Das ist der rote Faden. Sheila Hicks in Düsseldorf
In einer Doppelausstellung würdigt die Kunsthalle Düsseldorf gemeinsam mit dem Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop das wundervolle Textil-Werk der 90-jährigen US-Künstlerin Sheila Hicks. Wir waren nur in Düsseldorf, können aber trotzdem sagen, dass wir begeistert sind! Auch wegen den Häuten einer Freundin.
Wir haben eine Freundin, die hat Häute aus Wolle. Diese Freundin ist ein zauberhaftes Schalentier, ein wundervolles Chamäleon, das bei jedem Auftritt auf bestrickende Art & Weise die Farben und Texturen gewechselt hat.
Wir sehen sie viel zu selten, aber wenn wir sie sehen, dann kommt sie mit neuen, farblich harmonierenden wollenen Häuten um die Ecke. Das reicht schon, um uns zu umgarnen.
Bei dieser optischen Verheißung aus Pullovern, Jacken, Schals und Röcken schwingt die haptische Versuchung immer mit.
Wir müssen wohl nicht eigens erwähnen, dass wir insgeheim in diese zauberhafte Freundin verliebt sind. Mit jeder Faser, versteht sich! Und zwar wir alle Drei.
Zu Sheila Hicks hätten wir unsere zauberhafte Freundin jedenfalls liebend gerne mitgenommen, denn wir sind uns sicher: Wir hätten Sheila Hicks damit eine Riesenfreude gemacht.
Wir glauben nämlich, dass Sheila Hicks ihre Finger nicht von den Woll-Häuten unserer Freundin hätte lassen können. Sie ist nämlich forscher als wir.
Wir haben es ja selbst erlebt: So, wie uns Marina Abramović einmal über einen unserer Arme gestreichelt hat, so strich Sheila Hicks über jenen (eher öden) Strickpullover, den Einer von uns trug. Und nicht nur über unseren!
Woher das Muster, die Web-Art stamme, fragte sie dabei. Wir vermochten es ihr leider nicht zu sagen.
Später dann nahm Sheila Hicks immer wieder einmal einen Strang ihrer Werke auf & in die Hände, um ihn zu wiegen, zu fühlen und zu zwirbeln.
Versunken im Gewebe
Und als wir sie um ein Porträtfoto baten, da setzte sie sich mitten hinein in eine textilen Erdrutsch-Architektur aus Stoff-Felsen und streichelte versunken übers Gewebe.
Ab diesem Zeitpunkt war sie, nach anfänglichem Fremdeln, ganz bei sich selbst.
Sheila Hicks’ Mantra
Sheila Hicks ist durch die ganze Welt gereist, um das Textile zu erforschen.
Sie hat das indignie Weben, Stricken, Häkeln und Flechten in Chile, Marokko, Indien, Schweden, Israel, Südafrika oder Mexiko erlernt, der “Quipu” genannten Geheimschrift der Inka aus Knoten – wie Hans von Hoermann – ein Denkmal gesetzt.
Aber die Neugier allem Gewebten, Gestrickten, Gehäkelten, Geflochtenen gegenüber: die ist ihr geblieben.
“Was kann man mit einem Faden machen?”. So lautet seit Jahrzehnten unverändert ihr Mantra.
Sheila Hicks, “Planet eleven” (2023), Kunsthalle Düsseldorf, 2024
Das Gespür für die Abstraktionskraft der Farbe, das hat Sheila Hicks bei Josef Albers, bei dem sie studierte, erlernt und verfeinert.
Aber ihre Schwester im Geiste, das muss Albers’ spätere Ehefrau Anni gewesen sein, die am männerdominierten Bauhaus nicht Malerei studieren durfte, sondern in die Webklasse musste, weil sie eine Frau war: eine Revolutionärin der künstlerischen Stofflichkeit auch sie.
Eine ganze Menge!
Was kann man mit dem Faden machen? Eine ganze Menge, können wir nur sagen, – jetzt, wo wir Sheila Hicks’ aktuelle Werke in Düsseldorf gesehen haben. Und dabei sind wir noch nicht einmal in der Schau im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop, die als Retrospektive durch die Jahrzehnte wandert, gewesen!
