Erste Hilfe: Darf die DB Kunst zerstören?
Zum Todestag von Joseph Beuys waren wir bei Peter Sevriens auf Hausbesuch, jetzt ereilt uns ein Hilferuf aus seinem Kunst-Bahnhof im Sauerland: Die Deutsche Bahn will, dass er einen von ihm in Kunst verwandelten Waggon hinterm Haus entfernt. Wir sind entsetzt. Und leisten zumindest Erste Hilfe.
Es geht um einen Güterwaggon, den der niederländische Künstler Peter Sevriens bearbeitet und mit seinen Sichtbarkeitsmaschinen in einen “Photo-Waggon” verwandelt hat.
35 Jahre lang stand er unbehelligt hinterm ehemaligen Bahnhof auf den stillgelegten Gleisen. Jetzt versperrt er angeblich “in der Sichtfläche des Schienenverkehrs” den Blick. Bisher war das nie ein Problem. Dabei wurde die unweit verlaufende Strecke in den Anfangsjahren noch mehrfach täglich von Schotterzügen befahren, sagt Sevriens. Später nur noch einmal im Monat. Und in den letzten zwei Jahren gar nicht mehr.
Aber vielleicht wird die Strecke ja inzwischen auch stündlich von hochmodernen Geisterzügen mit gespenstisch kleinen Lokführern frequentiert.
Das Bonner Eisenbahn-Bundesamt jedenfalls gibt dem Künstler nun ziemlich unverschämte 14 Tage, um sein Kunstwerk eigenhändig zu entfernen. Der Waggon wiegt Tonnen, für die “Entfernung” oder einen Umzug per Kran ist kein Geld vorhanden. Auch ist dem 80-jährigen Künstler weder körperlich noch seelisch zuzumuten, sein eigenes Kunstwerk zu zerstören. Unsere Meinung. Nicht die des Eisenbahn-Bundesamts.
Am 16. Februar endet die von der Deutschen Bahn gesetzte Frist. Wir sind entsetzt.
Im Sommer wollte Sevriens seinen Photo-Waggon, der in den 1990er Jahren schon auf den “Internationalen Fototagen Herten” sowie auf der Kölner “photokina” zu Gast war, restaurieren. Bei unserem ersten Besuch im Bahnhof vor ein paar Wochen wurden wir herzlich eingeladen, anschließend noch einmal zu einem holländischen Reiskuchen vorbeizukommen und das Ergebnis fotografisch in Augenschein zu nehmen. Deshalb hatten wir uns einen Blick in den Photo-Waggon extra aufgespart.
Auf Besuch & Bericht hatten wir uns schon sehr gefreut. Dass uns die Bahn dies jetzt vermasseln will, ist schon schlimm genug. Aber ihr Umgang mit Kunst ist (wieder einmal) objektiv gesehen ein Skandal.
Wir haben uns nämlich schon einmal über die Deutsche Bahn echauffieren müssen: Damals ging es darum, dass das Kunstmuseum Bonn im Hauptbahnhof nicht mit einem Motiv Maria Lassnigs für deren Ausstellung werben durfte. Aber hier geht es nicht um ein Plakat, sondern um ein echtes Kunstwerk, das aus für uns fadenscheinigen Gründen entfernt werden soll. Und das geht in unseren Augen noch mehr zu weit.
Juristisch mag die Bahn ja im Recht sein – das können wir aus der Ferne nicht beurteilen. Aber moralisch ist sie es in keinem Fall.
Denn der Güterwagon ist inzwischen ein Kulturgüterwagon geworden. Er gehört zu einem Ensemble, das als Gesamtkunstwerk erhalten werden muss. Wer es beschädigt, macht sich schuldig – vor allem, wenn er 35 Jahre lang offenbar gut damit leben konnte. Sevriens ist jetzt 80, der Bahnhof sein Vermächtnis. Dieses einmalige Lebenswerk verdient mit Sicherheit mehr Respekt als die nebulöse “Sichtfläche des Schienenverkehrs”.
Kunst ÖFFNET nämlich Blicke.
Wir haben schon in der letzten Woche ans zuständige Fachreferat sowie ans Eisenbahn-Bundesamt in Bonn geschrieben mit der dringenden Bitte, sich das mit der Zerstörung des Kunstwerks doch noch mal zu überlegen – und uns bis gestern das Ergebnis dieser Überlegungen mitzuteilen. Gehört haben wir bisher nichts: Offenbar hat die DB ihrerseits kein Problem damit, ihr gesetzte knappe Fristen verstreichen zu lassen. Trotzdem hoffen wir Sichtbarkeitsfanatiker von der KunstArztPraxis inständig, dass Irgendjemand im immobilen Bürokratenapparat die Notbremse zieht. Oder eben neue Weichen stellt.
Neue Weichen für den Schienenverkehr mit seinen aktualisierten Sichtflächen-Bedürfnissen wohlgemerkt! Denn unserer Meinung nach muss sich die Deutsche Bahn bewegen, nicht der Waggon. (07.02.2023)
KunstArztPraxis-Hausbesuch bei Peter Sevriens:
Joseph Beuys und die Sichtbarkeits-Maschinen
Typisch Beamtenmentalität.
Lasst doch Raum für Kreativität, für Freiheit, die niemandem Schaden zufügt und die Blicke weitet. Haben wir dringend nötig..