Kasper König: Porträt der Schenkung als ihr Schenker
Im Kölner Museum Ludwig sind gerade 50 Werke zu sehen, die sein ehemaliger Direktor Kasper König dem Haus geschenkt hat. Es sind imposante Sachen dabei, es ist eine äußerst originelle, sehr persönliche Schau. Und: Sie bestätigt den Eindruck, den wir vom Schenker selbst einmal in Münster gewinnen konnten.
Als wir Kasper König kennenlernten, trug er einen Bademantel und Filzpantoffeln. Wir sind uns nicht mehr sicher, aber wir glauben, dass der Bademantel braune und gelbe Streifen hatte. Die Filzpantoffeln waren rot. Der Bademantel war aus Frottee. Die Hosenträger fehlten.
2017 war das, kurz vor der Skulptur Projekte Münster, bei der König künstlerischer Leiter war. Die Ärzte hatten ihm Ruhe verordnet, ihr Patient war wohl in der Vorbereitung der Skulptur Projekte zu engagiert gewesen. Aber Kasper König wollte keine Ruhe. Sein Krankenhaus-Zimmer hatte er in einen Audienz-Raum verwandelt.
Er war souverän. Er hatte strubbelige Haare. Er war lässig unrasiert. Äußerlichkeiten waren ihm sichtlich egal. Das war kein nobles Understatement: Ihm ging es nicht um sich, ihm ging es um die Kunst, war unser Eindruck. Die Qualität war das höchste Ziel.
Neugierig & offen & originell & schräg
Wir sprachen knapp zwei Stunden, er druckreif. Wir sprachen über die Neuausrichtung der Skulptur Projekte Münster 2017, auch über die turbulenten Anfänge in den Siebziger- und Achtzigerjahren: die Randale, die Ablehnung durch eine linksautonom-gutbürgerliche Anti-KunstimöffentlichenRaum-Koalition, die geschlagene 20 Jahre brauchte, um die Bedeutung für Münster zu erkennen.
Wir haben selten einen kunstaffinen Menschen getroffen, der so authentisch wirkte, der so neugierig & offen & originell & schräg war wie er. Spaß und Ernst in Personalunion, etwas zwischen – Achtung, Wortspiel, wir können es uns nicht verkneifen: Kasper & König eben.
Und das meinen wir null despektierlich.
Leider die einzigen beiden historischen Schnipsel, den wir im KunstArztPraxis-Archiv noch finden konnten:
Kasper König war auch mal Direktor des Museum Ludwig. Jetzt hat er dem Haus einen Teil seiner privaten Kunstbestände vermacht.
Die 50 Werke, die zum Teil ihm selbst gewidmet sind, zeugen vom engem Kontakt des Schenkers zu Kunst & Künstler*innen; aber auch von der Spontaneität, mit der die Sammlung offenbar entstand.
Lustkäufe, Souvenirs, Jahresgaben und Geschenke
Es sind Lustkäufe, Souvenirs, Jahresgaben und Geschenke, die Kasper König nicht der großen Namen oder einer übergeordneten Sammlungsidee willen angehäuft hat, sondern vermutlich, ja: weil sie ihm schlicht & ergreifend ästhetisch & intellektuell gefallen haben.
Wir erwähnen das auch deshalb, weil wir einige Sammler*innen kennen, die stolz darauf sind, dass ihre unter einer übergeordneten Sammlungsidee entstandene aalglatte Sammlung voller großer Namen nicht mal an den Rändern unrasiert herumstrubbelt.
1.000 … miles to the edge – Schenkung Kasper König, Museum Ludwig, Köln 2024
Königs Konvolut aus Bildern, Skulpturen, Multiples und Objekten bestätigt den Eindruck, den wir vom Sammler in Münster gewonnen haben. Die Schenkung ist ein Spiegel, aus dem Kasper König auch zu uns herausschaut: Äußerlichkeiten sind ihr offensichtlich ebenso egal wie ihm.
Offenheit und Neugierde zeichnen sie aus. Qualität als Ziel. Das ist ihre INNERE Physiognomie.
Politisch durchaus aktuell
Da ist viel Konzeptionelles dabei, aber auch vieles sehr Witziges, Schräges & Originelles. Und auch Manches, das gerade in der Zusammenschau die politische Außenwelt humorvoll oder ernst kommentiert. Insofern also wieder äußerst aktuell.
Uns gefallen allerdings die Ansichtspostkarten von On Kawara am besten: weil sie Konzeptionelles, Witziges, Schräges & Originelles in sich vereinen – und weil wir On Kawara wegen seiner Zeitkapsel-Gemälde ohnehin seit zusammengerechnet 120 Jahren sehr verehren.
