Schönes Scheitern: Wie & Warum wir Fotos machen
Wir haben anlässlich der Schau von Cornelius Völker im Kunstpalast neulich schon einmal von unserem Scheitern im Betrieb geschrieben, nun müssen wir nochmal vom Scheitern schreiben. Denn unsere Art, Kunst in Ausstellungen zu fotografieren, gefällt nicht Jedem. Eine Erklärung.
Es war einmal ein Museum, das mochten wir besonders gern. Es hatte tolle Ausstellungen, die ganze Crew war klasse. Wir wurden gern zum Fotografieren engagiert, und im Gegenzug engagierten wir uns gern zurück.
Als das Museum in Not geriet, rief uns der Direktor an, wir machten uns für die gute Sache stark. Wir bekamen als Erste Informationen, schrieben Texte, wurden Experten in der Causa, auch von Kolleg*innen angefragt. Wir knieten uns solange rein, bis die Not verging.
Und als eine Sammlungserbin an uns herantrat mit der Bitte, sie bei der Wahl eines Ausstellungsorts zu beraten, empfahlen wir ihr – weil es eben sehr gut passte – diesen.
Inzwischen war schon viel aus der Sammlung in besagtem Museum zu sehen.
Dann ging der Direktor, ein Teil der Crew ging auch. Ein neuer Chef* zog ein, der war ein wenig burschikoser. Kuratorisch sorgte er für eine frische Brise, aber uns wehte plötzlich ein anderer Wind entgegen.
*in der Folge nutzen wir das generische Maskulinum. Der neue Chef
könnte auch eine neue Chefin gewesen sein.
Denn der neue Chef brachte neben neuen Ideen auch eine Idee von Ausstellungsfotografie mit ins Haus, die wir offen gestanden ziemlich altbacken finden.
Ein neuer Ton von Herr und Knecht
Ausstellungsfotografie habe Eins zu Eins zu zeigen, was Besucher*innen sähen, lautete des neuen Chefs Divise. Er wolle deshalb Fotos “auf der Sichtachse des Publikums”.
Dafür, dass wir für unsere Fotos auch schon mal auf Leitern stiegen oder in die Hocke gingen, hatte er nur – ja, so müssen wir es sagen – Hohn und Spott.
Fortan hatte der neue Chef bei jeder Begegnung im Museum einen Witz für uns parat, der immer um eine Leiter oder eine Hocke kreiste. Mit einem Schlag war da ein Herr-Knecht-Getöne, das zwar der Wirklichkeit entsprach, uns bisher aus Museen aber unbekannt war.
Fotografieren wurde zum Spießrutenlauf, aber eben mit nur EINER Rute und EINEM Spieß. Dafür aber sogar vorgetragen vor teils amüsierten, teils irritierten Dritten.
Humor als Schwert des Damokles
Wir haben im Grunde nichts gegen Humor, der uns aufs Korn nimmt, so billig kann er gar nicht sein. Aber dieser Humor hier drohte uns während der Arbeit unentwegt mit Jobverlust, und das war selbst für gestandene KunstArztPraxis-Ärzte wie uns nur schwer erträglich.
Und tatsächlich blieben dann wirklich – aus “Budgetgründen”, wie man uns nach langem Schweigen endlich sagte – die Aufträge aus.
Ausbleibende Aufträge sind in unserem Metier normal und auch bei gern gehabten Museen in Ordnung. Gegen Budgetgründe ist nicht zu sagen. Indes: In diesem Fall sind wir in unserer Ehre tief & nachhaltig gekränkt.
Deshalb wollen wir dem neuen Museumschef hier einmal erläutern, warum wir auf Leitern steigen & in die Hocke gehen. Und überhaupt: Warum wir so fotografieren, wie wir es nun einmal tun.
