Hombroich-Woche in der KunstArztPraxis! Im Sommer feiern wir das schönste Out- und Indoor-Museum der Welt in drei Beiträgen und drei Fotostrecken. Starten wollen wir mit Erwin Heerichs einmaligen „begehbaren Skulpturen“. Und einer Grenz-Erfahrung, die Jede*r nur noch bis November machen kann.
Aber vorher kurz ein paar Hombroich Basics:
Auf der Suche nach einem Ort für seine Kunstsammlung stieß der Immobilienentwickler Karl-Heinrich Müller in den 1980er-Jahren auf den Landsitz einer Industriellenfamilie vor den Toren von Neuss, von dem ausgehend er in zäher Ringen gemeinsam mit den den Bildhauern Erwin Heerich & Anatol Herzfeld, dem Maler Gotthard Graubner sowie dem Landschaftsplaner Bernhard Korte in der umgebenden Landschaft bis zu seinem Tod 2007 ein Gesamtkunstwerk schuf: den von Feldern umgebenenKulturraum Hombroich, in dem sich Natur, Architektur und Kunst auf unvergleichliche Art & Weise begegnen.
Zentrum ist bis heute das Museum Insel Hombroich, das mit seiner renaturierten Landschaft an den Armen der Erft inmitten einer intensiv genutzten Landwirtschaftsfläche wirklich eine Art Eiland ist: aber als nachhaltiger Schutzraum für Kunst und Natur auch im metaphorischen Sinn. Zusätzlich gehören das stiftungseigene “Kirkeby-Feld” und die Raketenstation mit ihren Künstlerateliers zum Kulturraum – und im weiteren Sinn das Kunstmuseum der Langen Foundation. Direkt angrenzend hat zudem der Bildhauer Thomas Schütte 2016 seine Skulpturenhalle errichtet: eine weitere Bereicherung.
Rund 64 Hektar hat das Areal. Wer also nach Hombroich fährt, sollte viel Zeit mitbringen! Wir KunstÄrzte garantieren mit unseren guten Namen, dass es sich lohnt. Und zwar zu allen Jahreszeiten. Und immer wieder neu.
Auch wenn man Hombroich in seiner Gänze als utopischen Museumsbau oder Ganzheitlichkeits-Kunstwerk betrachten kann, so sind für uns doch schon seit Jahren die in die Landschaft gebetteten und teils mit Kunst & Kultur bestückten „begehbaren Skulpturen“ Erwin Heerichs der größte Kracher. Kleine Sensationen, die vielleicht nicht immer jene Würdigung erfahren, die sie verdienen. Deshalb soll sich im Folgenden alles um sie drehen.
Und um eine damit verbundene Grenz-Erfahrung, die Jede*r so nur noch bis November machen kann – natürlich nur, wenn Jede*r sich & seine Wahrnehmung entsprechend öffnet. Voilà:
Wir stehen im Zentrum des Labyrinths. Über uns erhebt sich ein grandioses Firmament aus Holz und Glas. Auf dem Weg hierher sind wir fast schneeblind geworden: Das flirrende Weiß der Wände hat uns beim Gehen komplett die Orientierung geraubt. Selbst die Leuchtschilder der Notausgänge geben keinen Halt: Hier im Zentrum weisen sie in alle vier Richtungen.
Wir haben in den Wänden noch Nägel gesehen
Bevor wir fast schneeblind wurden, haben wir in den Wänden noch Nägel gesehen. Vielleicht hätten wir hier einen Ariadnefaden anbringen sollen – so tief, wie sie teilweise hängen? Egal. Wir hatten ja eh keinen Ariadnefaden dabei.
Im Zentrum DIESES Labyrinths ist ohnehin kein Minotaurus vorhanden, es steht wie der Rest des Baus ganz leer: Wir müssen uns also nicht fürchten.
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Aber wir müssen uns doch wundern. Denn diese gleißende Raum- und Farbwirkung ist schlichtweg überwältigend. Man fühlt sich dank dieser durch Form & Farbe erzeugten Orientierungslosigkeit als Mensch geschrumpft und beseelt zugleich.
Vielleicht ist das ja genau jene doppelbödige Wirkung, die der Bildhauer Erwin Heerich von seinen Hombroicher Architekturen, die er als „begehbare Skulpturen“ verstanden wissen wollte, erwartet hat?
Nach über dreijähriger energetischer Sanierung ist Heerichs quadratisches „Labyinth“ mit seinem tollen Dach und den flirrend frisch geweißelten Wänden vor ein paar Wochen im Museum Insel Hombroich wieder eröffnet worden.
Vielleicht haben wir nie eine atemberaubendere Leere gesehen.
Bis November noch kann man den puren Raum dieses größten Gebäudes vor Ort auf sich wirken lassen, danach ziehen die Gemälde der bedeutenden Kunstsammlung von Karl-Heinrich Müller wieder ein, für die Heerich es geschaffen hat.
Bis dahin ist das Labyrinth selbst ein Bild
Bis dahin aber ist das Labyrinth selbst ein Bild, dass sich regelrecht in die Netzhaut brennt. Es ist eine echte Grenz-Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Gefühl und Ratio, lichter Unbestimmbarkeit und geometrischer Härte. Unfassbares Erlebnis von Volumen. Und in seiner kontemplativen Weiße der größtmögliche Kontrast zum vielgestaltigen Grün der Landschaft draußen, das uns nach schneeblinder Orientierungslosigkeit beim Austritt umso wuchtiger erfassen konnte.
So jedenfalls haben wir das bei unserem Besuch empfunden.