Der dauerreisende Künstler hat die rund 8.000 Postkarten aus seiner Serie „I Got Up“ zwischen 1968 und 1979 an verschiedenste Personen geschickt: unter anderem an Kasper König.
Überlebens-Flaschenposte ohne Flaschen
Auf der Vorderseite findet sich das Foto einer Sehenswürdigkeit jenes Ortes, an dem On Kawara gerade weilte, auf der Rückseite neben der Adresse Königs der gestempelte Satz „I GOT UP AT“ mit der minutengenauen Uhrzeit des Erwachens.
Das sind serielle Überlebens-Flaschenposte ohne Flaschen. Und mit der immergleichen Botschaft: I’m still alive. Im Museum Ludwig wird der Kartensatz zudem grandios beidseitig präsentiert. Tolltolltoll.
Man könnte sagen, dass “1.000 … miles to the edge…“ eine Ausstellung in Bademantel und Filzpantoffeln geworden ist, aber auch mit Hosenträgern. Lässig unrasiert. In ihrer Schrägheit bemerkenswert souverän. Und mit strubbeligen Haaren, nicht nur an den Rändern. Also irgendwie Kasper & König, Spaß & Ernst in Personalunion.
Eine Ausstellung wie Kasper König eben. Und sicher auch nach seinem Geschmack. (03.03.2024/10.08.2024)
„1.000 … miles to the edge – Schenkung Kasper König“ ist noch bis zum 17. März 2024 im Museum Ludwig in Köln zu sehen. Danach wandert die Schenkung erstmal ins Depot. Getreu dem Motto des Schenkenden: „Ein Museum ist ein Depot mit Schauräumen“.
Appendix: Die Gelbe Madonna und das Rote Meer
Als wir Kasper Königs Sätze zur Ablehnung der ersten beiden Skulptur Projekte Münsters durch die Münsteraner*innen aus dem KunstArztPraxis-Archiv zogen, kam uns plötzlich wieder in den Sinn, dass diese zweite Ausgabe Königs 1987 unsere erste war: Ein Teil von uns studierte damals bekanntlich in der westfälischen Domstadt, der Rest von uns besuchte ihn dort hin & wieder – und mit ihm gemeinsam die im urbanen Raum platzierten Werke.
In der Salzstraße, auf einer Achse zwischen Kaufhof und Dominikanerkirche, stand mitten in der Fußgängerzone Katharina Fritschs „Gelbe Madonna“ (1987), die quittengelbe Replik der Grotten-Madonna des Wallfahrtsörtchens Lourdes. Wegen ihrer unmittelbaren Evidenz war sie für uns eine echte Offenbarung. In dieser Umgebung leuchtete sie uns auf Anhieb unumwunden ein.
Für uns war die „Gelbe Madonna“ in ihrer monochromen Überhöhung ein unglaublich stimmiges Bild für die durch sie erst sichtbar gemachte Vor-Ort-Symbiose von Religion und Kommerz.
Fast täglich pilgerte Einer von uns an der „Gelben Madonna“ vorbei, denn im Devotionalien-Laden Kuhlmann vis-à-vis gab es wundervoll romantische Knisterkerzen – Studententage sind Niemandstage der Verliebtheit! – und im Traditions-Café Grotemeyer gab es den besten Apfelstrudel des Universums (mit Vanillesoße, reichte für zwei Verliebte zusammen).
Wir erinnern uns noch gut an die ungeheuerliche, fast schon übersinnliche Strahlkraft der Skulptur, die die heilige Aura des Originals selbst an den vielen trüben Münsteraner Regen-Tagen in die Farbsphären der Kunst überführte: eine Epiphanie wie die Erscheinung des Herrn, nur eben in weltlich.
Die Ironie an der Sache verstand nicht Jede*r.
Und so vollführte Fritschs „Gelbe Madonna“ während der Laufzeit der Skulptur Projekte Münster zwischen Konsumtempel und Klosterkirche 1987 tagtäglich aufs Neue vor unser aller Augen ein staunenswertes Wunder: Sie spaltete die ansonsten verschworene katholische Gemeinschaft der hiesigen Gläubigen in zwei Teile wie Mose im Pentateuch das Rote Meer.
Der rechte Teil entzündete bei Kuhlmann erstandene Ewige Lichter vor ihrer monochromen Gestalt, legte ihr beim Marktstand vorm Kaufhof gekaufte Blumen zu Füßen. Der linke Teil hätte die Muttergottes am liebsten ans Kreuz genagelt, derart blasphemisch sprang das quittengelbe Sakrileg ihm ins Auge.