Und zwar mit folgendem Brief:
Lieber neuer Herr Museumschef,
wir wissen natürlich nicht, wie sie Ausstellungen wahrnehmen, aber WIR bleiben in der Regel nicht stocksteif in den Türen stehen und blicken uns von links nach rechts im Raum um wie auf einem Foto. WIR durchmessen Räume, umrunden Skulpturen und pirschen uns, manchmal sogar vor- und rückwärtswippend, an Gemälde heran.
Man könnte auch sagen: Wir sehen Kunst nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Beinen – und beizeiten sogar mit den Hüften. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Unser Fotoapparat hat nämlich keine Beine. Er ist auch anatomisch hüftlos. Und dazu noch einäugig wie ein Zyklop.
Tatsächlich ist uns im Reich des starren Flachen keine Möglichkeit bekannt, die einfängt, wie Besucher*innen sehen, also adäquat räumlich, beweglich, dreidimensional.
Auf Sichtachse, aber nicht auf Augenhöhe
Natürlich kennen wir die Fotos, die so tun, als ob sie wie Besucher*innen sähen: Vielleicht meinen Sie ja die. Im Grunde sind diese Fotos sogar die Regel, in jeder Kunstzeitschrift gibt es Hunderte davon. Eigentlich ist die Wahrnehmung des gesamten Kunstbetriebs geprägt von ihnen.
Auf diesen Fotos sind die Kanten der Gemälde parallel zur Bildkante des Fotos akkurat gerade, die Räume “auf der Sichtachse des Publikums” perfekt austariert, die Tiefenschärfe bis in den letzten Winkel da. Menschen sieht man auf diesen Fotos selten, und wenn, dann höchstens als maßstabsgebende Staffage.
Wir finden das offen gestanden ziemlich öde. Auf sehr sterile Weise makellos. Und trotz der Sichtachse auch nicht auf Augenhöhe, weder mit den Besucher*innen, noch mit der Kunst.
Aber das ist natürlich Geschmackssache. Nur eines ist jenseits des Geschmacks die Wahrheit: Diese Fotos zeigen eben NICHT, was man in Ausstellungen sieht. Aus den oben angeführten Gründen.
Wir wollen es anders machen
Wir verzichten deshalb auf die Illusion zu zeigen, was “man” sieht. Wir zeigen lieber Menschen, die auf Werke blicken, die den Raum durchmessen oder die (von oben) in Vitrinen schauen. Im Grunde betrachten wir Betrachter*innen beim Betrachten – wobei diese Betrachter*innen selten Besucher*innen sind.
Auch diese Illusion von “Wahrheit” wollen wir so gut es geht umschiffen.
Foto: Der Raum gibt den Rahmen: Lena Henke im Museum Marta, Herford 2023
Man könnte auch sagen: Wir dokumentieren nicht. Wir inszenieren, und zwar mit den Möglichkeiten, die die Ausstellung, die beinlose Kamera – und beizeiten auch die digitale Dunkelkammer – uns bieten. Durchblicke spielen dabei eine zentrale Rolle, Spiegelungen. Unschärfe auch.
Und manchmal guckt die Kunst auf unseren Fotos sogar Betrachter*innen an statt umgekehrt.
Uns geht es um das gute Bild
Uns geht es nicht um das technisch perfekte, sondern um das in diesem Sinne gute Bild: Uns geht es um Details und Atmosphäre, unser eigenes Empfinden, um Impressionen, Intimität. Und, ja: auch ums zyklopische Erfassen des konkreten Raumes durch seine Übersetzung in 2D.
Ersteres (Detail) geht tatsächlich in der Hocke, letzteres (Raum) mit Leitern besonders gut.
Wir wollen kuratorische Ideen sichtbar machen, verborgene Symmetrien, versteckte Bezüge. Und manchmal wollen wir auch einfach nur ein Foto schießen, das spielerisch Lust macht auf das, was man dann nur vor Ort wirklich, also mit den Augen und den Füßen und der Hüfte sieht.