Die tief gehängten Nägel wurden übrigens noch zu Graubners Lebzeiten in die Wände geschlagen: Die Hängung, die im Herbst 2024 anhand dieser Nägel genauso wiederhergestellt werden soll, stammt noch von ihm.
Die Gemälde sind der Ariadnefaden!
Und: Für Heerich sollten die im Zentrum des „Labyrinths“ und seinen gleichmäßigen Kojen drumherum drapierten Gemälde an ihren Nägeln tatsächlich eine Art Ariadnefaden sein – so ganz getrügt hat uns unsere Vor-Ort-Empfindung damals also nicht. „Die Orientierung ergibt sich eher anhand der Exponate“, hat er einmal gesagt. „Wenn ich alle Objekte herausnähme, würden Sie es schwer haben, sich im Bau zurechtzufinden.“
Wir können nur empfehlen, noch diesen Sommer herzukommen und zu erfahren, wie recht Erwin Heerich mit seinen Worten hatte.
Insgesamt gibt es 15 „begehbare Skulpturen“ von Erwin Heerich in Hombroich. Elf davon stehen in der renaturierten Landschaft auf der eigentlichen „Museumsinsel“, vier auf der Raketenstation, die gemeinsam mit dem „Kirkeby-Feld“ ebenfalls zur Stiftung Insel Hombroich gehört.
Einige sind als plastisch gedachte Hülle voller Kunst & Kultur, andere dürfen aus sich heraus wirken. Sie erfüllen diesen Zweck als „zweckfreie Körper“ (Heerich) ganz wunderbar.
Im Folgenden stellen wir ein paar unserer begehbaren Lieblings-Skulpturen der Museumsinsel, die alle je nach Lichteinfall ganz unterschiedliche Stimmungen erzeugen, vor allem aber Horte der Ruhe sind, einmal vor.
Was gibt es noch zu sagen?
Naja: Es gibt zur Zeit eine tolle Ausstellung von Werken Gotthard Graubners in Gotthard Graubners ehemaligem Wohn- und Atelierhaus – noch so eine tolle „begehbare Skulptur“ von Erwin Heerich – und eine weitere Ausstellung zum Werk von Hildegard & Erwin Heerich im Siza-Pavillion auf der Raketenstation. Es gibt den (relativ) neuen Geschäftsführer Roland Nachtigäller, der frischen Wind bringt, und den relativ neuen Landschaftsgärtner des Geländes. Und es gibt im Rosa Haus im Alten Park eine der von uns ja so geschätzten, dem Publikum eigentlich verborgenen Wunderkammern.
Von all dem erzählen wir im Laufe unserer Hombroich-Woche in der KunstArztPraxis noch – versprochen! Heute sollte es ja vor allem um Erwin Heerichs vielleicht etwas unterschätze, auf jeden Fall aber wunderbare „begehbare Skulpturen“ gehen. Und, als Basis davon, um unsere Grenzerfahrung im leeren „Labyrinth“.
Aber wir zeigen trotzdem noch ein wenig von dem, was wir darüber hinaus noch so alles gesehen haben:
Ach ja: Am Ende unseres Aufenthalts in Hombroich sind wir zwecks neuerlicher Schneeblindheit noch einmal durch einen anderen Eingang ins ungreifbar weiße „Labyrinth“ zurückgegangen – und sind dort dann doch tatsächlich noch auf sogar zwei Minotauri gestoßen!
Der in unseren Augen Imposantere kauerte etwas verloren in einer Ecke unter dem lichten Glas-Holz-Dach im geweißelten Flimmern und war, wie auch der andere, aus Stein.
Dieser Minotaurus war ein die Welt in sich hineinsaugender Würfel, den offenbar schon viele Menschen vor uns gestreichelt hatten. Und seine Oberflächen-Patina atmete.
Auch diesen atmenden Würfel hat Erwin Heerich geschaffen, ganz klassisch: als nicht-begehbare, nur umrundbare, organisch-geometrische Skulptur. Masse, Material, Volumen. Der alte Schnack. Aber irgendwie schon mit dem Wunsch versehen, hinein zu schlüpfen.
Für uns ist der alte Schnack also auch ein Zeichen dafür, wie Heerich die klassische Bildhauerei mit seinen „begehbaren Skulpturen“ im Endeffekt „umgestülpt“ hat und uns in unserer Funktion als Menschen nun durch die Innenhaut spazieren lässt.
Für uns ist auch dieses Umgestülpte, das bei Heerich in unseren Augen zur Orientierungslosigkeit unbedingt dazugehört, eine zentrale Erkenntnis, um das Phänomen Hombroich besser zu verstehen. Denn irgendwie ist ja, bei Tageslicht betrachtet, auch ganz Hombroich eine große, bis ins Natürlichste geformte, begehbare Skulptur.
Ein Museums-Labyrinth. Verlaufen inklusive. (28.07.2024)
Das Museum Insel Hombroich ist von April bis September jeden Tag von 10 bis 19 Uhr und von Oktober bis März von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Aber wie schon gesagt: Wir empfehlen einen Besuch vor November. Wegen des leeren Labyrinths.
Anmerkung 1: Wir wissen, dass es keine zwei Minotauri, also von „Minotaurus“ keinen Plural geben kann. Geschenkt! Wir waren halt schneeblind & orientierungslos & bitten vielmals um Entschuldigung.
Anmerkung 2: Zur besseren Orientierung:
Aber wie schon gesagt: Wir haben uns trotz eines Plans mehrfach im Labyrinth verlaufen.
was für ein toller beitrag, was für ein toller blick! auf den rest der hombroich-woche freue ich mich schon! bert b