung wichtig!
„Ich versuche, immer an der Sache dranzubleiben, nicht zu irre zu werden“, sagt Rose. Man müsse sich vom Prozess leiten lassen, bis man sich selber findet. DAFÜR ist Roses Erdung wichtig. DARUM darf nichts unkontrolliert fließen. Und DESHALB ist unentwegte Neugierde zentral und Langeweile unbedingt auszuschließen. Oder, wieder mal nur vordergründig simpel: „Ich experimentiere einfach. Das ist keine Dummheit, sondern Malerei.“
Wer die Gemälde in der Villa Zanders anschaut, diese 33 Malantworten, der kann erahnen, was Rolf Rose meint.
Denn es ist ja so: Wenn Rose eine Rakel oder einen Zahnspachtel für Teppichbodenkleber nutzt, um scheibenwischerhaft pastose Halbmonde auf die Leinwand zu ziehen, dann überträgt er seine eigene körperliche Bewegung sichtbar in die bewegte Körperlichkeit des Bildes. Das kann gelingen oder scheitern, aber wenn es gelingt, dann kann man das Gelingen auch als Betrachter sehen.
Und wenn er Schwarz und Blau und Rot aufträgt, dann ist es fürs Betrachten von großem Vorteil, dass der Künstler bereit war, sich vom eigenen Malen verwundern zu lassen.
Wie wirkt Baupappe?
„Das Schwarz saugt das Blau, das ist interessant“, sagt Rose beim Rundgang durch die Ausstellung. Oder: „Die rote Linie bewegt, das ist ein toller Effekt.“ Im Acryl tanzen die Pigmente anders als in Lack oder Öl. Und den Maler scheint das immer noch zu freuen. Die Überraschung ist auch nach Jahren offensichtlich geblieben.
Und auf Baupappe wirkt ein Netz aus unzähligen mit dem Lineal gezogenen Graphitstrichen vielleicht ja auf erstaunliche Art und Weise frischer als auf Hahnemühle-Papier? Rolf Rose hat es ausprobiert. Und uns kam es in der Anschauung auch so vor.
Und dann gibt es noch die neuen Arbeiten, die der Farbe mehr Freiheit lassen, die positiver sind, vielleicht aber auch ein bisschen weniger rätselhaft. Und gefallen die älteren, hinterfragenden Gemälde besser, aber man spürt trotzdem, dass sich in den neuen etwas aus dem ganzen Volumen des Vorangegangenen zusammengezogen hat.
„Das hätte ich früher nicht gewagt“, sagt Rose. „Ich hätte das für verrückt gehalten“. Und dann, wieder mit Augenzwinkern: „Es ist schon vorteilhaft, wenn man älter und schlauer wird.“
Vielleicht müssen wir einfach auch noch etwas altersschlauer werden. (26.11.2023)
„Rolf Rose. Malen sehen“ ist noch bis zum 3. März 2024 im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach zu sehen. Und einen über weite Strecken tollen Katalog gibt es auch. Oder, mit den Worten Rolf Roses: „So einen dicken Katalog hatte ich noch nie.“
Anmerkung: Wir möchten nicht ausschließen, dass wir Herrn Lüpertz unrecht tun.
Das Kunstmuseum Villa Zanders in der KunstArztPraxis:
Mechtild Frisch: Aufschein im Verschwinden (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Katharina Hinsberg: Making-of “Linie im Raum” (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Reine Bildgebung (8): “Still Lines” in der Villa Zanders (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Schönheits-OPs (3): Kunstmuseum Villa Zanders
Intuition statt Kochbuch. Ein Editionsgedicht
“Bibliomania” in Bergisch Gladbach: Buch als Körper (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Hede Bühl: Mit Strichen modellieren (leider Opfer der Unsichtbarkeits-Maschine)
Bitte nehmen Sie mich bei etwa weiteren Ausstellungsberichten doch in Ihren Adressenpool auf. Ich bekam Ihren Beitrag zu Rose heute zugespielt und las aufmerksam Ihren sorgfältigen Bericht. Ich fand insbesondere die umfänglichen Zitate von Herrn Rose selbst wunderbar unverstellt, direkt aus dem Arbeitsgefühl heraus formuliert. Besten Dank!
Das nenne ich mal eine Entdeckung. Habe zuvor nie etwas von Rose gehört oder gesehen. Muss die Arbeiten unbedingt im Original sehen, es ist sehr vielversprechend was die Bilder bereits auf dem Handy für eine Kraft entwickeln. Es gibt nur sehr wenige Abstrakte die mich unmittelbar emotional berühren, Rose könnte dazugehörigen. Sean Scully in Bonn hat mich umgehauen, Mark Rothko vor Jahren in Hamburg, manches von Imi Knöbel, und allen voran Joan Mitchell. Rolf Rose könnte in dieser Liga spielen. Ganz wunderbar wie er vom Handwerk her argumentiert. Gut dass er nicht Zahnarzt geworden ist. Danke für die Entdeckung. Ihr Blog, erst vor wenigen Wochen entdeckt, ist eine große Bereicherung für Kunstfreunde. Ihre Begeisterung und Leidenschaft teilt sich mir jedenfalls unmittelbar mit.
Antwort KunstArztPraxis: Wir bedanken uns sehr, auch für Ihre rege Kommentierung. Wir kennen Sie natürlich nicht, aber wir denken, genau für Leser und Schauer wie Sie unseren Blog zu machen. Herzlichen Dank also nochmal, Ihre KunstArztPraxis.
Antwort Ben Wilmes: Da haben sie völlig recht.
Übrigens: Ich bin Sauerländer 🙂
Antwort KunstArztPraxis: Aha! Es kann eben nicht nur einen geben! 😉
Großartig!
Und ein großartiger Maler.
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank! Und: Stimmt genau. Ihre KunstArztPraxis
Hallo, bescheidener Hinweis, weil ich erst enttäuscht war. Die Rose Ausstellung geht bis zum 3.3.2024 und ist noch eine Weile nicht vorbei.
Ich freue mich, dass ich die KunstArztPraxis entdeckt habe, so viele
Anregungen. Es gibt viel zu sehen in der Umgebung. ????
Antwort KunstArztPraxis: Ojemineh, da hatten wir uns doch glatt um ein Jahr vertippt. Herzlichen Dank für den Hinweis! Und: Danke für die Blumen! Ihre KunstArztPraxis