Ein anderer Weg
Für diese Wahrheit steigen wir auf Leitern. Für diese Erkenntnisse machen wir uns auch mal klein. Deshalb ist es öfters schräg auf unseren Fotos, und deshalb sind Bildteile unscharf und deshalb ist es manchmal viel zu dunkel – oder viel zu hell.
Uns ist klar, dass wir damit den Handwerksweg klassischer Ausstellungsfotografie verlassen. Wir sagen auch nicht, dass unser Weg der bessere ist. Es ist halt nur definitiv ein anderer.
Foto: Was sieht man von vorne? Neugierig machen mit Alicja Kwade im Lehmbruck Museum, Duisburg 2023
Im Idealfall kommt dabei ein Foto heraus, das zeigt, wie WIR ganz persönlich eine Ausstellung wahrgenommen haben. Ein solches Foto wäre dann eines auf echter Augenhöhe, auf Sichtachse mit uns als Publikum, also wirklich wahr. Aber eben auf eine andere als auf die (vermeintlich) authentische Manier.
Wir haben uns etwas dabei gedacht
Ob uns dieses wahre Bild gelingt, steht natürlich in den Sternen, liegt also im Auge des Betrachters. Aber den Versuch wollen wir uns halt nicht nehmen lassen. Und werden dafür auch weiterhin in Museen auf Leitern steigen oder in die Hocke gehen. Nur eben nicht mehr in Ihrem.
Wir haben uns nämlich etwas gedacht dabei. Und wir sind froh & dankbar für Jede*n, der sich darüber nicht lustig macht.
Köln, im Oktober 2023,
Ihre KunstArztPraxis
(22.10.2023)
Wie & Warum wir Fotos machen. Kleine Auswahl (2015-2020)
Anmerkung: Besagtes Museum macht immer noch tolle Ausstellungen, die Crew ist natürlich auch noch klasse. Das wollen wir schon noch mal unterstreichen. Auch wenn wir uns nicht mehr engagieren mögen.
Spontan hätte ich wegen des offenen Briefs gesagt: das kapieren *solche* Direktoren nie.
Und eigentlich müsstet ihr eure Philosophie gar nicht erklären, denn eure Bilder sprechen ganz wunderbar für sich: Sie erregen Aufmerksamkeit, sind Hingucker, machen neugierig, verschieben die Perspektiven im Kopf (und das soll ja Kunst auch), sie sind eine Wohltat im Social-Media-Kunst-PR-Einerlei. Sie kommunizieren mit der Kunst. Sie spiegeln alles, was ich selbst als Besucherin in einer Galerie, in einem Museum erleben möchte: diese Entdeckerfreude, die ungewöhnlichen Sichtweisen, das verspielte Klebenbleiben an einem Detail, das heimliche Beobachten von Beobachter*innen.
Macht weiter so. Ich wünsch euch Kundschaft, die das zu würdigen weiß.
Antwort KunstArztPraxis: Herzlichen Dank, liebes Atelier! Wir freuen uns, etwas errötend, sehr!!
Wider die immer gleichen und langweiligen Ausstellungsansichten! ✊
Liebe Kunstarztpraxis,
bessere Behandlung gibt’s nirgends! Weiter so.
Nach Eurer Erklärung finde ich Eure Fotos nochmal toller! 🙂 Herzliche Grüße aus Unna, Ellie Moser
Kann mich den anderen Kommentatoren nur anschließen. Geniale Fotos. Und Geniale Texte! 🙂
Liebe Kunstarztpraxis, bitte bleiben Sie sich treu. Ihre Photos sind genial!
Liebe Kunstarztpraxis, da hat sich der Museumsdirektor wohl selbst eine Grube gegraben. Ihr macht tolle Fotos! Macht bloß weiter so.
Bin erst neu bei Ihrer Kunstarztpraxis- gerade Ihre Fotos, die auch Menschen zeigen und damit einem die Möglichkeit geben, die Dimensionen der Arbeiten abzuschätzen, haben mich bewogen zu abonnieren! Bitte so weiter machen