Wir sahen sowohl ihre erste Duroplast-Fassung als auch den späteren, bekerzten und beblümten Steinguss zu Boden gestoßen und stigmatisiert, vulgo: beschädigt. Und einmal war Fritschs „Gelbe Madonna“ sogar verschwunden. Aber sie war nicht gen Himmel aufgestiegen wie ihr heiliges Vorbild, sondern unter Missachtung des weiland durch Mose nach der Meeresteilung bei der Erscheinung des Herrn im Pentateuch vom Berg geholten siebten Gebotes ganz profan geklaut.
Zwischen ketzerisch und heilig schwebte Fritschs „Gelbe Madonna“ trotz ihrer für uns ziemlich klaren frohen Botschaft unfassbar wie ein gutes Kunstwerk über den durch sie geteilten Wassern dieser frommen Friedensstadt. Und war für uns deshalb schon damals eine anbetungswürdige Ikone.
Wir Drei himmelten sie an.
Es ist schon wahr, was Kasper König sagt: Aus heutiger Sicht ist nur noch schwer nachzuvollziehen, was den erzkatholischen Teil der Münsteraner*innen damals auf die eine oder andere Weise derart in Wallung brachte. In den letzten Jahrzehnten ist die Welt ja immer säkularer und genusssüchtiger und viel weniger romantisch geworden, da vergisst man Vieles. Das gilt auch für Westfalen.
Vor ein paar Jahren beispielsweise waren wir nochmal in Münster bei Kuhlmann, um uns ein paar original „Münsteraner Knisterkerzen“ zu „holen“, wie man heutzutage sagt – natürlich nicht mehr aus Verliebtheit, sondern aus Nostalgie. Aber der Knisterkerzen-Zieher von damals hatte sein Knisterkerzen-Zieherwissen mit ins erzkatholische Grab genommen: Kein Lehrling wollte den Zauber erlernen. Inzwischen hat, wie man so hört, auch der Devotionalienladen neben der Dominikanerkirche schließen müssen. Der Name ist geblieben, aber Kuhlmann ist heute ein heidnisches Café.
Das mit dem Vandalismus allerdings gibt es immer noch, aber das konnte Kaspar König bei unserer ersten Begegnung noch nicht wissen: Zur fünften Skulptur Projekte Münster 2017 wurde der wundervolle Brunnen von Nicole Eisenman an der Promenade kurz nach unserem Gespräch im Krankenzimmer von blindwütigen Bilderstürmern teilzerstört.
Schön, dass man sich in diesen turbulenten Zeiten noch auf etwas verlassen kann.
Ach ja, auf noch etwas kann man sich verlassen: In Lourdes brummt der Devotionalien-Handel mit Kitsch-Repliken der von Katharina Fritsch für ihre Kunst-Replik ebenfalls genutzten Grotten-Madonna immer noch.
Diese Vor-Ort-Symbiose aus Religion und Kommerz funktioniert hier weiterhin – wenn auch nicht mehr ganz so brummend wie noch vor hundert Jahren.
Der Fotograf unter uns (also KunstArzt1) ist 2023 mal für zwei Stündlein hingefahren, das hat ihm gereicht. Aber er hat aus seinen beiden Stündlein ein, wie wir Anderen finden: mit allen Weihwassern gewaschenes Buch gemacht.
Und jetzt kommt das Beste: Hier gibt es das ganze Buch als pdf zum KOSTENLOSEN Download. Wir wollen ja aus Religion nicht Profit schlagen. Toll, oder?
Das Museum Ludwig in der KunstArztPraxis:
Aus dem Erzähl-Automaten: Francis Alÿs in Köln
Die Alchemist*in: Ursula im Museum Ludwig
Gerhard Richter Retro: “Neue Bilder” in Köln (2017)
Sommerloch-Porträts (2): Pierre Huyghes Hund
Die On-Kawara-Postkarten sind auch für mich das Highlight!
Vorgänger heutiger Statusmeldungen auf WhatsApp – mit ähnlicher Aussagekraft!
spitzen Fotos aus Lourdes!
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank! geben wir an unserer KunstArztFotografen weiter! 🙂
Großartige Fotos! Vielen Dank!
Antwort KunstArztPraxis: Das freut uns! Ohnehin: Gern geschehen. Lourdes hat es unserem Fotografen aber auch leicht gemacht.
da (kasper&könig) sprechen sie mir aber so
was von aus dem herzen, aber so was von!
herzlichen dank und ebensolche grüße
gerhard theewen
die gelbe Madonna ist der Hammer.
Antwort KunstArztPraxis: Ja, finden wir auch! Ihre KunstArztPraxis