Man kann mit Fäden malen, und zwar skulptural.
Man kann Planeten aus Farbe mit ihnen erschaffen, Bambus in “Redestäbe” verwandeln, die ein abstraktes, und trotzdem bildhaftes Plädoyer sind für Meinungsfreiheit und Demokratie.
Man kann Fäden in den Himmel wachsen lassen wie ägyptische Säulen.
Man kann in ihnen persönliche Dinge vergraben, die mit Bedeutung aufgeladen sind, wie bei den prä-inkaischen Mumien in Peru.
Und man kann dank dieser Fäden auf Reisen mit dem Handwebrahmen Orte oder Ereignisse im Gedächtnis konservieren: Tagebuch schreiben mit ihnen.
Sheila Hicks, “Wishful Volcano” (2024), Kunsthalle Düsseldorf, 2024
Wir wollen nicht verschweigen, dass uns auch diese ganz eigene Welt aus leuchtend pigmentierten, natürlichen und künstlichen Fasern, aus Baumwolle, Seide, Naturgras und Leinen, aus Muschelschalen und Uniformen und Stachelschweinfedern und menschlichem Haar umgarnt, unsere Phantasie beflügelt hat.
Natürlich auf eine andere Weise als bei unserer insgeheimen Freundin: so, wie das bei uns nur unsere ERKLÄRTE Liebe, die Kunst, vermag.
In der für uns schönsten Arbeit “Aprentizaje de la Victoria” zum Beispiel fließen die wallenden Strähnen aus griechischer Wolle in unseren Augen über die brutalistisch-männliche Brüstung der Düsseldorfer Kunsthalle wie ein goldgelber, rostroter Wasserfall aus Rapunzels Rasta-Locken über die Felswand der Loreley am Rhein.
Und am Boden des Meeres, ganz oben auf der Empore, da liegen die von Sheila Hicks auf dem Flohmarkt gefundenen Netze der bezirzt gestrandeten Fischer aus Korea.
Wer nah herantritt, kann sehen, was darin immer noch gefangen ist.
Unsere Freundin würde sicher sagen, dass ihre Häute Schalenpanzer seien: Ummantelungen aus Rettungsleinen, gewebt aus Farbe und Muster, Seelenschutz, Geborgenheit und Wärme.
Nach Sheila Hicks könnten wir sagen: “Du trägst gestrickte Sehnsuchts-Häute, die für uns auch Speere und Schilde sind.
Es sind Tresore voller wundervoller Eigenschaften, die bisweilen, wie wir glauben, durch die Löcher schimmern.
Der sanfte Fluss deiner Stoffe könnte uns fast eifersüchtig aufeinander machen: wenn wir – zum Glück! – nicht selbst so eng miteinander verflochten wären.
Das solltest du vor deinem nächsten Auftritt wissen.”
Sheila Hicks, “Au-delá” (2022), Kunsthalle Düsseldorf, 2024
Natürlich sagen wir das nicht, das würden wir uns niemals trauen! Indes steht fest:
Dieses ins Stofflichen verstrickte, uns Fingerkribbeln machende Rätselhafte verbindet die Woll-Häute unserer Freundin mit dem Werk von Sheila Hicks. Die haptische Versuchung schwingt mit der optischen Verheißung auch in diesen Arbeiten immer mit. Das museale Tabu ist eine ihrer Maschen.
Das verknüpft unsere insgeheime Liebe mit unserer erklärten. DAS ist der rote Faden. (24.11.2024)
“Sheila Hicks” ist noch bis zum 23. Februar 2025 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Ihre Retrospektive im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop auch.
Die Kunsthalle Düsseldorf in der KunstArztPraxis:
Peter Piller schafft Ordnung
Romantik, post mortem – “Only Lovers Left”
Für uns von Putin eingeholt: “City Limits” in Düsseldorf
Alles fließt: “Journey Through A Body”
Reine Bildgebung (7): Polke & Co
Conrad Schnitzler: Der Mann mit dem Soundhelm
Gerhard Richter Retro: “Leben mit Pop” (2013)
Max Schulze: “Als Phantom war Polke immer da”
Kommentare
Das ist der rote Faden. Sheila Hicks in Düsseldorf — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>